Das Abendland in Flammen

Bilder von brennenden Kirchen haben enorme Wirkung und polarisieren ungemein. Doch wie bei den Protesten in Chile sollte man den Zusammenhang beachten.

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 5 Min.

Als im April 2019 die Pariser Kathedrale Notre-Dame in Flammen stand und die Bilder davon live um den Globus gingen, waren die Reaktionen sehr unterschiedlich.

Einige vermuteten natürlich gleich einen islamistischen Angriff auf das »abendländische Erbe«, andere waren schlicht entsetzt angesichts der Beschädigung eines 850 Jahre alten Kulturguts. Allenthalben wurden die Medien mit breiten Mitgefühlsbekundungen überschwemmt, von denen man nicht so genau wusste, ob es die auch in den 1970er Jahren gegeben hätte, als die Kirche in West- und Mitteleuropa noch eine politisch und lebensweltlich weit wirkmächtigere Institution war und eine linke und säkulare Aufbruchstimmung herrschte, die gegen bestehende Ordnungen und ihre ikonografischen Symbole antrat.

Als vor drei Wochen in Santiago de Chile im Zuge von Protesten zwei Kirchen angezündet wurden, führte das ebenfalls zu heftigen Reaktionen. Wer hatte die Gotteshäuser angezündet? Protestierende? Anarchisten oder gar Feministinnen? Oder ist womöglich sogar der chilenische Staat beteiligt gewesen, fragten manche, nachdem dort von der Polizei unter dem Verdacht der Brandstiftung jemand festgenommen wurde, von dem sich später herausstellte, dass er Mitglied der Marine ist? Auch wenn die Bilder des einstürzenden Turmes der Parroquía de la Asunción bei Weitem nicht die Reichweite der brennenden Kathedrale Notre-Dame hatten, gab es doch zuerst einmal zahlreiche Solidaritätsbekundungen aus der ganzen Welt, vor allem auch von kirchlicher Seite.

Dass Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, der fest auf die evangelikale Kirche in seinem homophoben und antikommunistischen Kampf setzt, in einem Tweet seine Solidarität erklärte und den Brand als Ausdruck einer weltweiten Christenverfolgung interpretierte, zeigt auch, welche politischen Implikationen das Thema Kirche aktuell (nicht nur) in Lateinamerika besitzt. Angriffe auf Kirchen in Chile gab es seit vergangenem Jahr, seit dort gesellschaftlich breit gegen den neoliberalen Normalvollzug demonstriert wird, immer wieder.

Am 18. Oktober, dem Jahrestag des sogenannten Estallido social (Soziale Explosion), wurden gleich zwei Kirchen im Zentrum von Santiago de Chile angezündet, wo sich seit einem Jahr das Epizentrum der Protestbewegung befindet. Die Iglesia de San Francisco de Borja, eine Kirche, die seit der Pinochet-Diktatur vornehmlich von der Polizei für Zeremonien genutzt wird und im Zuge der Proteste immer wieder Ausgangspunkt polizeilicher Attacken war, wurde im Frühjahr schon einmal von Protestierenden attackiert und angezündet. Das zur Kirche gehörende Pfarrhaus der nahe gelegenen Parroquía de la Asunción, deren brennender Turm bei dem Brand vor drei Wochen unter dem lauten und begeisterten Gejohle vieler anwesender Menschen einstürzte, diente während der Pinochet-Diktatur als Standort der 1977 gegründeten politischen Polizei. Außerdem sollen dort damals Oppositionelle inhaftiert und gefoltert worden sein.

Das publizistische Augenmerk richtet sich aber derzeit im Zuge einer Aufklärung dieser Brände weniger auf Geschichte und Funktion der beiden angezündeten Kirchen, als vielmehr auf ein viral verbreitetes Foto aus einer der brennenden Kirchen, auf dem eine vermummte Frau mit Gasmaske zu sehen ist, die in Siegerpose vor dem Hintergrund der lodernden Kanzel beide Arme hochhält. Verbreitung fand das Foto über einen linksradikal-feministisch wirkenden Twitter-Account namens »ppeppadelkaos«, der aber kaum weitere Posts aufweist.

In Chile wird bereits über die Echtheit des Bildes gestritten. Dass im direkten Umfeld einer der brennenden Kirchen unter anderem ein Mitglied der Marine unter dem Verdacht der Brandstiftung, vermummt und mit einer Steinschleuder bewaffnet, festgenommen wurde, nährt bei einigen den Verdacht, es könne sich hier um einen Versuch der Regierung handeln, einen Keil zwischen die Protestierenden zu treiben. Denn natürlich führte der Brand der Kirchen zu zahlreichen Distanzierungen, egal ob es der Vorsitzende der chilenischen KP war oder verschiedene Vertreter aus dem gemäßigten Lager. Linksradikale Feministinnen, die das Protestgeschehen in Chile im vergangenen Jahr entscheidend mitbestimmten und mit ihrer weltweit viral verbreiteten Tanzperformance »El violador eres tu« viel Aufmerksamkeit und Zustimmung erhalten haben, werden so zum Feindbild stilisiert, unter anderem auch in dem erwähnten Twitter-Post von Jair Bolsonaro. Bei allem Streit um die Deutungshoheit von Bildern und möglichen Bezügen oder Motiven lässt sich immer noch nicht abschließend sagen, wer die Kirchen in Brand gesetzt hat.

Aber daneben gibt es auch einige Kommentatoren, die die Gewalt des Staates gegenüber seinen Bürgern in den Vordergrund stellen. Denn zu den gewalttätigen Übergriffen der Polizei im Zuge der Protestbewegung, die auch von Amnesty International und dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte kritisiert wurden, hatte die chilenische Kirche bisher wenig oder kaum etwas zu sagen. So fokussierten die Medien in ihrer Berichterstattung über die in weiten Teilen auch friedlichen Proteste zum Jahrestag des Estallido social auf die angezündeten und geplünderten Kirchen im Stadtzentrum. Eine Woche vor der Abstimmung über das Referendum - bei dem sich Ende Oktober letztlich eine deutliche Mehrheit von fast 80 Prozent der Teilnehmer für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung und damit verbundene gesellschaftliche Reformen in Chile aussprach - konnte die Opposition als gewalttätig diffamiert und verurteilt werden. Dabei ging in der medialen Berichterstattung fast unter, dass an jenem Tag im Armenviertel Victoria in Santiago de Chile am Abend der 25-jährige Anibal Villarroel durch Polizeikugeln tödlich getroffen wurde. Angeblich hatte er an den militanten Protesten, gegen die die Polizei dort vorging, nicht einmal teilgenommen.

Wie immer auch die brennenden Kirchen politisch instrumentalisiert und genutzt werden, kann es strategisch unklug und wenig substanziell sein, die Kirche an sich zum Feind zu erklären. Es gilt schon, genauer hinzusehen und die jeweiligen Gebäude in ihrer ganzen Bedeutung zu lesen, anstatt reflexartig in eine fast schon metaphysische Schockstarre angesichts brennender Kirchen zu verfallen.

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