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Einstiegsdroge in den Rechtsextremismus
In Ostdeutschland sind demokratiefeindliche Einstellungen gestiegen - Verschwörungen deutschlandweit
Die sogenannte Ausländerfeindlichkeit in Deutschland hat leicht abgenommen, trotzdem ist sie in einem hohen Anteil der Bevölkerung zustimmungsfähig. Und es gibt ein dauerhaft hohes Niveau bei rechtsextremen Einstellungen. Zu diesem Schluss kommt die am Mittwoch vorgestellte Leipziger Autoritarismusstudie 2020, bei der im Mai und Juni insgesamt 2503 Menschen befragt wurden. Davon stimmten ein Viertel der Aussage zu: »Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet.« In Ostdeutschland waren es 38 Prozent. Oliver Decker, Direktor des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig, bezeichnete Ausländerfeindlichkeit im Zuge der Präsentation der Studie am Montag als »Einstiegsdroge in den Rechtsextremismus«. Trotz Diskussionen wurde der Begriff »Ausländerfeindlichkeit« beibehalten, anstatt ihn mit Rassismus zu ersetzen.
Die Zustimmungswerte zu klar antisemitischen, chauvinistischen und antimuslimischen Haltungen sind leicht rückläufig, jedoch auf hohem Niveau. Zehn Prozent stimmten der Aussage zu: »Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß.« Decker gab zu bedenken, dass die Zahlen besonders vor dem Hintergrund als hoch zu bewerten seien, dass die öffentliche Äußerung von Antisemitismus klar sanktioniert sei und daher oft über eine »Umwegkommunikation« laufe. So gab über die Hälfte der Befragten an, man solle sich »lieber gegenwärtigen Problemen widmen als Ereignissen, die mehr als 70 Jahre vergangen sind«, 30 Prozent stimmten der Aussage zu, dass Israels Politik in Palästina genauso schlimm sei wie die Politik der Nazis im Zweiten Weltkrieg. Mehr als ein Viertel der Befragten stimmten der Forderung zu, »Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland zu untersagen«. Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer sagten Ja zu dem Satz: »Sinti und Roma neigen zur Kriminalität.« Und 47 Prozent der Befragten fühlen sich »durch die vielen Muslime manchmal wie ein Fremder im eigenen Land«.
Ein neues Element der diesjährigen Studie waren Fragen zu Verschwörungsdenken in Bezug auf die Corona-Pandemie. Insgesamt wurde deutlich, dass die Verschwörungsmentalität der Deutschen auf lange Sicht gesehen zwar seit 2012 rückläufig ist, allerdings ist im Vergleich zur letzten Erhebung 2018 ein Anstieg um 7,4 Prozent zu beobachten, im Osten um 16,9 Prozent. So meinen 33 Prozent, die Coronakrise werde so groß geredet, damit einige wenige von ihr profitieren können. Gleichzeitig gaben rund 77 Prozent der Befragten an, sich von der Pandemie bedroht oder stark bedroht zu fühlen. Das ist jedoch nicht unbedingt ein Widerspruch. Verschwörungsmythen resultierten häufig aus dem Bedürfnis nach Kontrolle und Handlungsfähigkeit, so Decker. Dieses Bedürfnis wird in der Pandemie nicht erfüllt. Decker sagte in Bezug auf die Coronademonstrationen: »Wir haben es hier mit einer autoritären Rebellion zu tun.« Menschen stellten sich scheinbar gegen Autoritäten, jedoch nicht mit dem Wunsch nach demokratischen Aushandlungsprozessen, sondern nach »echten« Autoritäten. So befürworten etwa 17 Prozent die Aussage: »Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.« Weitere 21 Prozent stimmten teilweise zu.
Zehn Jahre nach der ersten Durchführung der Befragung werteten die Studienmacher*innen ihre Ergebnisse auch auf lange Sicht aus. Dort fällt insbesondere ein großes Gefälle zwischen Ost- und Westdeutschland auf. Während rechtsextreme und demokratiefeindliche Einstellungen in Westdeutschland mit Schwankungen abgenommen haben, ist für Ostdeutschland seit 2014 ein erneuter Anstieg in fast allen Bereichen zu beobachten. Auch die Zufriedenheit mit der umgesetzten Demokratie ist im Westen auf ihrem höchsten Punkt (62 Prozent), im Osten hingegen ist sie seit 2018 um fast 7 Prozent auf rund 41 Prozent gesunken. Gesamtgesellschaftlich gibt es aber dennoch einen sehr hohen Zustimmungswert zur Demokratie als Idee (93 Prozent).
»Ich würde nicht sagen, dass es in Ostdeutschland mehr Rassismus gibt als in Westdeutschland. Aber antimoderne Ideologien haben dort deutlich mehr Verbreitung«, sagt Decker gegenüber »nd«. Der Soziologe erklärt das mit den postkommunistischen Transformationsprozessen, mit anderen Demokratievorstellungen als in Westdeutschland und einer großen Unzufriedenheit mit den Partizipationsmöglichkeiten. Sein Kollege im Leipziger Forschungszentrum Elmar Brähler sagte in der Pressekonferenz zur Studie: »Wenn die Personen das Gefühl haben, in ihrem Betrieb etwas zu sagen zu haben, zeigen sie Resilienz zu allen demokratiefeindlichen Variablen.« Umgekehrt bergen Partizipationsmöglichkeiten die Möglichkeit der Resilienzsteigerung gegen antidemokratische Einstellungen. Decker betonte gegenüber »nd«: »Es ist immer tödlich, wenn autoritäre Angebote von demokratischen Parteien ausgehen.« Wenn etwa ein Ministerpräsident sage, dass er »harte Kante« zeige und damit die demokratischen Aushandlungsprozesse selbst umgehe. Eine Möglichkeit, um demokratiefeindliche Einstellungen zu verringern, sei es, die Partizipationsmöglichkeiten in Schulen, Betrieben und der Politik zu erhöhen.
Dort sieht auch Ferda Ataman, Vorsitzende des postmigrantischen Netzwerks »neue deutsche organisationen« Handlungsbedarf: »Wissenschaftler*innen weisen seit Jahren darauf hin, dass es keinen Rechtsruck in der Bevölkerung gibt, sondern in Politik und Medien. Sie reagieren auf eine kleine, aber laute Gruppe. Umso wichtiger ist es, dass Parteien und Medien mehr junge und diversitätsorientierte Leute ranlassen, damit sich die Perspektive ändert.«
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