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Weitere vier Jahre im Wahn?
Klaus Brinkbäumer und Stephan Lamby legen eine Bilanz zu Donald Trump vor
Nach der Flut von Büchern über den Menschen Donald Trump, seine Psyche und Eigenarten in den vergangen vier Jahren gibt es nun Bilanzen zu seiner Präsidentschaft. Wichtigster Verbündeter der Journalisten Klaus Brinkbäumer und Stephan Lamby, der eine früherer USA-Korrespondent und Chefredakteur des »Spiegel«, der andere TV-Autor und Produzent, sind Erfahrung und das Wissen um die Kraft des kühlen Blicks. Trotz dieser Grunddistanz blicken auch sie fundamental kritisch auf die Trump-Jahre. Und auch in die Zukunft. Sie sehen auf die USA Härten zukommen - selbst dann, wenn Trump nicht wiedergewählt würde. Mit ihm sowieso.
Die Recherche der Autoren zwischen Sommer 2019 und 2020 lebt von Beobachtungen, Stimmen und Stimmungen, wie sie nur vor Ort zu haben sind. Ihre Erkenntnisse von diesem Land, dessen Anspruch auf Führung, Stärke und Vorbild immer grotesker mit der Realität von Niedergang und Polarisierung kontrastiert, ähneln denen anderer Beobachter. Mit wachsenden Einkommensverlusten auch für die Mittelschicht, einem weithin weiter desolaten Gesundheitssystem, mit blutigen rassistischen Entgleisungen, einem ungerechten Wahlsystem, der offenen Politisierung des Obersten Gerichts und der unverändert korrupten Rolle des Gelds in der Politik sehen sich die USA mehreren Krisen gleichzeitig gegenüber.
Jede Woche analysieren Max Böhnel und Moritz Wichmann im Gespräch mit Oliver Kern den US-Wahlkampf. Am 2. November um 18 Uhr schauen "Max und Moritz" in einem Live-Podcast auf die letzten Umfragen und erläutern aus der linken Perspektive, worauf man in der Wahlnacht und in den Tagen danach achten sollte.
Das Buch prägen zwei Besonderheiten, die seinen Wert vermehren und es über Momentaufnahmen erheben. Eingehender als andere Analysen beschäftigen sich die Autoren mit den tiefen Umbrüchen in der Medienlandschaft. Ohne sie sind nach ihrer Ansicht weder das Phänomen Trump noch die bürgerkriegsähnlichen Zuspitzungen zwischen den Lagern zu verstehen. Ergänzend zur Reportage-Ebene sucht das Duo den verallgemeinernden Blick. Dieses Bemühen gipfelt im Epilog im reizvollen Versuch eines knappen, auf lediglich zwei Seiten skizzierten »Rettungsplans« für die USA. Darüber hätte man gern mehr gelesen - etwa hinsichtlich der Bemerkung: »Investition in Umwelttechnologie und intelligente Infrastruktur müssen sein. Will Amerika zum Mars, braucht es wirklich einen Rüstungsetat von 732 Milliarden Dollar pro Jahr?«
So ausführlich sich die Autoren den von Trump zwar nicht initiierten, aber mit ihm oft wahnhaft zugespitzten gesellschaftlichen Veränderungen widmen, so wenig lassen sie Zweifel daran, dass die USA seit je polarisiert waren. Bei der Geschichte aus Eroberung, Völkermord und Sklaverei unvermeidlich. Zwischen den herrschenden Parteien, Demokraten und Republikanern, sei die Konfrontation seit den 1960er Jahren (Bürgerrechtsbewegung) schärfer geworden. In der Medienindustrie wiederum sei es nicht erst mit den sozialen Netzwerken zu tiefen, politisch gewichtigen Brüchen gekommen, sondern bereits mit Ankunft des Politklamauks namens Talk Radio ab den 1980ern und dem Einstieg von Rupert Murdochs rechten, fremdenfeindlichen Politspektakel-Fernsehkanal Fox News in den 1990ern.
Brinkbäumer und Lamby zeigen, welche Hauptdarsteller elementare Information in immer parteiischer angerichteter Unterhaltungssoße ertränkten. Die Rush-Limbaugh-Formel, benannt nach einem Begründer des Talk Radios, erklärt ein Interviewpartner im Buch: »Gutes Talk Radio muss Gefühle ansprechen, permanent übertreiben. Dafür muss man Thesen groß aufblasen. Nur so funktionieren sie. Etwa indem man sagt, dass Barack Obama ein Sozialist ist, der Amerika hasst und zerstören will.« Wer hier die Methode Trump heraushört, hört richtig: Limbaugh ist Trumps bester Lehrer, Trump sein größter Fan, und die Methode Limbaugh geht so: »Unhaltbare Behauptungen verbreiten, Verwirrung stiften, und sich dann über die Verwirrung empören«. Trump praktiziert eben dies und leistet so seinen Teil zu einer neuen, mit den Waffen der Mediengesellschaft ausgetragenen Bürgerkriegsstimmung. Vermutlich werden wir dies auch noch nach der Wahl am heutigen 3. November noch oft erleben, vielleicht gar noch öfter. Dass damit stets Grenzverschiebungen des politischen Anstands einhergehen, ist gewollt. Jedenfalls von Trump und seinen Anhängern, in- wie außerhalb der USA.
Zu Beginn 2020 war die Nibelungentreue der einst stolzen Partei der Republikaner im Amtsenthebungsverfahren gegen Trump zu besichtigen. Wiewohl der Präsident seine Partei oft genug demütigte, folgt diese ihm devot, mögen die Anklagepunkte gegen Trump, sei es Amtsmissbrauch und Behinderung des Kongresses, noch so schwerwiegend sein. Washingtons Republikaner verniedlichen und vernebeln Trumps Verhalten, zum Beispiel im Falle der erwiesenen Wahleinmischung Moskaus 2016. Zwar sei, so die Autoren, nachvollziehbar, dass Trump alles bestreitet. Doch unbegreiflich sei, dass die Republikaner die innere Sicherheit des Landes durch ihr Verhalten selbst untergrüben. Etwa, indem sie Trumps Erpressungsversuch gegenüber dem ukrainischen Präsidenten - Auslöser des Impeachment - mit dem Schlucken seiner unbewiesenen, von Moskau gestreuten Behauptung stützten, er habe nur die Korruption in der Ukraine bekämpfen wollen. Aus Russlands Sicht, so die Autoren, sei dies mehr als »himmlisch, es ist ein Geniestreich: Ausgerechnet der russische Kriegsgegner Ukraine wird in den Schmutz der Weltpolitik gezogen und von den USA zunächst militärstrategisch untergraben und dann, aus niederen egoistischen Motiven, moralisch denunziert. Aus Putins Sicht ist dies der Jackpot. Die Ukraine: erschüttert und geschwächt; die USA: abgelenkt und geschwächt; Russland: entlastet und gestärkt.«
Brinkbäumer und Lamby zitieren die US-Historiker Steven Levitsky und Daniel Ziblatt in Verbindung mit deren Buch von 2018 »Wie Demokratien sterben«. Ihnen zufolge werden Demokratien »oft nicht durch Generäle umgebracht, sondern durch ihre gewählten Führer« - sofern vier Merkmale werdender Autokraten vorliegen: 1. Der Anführer fühlt sich an keine demokratischen Regeln gebunden. 2. Er leugnet die Legitimation seiner Gegner. 3. Er toleriert beziehungsweise fördert Gewalt. 4. Er schränkt Bürgerrechte und Pressefreiheit ein. Levitsky und Ziblatt sehen Grund zur Sorge, sobald bei einem führenden Politiker eines dieser Kriterien vorliegt. In den USA habe mit Ausnahme Richard Nixons kein Präsidentschaftskandidat der letzten hundert Jahre eine dieser Bedingungen bedient. Der heutige Präsident und Anwärter auf vier weitere Dienstjahre, so das Fazit von Brinkbäumer und Lamby, erfüllt »alle vier«.
Klaus Brinkbäumer/Stephan Lamby: Im Wahn - Die amerikanische Katastrophe. C.H.Beck, 391 S., geb., 22,95 €.
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