Destruktive Kompromisslosigkeit

Dass die Klimaliste jenseits der Grünen in die Parlamente will, ist ein strategischer Witz, meint Michael Lühmann.

  • Michael Lühmann
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»Wir treten nicht gegen andere Parteien an. Wir treten für die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze an.« Diese zwei Sätze, die auf dem Twitter-Profil der Klimaliste – jener Teil der radikal-ökologischen Klimabewegung, die jenseits der Grünen in die Parlamente streben – angeheftet sind, sie sind vor allem eines: Ein strategischer Witz, ein ganz schlechter noch dazu. Beim Warum wird es schon schwer, aus der Fülle der Antworten zu schöpfen, weshalb ich mich auf zentrale Punkte beschränken möchte: Das Politikverständnis bestenfalls naiv, die Kompromisslosigkeit destruktiv und geschichtsvergessen, der Blick in die Zukunft selbstgerecht.

Michael Lühmann

Michael Lühmann ist am Institut für Demokratieforschung Göttingen tätig.

Fangen wir beim Anlass an, der Behauptung, Grüne würden Klimapolitik nicht ernst genug nehmen, was sich nicht zuletzt an der (mit-)Verantwortung für den Autobahnbau im Dannenröder Forst zeige. Die grüne Parteispitze solle den grünen hessischen Umweltminister »maßregeln« und um die Forderung zu unterstreichen, wird dann mal flugs die grüne Parteizentrale besetzt. Ja, die grüne, nicht die der CDU oder das Autobahnbauministerium des Andreas Scheuer. Immerhin, am Ende steht die Forderung, man würde Seit‘ an Seit‘ mit den Grünen gegen die CDU kämpfen, wenn sie den Autobahnbau in Hessen stoppen. Nun ist in Anbetracht der grassierenden Klimakrise und der politischen Ignoranz der Klimaproteste Ungeduld sicher angezeigt. Aber der Glaube, dem ökologischen Kampf zu dienen, in dem man die Grünen an den Wahlurnen aus radikal-ökologischer Seite angreift, ist bestenfalls naiv. Realistisch hingegen ist, dass die Strateg*innen im Konrad-Adenauer-Haus oder die Leugner in den Springer-Häusern gerade frohlocken, weil dieser Spin die Grünen weitaus mehr angreifen dürfte, als jede überholte Wiederholung des Mantras der »Dagegen-Partei«.

Dass sich die Klimalisten dadurch zu nützlichen Idioten machen könnten, scheint jedenfalls nicht diskutiert. Wie überhaupt Strategie nicht so richtig stattzufinden scheint, auch weil es an basalem Wissen über Parteien und (ökologischen) Konflikt fehlt. Frank Uekötter hat in seiner Geschichte der Ökologie überzeugend darauf hingewiesen, dass ökologische Erfolge zwar immer den Konflikt brauchten, um thematisiert zu werden. Abgeräumt oder zumindest angepackt wurden sie aber immer in den Institutionen, kompromissorientiert und ja, oft unzureichend und widersprüchlich. Es sei hier auch daran erinnert, dass die Grünen dereinst die Erweiterung von Garzweiler mittrugen. Das war zeitgenössisch bitter, aber so waren die Verhältnisse. Auch das EEG weist massive Konstruktionsfehler auf, der Atomausstieg hätte optimaler laufen können, der CO2-Preis müsste (noch) höher sein. All den faulen Kompromissen haben auch Grüne zugestimmt. Aber ohne die Grünen und deren Fähigkeit, auch missliebige Kompromisse mitzutragen, gäbe es das alles gar nicht!

Von der Idiotie des (Klima-)Zentrismus
Der Großteil der Gesellschaft hat noch nicht verstanden, dass das Klima nur mit einem radikalen, schnellen, in mancherlei Hinsicht brutalen Umbau unserer Lebensweise zu retten ist, meint Tadzio Müller.

Man kann das feige nennen, man kann das Verrat an kommenden Generationen nennen, man kann sich naiver machen, als man ist. Oder man versteht, im Blick zurück nach vorn, dass zu Radikalität nun mal (auch) Realismus gehört. Eine Erkenntnis, die 44 Jahre nach Joschka Fischers Grübeln über Radikalität in der Politik endlich mal ankommen darf. Wie auch das Wissen darum, was Spielbein und Standbein bedeutet. Oder dass es für erfolgreiche Parteigründungen eine tief gehende Konfliktlinie braucht. Und nicht einfach nur radikal-naive Umsetzungskritik – siehe die Piraten, die letzte Formation die unter Beifall des konservativen Lagers die Grünen zum »Establishment« erklärten und so der CDU die Macht sicherten.

Kurzum, ein paar zweifellos ärgerliche Kilometer Autobahn sollten nicht Anlass sein, mit dem vierzig Jahre durchaus widersprüchlicher, oft halbherziger ökologischer Kampf der Bündnisgrünen für Klimapolitik diskreditiert wird. Und dies vor allem nur, weil es erstens an basalem Verständnis für die Notwendigkeit von Kompromissen fehlt, zweitens am Interesse für grundlegende strategische Fragen mangelt und drittens, am Willen, Konflikte jenseits der reinen ökologischen Lehre in der eigenen Blase auszufechten. Damit keine Missverständnisse aufkommen, diese Abkürzung über die Wahlurnen zu nehmen ist demokratisch legitim. Aber, so viel naive und strategiebefreite Selbstgerechtigkeit als Wahlkampfgeschenk für die konservative Bewahrung des klimafeindlichen Status Quo braucht es eigentlich nicht.

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