Bildung ist mehr als Unterricht

Berliner Ganztagsgrundschulen fordern mehr Personal und bessere räumliche Bedingungen

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 3 Min.

An vielen der weit über 400 Berliner Grundschulen fehlt es für eine gute Ganztagsbetreuung schlichtweg an Personal und Räumen: Zu diesem für die Senatsbildungsverwaltung wenig schmeichelhaften Urteil kommt das Berliner Bündnis Qualität im Ganztag, ein seit 2016 aktiver Zusammenschluss von Verbänden, Eltern und der Bildungsgewerkschaft GEW.

»Es ist zwar unter Rot-Rot-Grün viel Geld in das System geflossen«, sagt Roland Kern vom Dachverband der Berliner Kinder- und Schülerläden (DaKS) am Mittwoch bei der Präsentation des neuen Forderungskatalogs des Bündnisses. »Aber das, was sich die Koalition in Sachen Ganztagsschulen vor vier Jahren auch vorgenommen hatte, nämlich den Personalschlüssel im Nachmittagsbetrieb zu verbessern oder die räumlichen Rahmenbedingungen, das ist im Zuge der Einführung des kostenlosen Mittagsessens und der generellen Beitragsbefreiung für die Klassenstufen 1 und 2 über die Wupper gegangen«, so Kern.

Der DaKS-Sprecher, der in dem Zusammenschluss fast 30 kleine Berliner »Alternativschulen« und über 40 Horte vertritt, möchte nicht falsch verstanden werden. Die im vergangenen Jahr eingeführte Beitragsbefreiung stelle er ebenso wenig infrage wie das kostenlose Schulessen. Wie dem Qualitäts-Bündnis insgesamt geht es auch ihm vor allem darum, dass die Ganztagsschulen eine ausreichende Zahl an Fachkräften und vernünftige räumliche Bedingungen bekommen. »Das kostet viel Geld«, sagt Kern. Aber Betreuungsqualität gebe es nun mal nicht zum Nulltarif.

Erik Voß, koordinierender Erzieher an der Schule am Falkplatz in Prenzlauer Berg, ergänzt, dass man manchmal den Eindruck gewinnen könne, Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) sei zuvorderst daran gelegen, »dass nach außen alles schön aussieht«. Das grundsätzliche Dilemma - eben insbesondere der Erzieher- und Platzmangel - würde von der Schulverwaltung jedoch nicht angegangen. Das sorge auf Dauer auch für »Unzufriedenheit bei den Eltern, die dann wieder bei den Kolleginnen und Kollegen hängenbleibt«, berichtet Voß aus der alltäglichen Praxis seiner Grundschule, die immerhin über 650 Kinder besuchen. Was die Idee des Ganztagsbetriebs an sich angeht, habe »Berlin ja als erstes Bundesland einen Weg aufgemacht, dass es geht, nun muss aber auch daran gearbeitet werden, dass es für die Kinder zumutbar ist«, so der Erzieher.

Konkret fordert das Bündnis deshalb unter anderem, dass der gesetzlich festgeschriebene Personalschlüssel im Ganztag von aktuell 1:22 auf 1:15 gesenkt wird, also auf den Schnitt von einer Fachkraft auf 15, statt auf 22 Kinder. Diese Anpassung sei umso nötiger, als mittlerweile weitaus mehr Kinder das Angebot in Anspruch nehmen und in der Realität auch aufgrund von Urlaubs- oder Krankheitszeiten »Betreuungsrelationen von 1:40 und schlechter keine Seltenheit« seien. Zudem will man durchsetzen, dass jedem Schulkind »mindestens drei Quadratmeter pädagogische Nutzfläche zur Verfügung stehen«. Auch davon sei man in Berlin meilenweit entfernt.

Elvira Kriebel vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, die das Bündnis vor vier Jahren mit ins Leben gerufen hat, weist zudem auf ein Problem hin, das in der aktuellen Coronakrise hinzugetreten sei. »Plötzlich wurde Bildung nur noch als Unterricht verstanden, und das in einer Zeit, in der gerade sozialpädagogische Expertise gefragt war und ist«, sagt die Referentin für schulbezogene Jugendhilfe. »Wir wurden um 20 Jahre zurückgeworfen.« Kriebel sieht denn auch die Gefahr, dass - trotz der Rückkehr zum Regelbetrieb - die eigentliche Ganztagsidee zunehmend »unter die Räder gerät«.

Dass das Berliner Bündnis Qualität im Ganztag mit ihrem Forderungskatalog gerade jetzt an die Öffentlichkeit geht, ist freilich kein Zufall. »Im kommenden Jahr sind Abgeordnetenhauswahlen und natürlich zielen wir damit auf die Politiker und die Parteien im kommenden Wahlkampf«, sagt Roland Kern. »Die sind nächstes Jahr in der Bütt.«

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