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Das Ende einer Behörde

Die Unterlagen der DDR-Staatssicherheit werden ans Bundesarchiv übergeben

Was meinst du, soll ich meine Akte einsehen?«, fragte mich eines Tages Anfang der 90er Jahre ein Kollege, der schon in Rente war. Das sei seine Entscheidung, antwortete ich. Er könnte Enttäuschungen erleben. Es war die Zeit großer Enthüllungen und Enttarnungen. Die nicht nur Aufklärung, sondern auch höchst emotionale Aufregung bis hin zu gerichtsnotorischen Anklagen brachten.

Nach einiger Zeit kam er mit praller Aktentasche und zerknirschter Miene in die Redaktion: »Haste Zeit?« Hatte ich für ihn natürlich. Auf den Sitzungstisch unseres Ressorts knallte er ingrimmig einen Ordner und berichtete - über seine Enttäuschungen. Ich starrte auf die Papiere, durchsetzt mit dicken schwarzen Balken, unkenntlich gemachten Namen. Er hat natürlich erraten, wem er die akribische Wiedergabe von Gesprächen verdankte. Großteils belanglose Aussagen, die der Kollege etwa am Mittagstisch der Redaktion tätigte, so Empörung darüber, dass »die Sowjets eine Sojus-Rakete nach der anderen in den Weltall schießen, aber in den Weiten ihres Riesenlandes noch Armut herrscht«.

Was ihn aber vor allem erboste: »Stell dir vor, Karlen, da hat sie gerade noch mit mir gepennt und sich anschließend sofort an die Schreibmaschine gesetzt, um der Stasi brühwarm mitzuteilen ...« Inwieweit das Bettgeflüster mit der heimlichen Liebschaft und zugleich Inoffiziellen Mitarbeiterin deren Führungsoffizier wirklich interessiert hat, ging aus dem Konvolut nicht hervor. Mein Kollegen hat jedenfalls kein Ungemach in der DDR erfahren, fühlte sich jedoch verständlicherweise gröblichst getäuscht, übelst hintergangen, heimtückisch verraten.

Diese Episode sei hier lediglich erwähnt, weil sie das krasse hypertrophierte »Sicherheitsinteresse« der Führungsriege im gewesenen Staat DDR und ihrer »führenden Partei« verdeutlicht, das größtes Misstrauen auch gegenüber den »eigenen Leuten« einschloss, als die man beispielsweise jene bezeichnen könnte, die in Parteiinstitutionen wie dem Zentralorgan arbeiteten.

Am Donnerstag wurde im Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das die Auflösung der Bundesbehörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) einleitet, nach 30 Jahren ihrer Existenz. Die Stasi-Akten sollen fürderhin vom Bundesarchiv betreut werden. Das ist prinzipiell vernünftig, wurde von Wissenschaftlern wie Politikern schon seit geraumer Zeit eingefordert. Die Linksfaktion enthielt sich dennoch der Zustimmung. Nicht etwa, weil die Genossen die »Büchse der Pandora« fürchten, wie vielleicht manche sogleich in die Welt hinausposaunen werden. Der öffentliche Zugang zu den Akten bleibt gewahrt. Die Linke verweigerte die Zustimmung, weil in der Novelle die Kostenfrage für das anstelle des bisherigen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen zu schaffende Amt eines »Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur« sowie Fragen der Forschung (was wohl Prämissen und Methodik meint) offen bleiben.

»Wer einmal mit dem Bundesarchiv zusammengearbeitet hat, weiß, wie professionell, unaufgeregt, sachlich im besten Sinne und wie verantwortungsvoll das Archiv mit seinen Akten umgeht«, begrüßte Simone Barrientos von der Linksfraktion die Novelle. Sie mahnte zugleich an, dass der damit eingeleitete Transformationsprozess aufmerksamer, kritischer Begleitung bedarf. Anders als bis dato sollte die Aufarbeitung und Auswertung der Hinterlassenschaft des ostdeutschen Geheimdienstes als gesamtdeutsche Erzählung erfolgen: »Denn die DDR existierte nicht im luftleeren Raum.« Für die weitere Forschung wünschen sich die Linken - in dieser Causa beraten von deren Historischer Kommission - ein Aufbrechen der schlichten Fokussierung auf Täter und Opfer, auf Stasi und SED. Und pauschaler Gleichsetzung von Stasi und DDR, »Wer verstehen möchte, muss sich den Alltag anschauen, der muss auch wissen wollen, wie wir gelebt und geliebt haben, der muss auch um die kleinen Widerstände wissen, der muss begreifen wollen, welche Freiräume wir uns erkämpft haben ... Es gibt viele Facetten, die anzuerkennen sind. Und das ist in letzten drei Jahrzehnten beim Umgang mit den Stasi-Akten bei weitem nicht immer geschehen«, sagte Simone Barrientos.

In der Tat lehnten und lehnen viele von der Allwissen- und Sammelwut, Überwachung und Verfolgung der Stasi Betroffene für sich selbst den Opferstatus ab. Sie wurden verfolgt, weil sie sich die DDR menschlicher, gerechter und im Wettstreit der Systeme attraktiver wünschten und zu stärken hofften. Viele »Täter« wiederum könnten sich als Opfer präsentieren, wurden sie doch ihrerseits bespitzelt oder inhaftiert. Und was soll man von Aussagen halten, wie ich sie aus dem Munde von Wolfgang Harich hörte, der acht Jahre in Bautzen einsaß? Er sei der Stasi »dankbar«, erzählte mir der exilierte und 1981 enttäuscht in die DDR zurückgekehrte Philosoph. Hätte die Stasi gewisse, nach seiner Verhaftung in der Wohnung beschlagnahmte Papiere in seinen Prozess 1957 eingebracht, hätte dies wohl für ihn die (damals in der DDR noch praktizierte) Todesstrafe bedeutet. Bei anderer Gelegenheit teilte er mir schmunzelnd mit, er habe immer gewusst, wann Stasi-Mitarbeiter sich in seiner Abwesenheit in seinen vier Wänden umgeschaut hätten: »Dann hing das Bild nicht mehr schief. Ich bin zu ungeschickt, einen Nagel richtig in die Wand zu schlagen.« Nun ja ... Hilfe, auf die man verzichten kann.

Bemerkenswerterweise hat Harich Anfang der 90er Jahre zum Thema Stasi mit der von ihm begründeten Alternativen Enquetekommission zwei stark frequentierte Veranstaltungen initiiert, an denen auch Vertreter des westdeutschen Pendants, unter anderem ein ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsschutzes, teilgenommen hatten. Und bei denen großer Zwiespalt selbst unter einstigen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) deutlich wurde hinsichtlich der Bereitschaft zu kritischer und selbstkritischer Reflexion.

Nun also wird fast ein Dreivierteljahrhundert nach der Gründung des DDR-Geheimdienstes (1950) wieder ein Kapitel einer unerquicklichen Geschichte geschlossen - nicht ad acta gelegt, aber vielleicht nicht mehr politischer Instrumentalisierung unterworfen, wie durch die BStU und mit ihr geschehen. Was übrigens auch nicht im Sinne jener DDR-Bürger und -Bürgerrechtler war, die im Herbst ’89 unter dem Motto »Meine Akte gehört mir« republikweit Stasi-Zentralen besetzten und am 15. Januar 1990 symbolträchtig das Hauptquartier in der Berliner Normannenstraße »erstürmten«. Damals sollte die weitere Vernichtung der Stasi-Unterlagen gestoppt werden. Alsbald fanden, zumeist von Theologen initiiert und vom Insiderkomitee kritischer Mitarbeiter aus Mielkes Imperium unterstützt, sogenannte Opfer-Täter-Gespräche statt. Am Zentralen Runden Tisch war man uneins über den künftigen Umgang mit den Stasi-Unterlagen und stimmte dennoch einem Stufenplan der Regierung von Hans Modrow zu. Die im März 1990 gewählte Volkskammer beschloss, dass Parlamentarier auf Stasi-Verstrickung zu überprüfen seien, vor allem unter dem Eindruck der Enttarnung der vormaligen »Wende«-Aktivisten Wolfgang Schnur (CDU) und Ibrahim Böhme (SPD) als IM. Im August folgte ein Gesetz zur »Einsicht in die eigene Akte«. Im Einigungsvertrag zwischen beiden deutschen Staaten wurde der Umgang mit dem Stasi-Erbe nicht explizit fixiert. Am 4. Oktober 1990 trat dann der ehemalige Rostocker Pastor Joachim Gauck das Amt des Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die DDR-Geheimdienstakten an; mit Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes im Dezember 1991 wurde er zum ersten Chef der BStU berufen, die noch heute vielfach »Gauck-Behörde« genannt wird.

Im September 1990 hatte der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU) vor Offenlegung aller Akten gewarnt: »Dann gibt es keinen Nachbarn, Freund, Kollegenmehr, dann gibt es Mord und Totschlag.« Dem war nicht ganz so. Wenn auch Ehen zerbrachen (die bekannteste dürfte wohl jene der ehemaligen Bürgerrechtlerin und nunmehr der Neuen Rechten zugehörigen Vera Lengsfeld sein). Biografien wurden zerstört, Leben zerbrachen - auch als es die Stasi nicht mehr gab. Unheiliges und unheilvolles Nachwirken, bei dem kräftig nachgeholfen wurde. Nicht nur gegen politische Konkurrenten oder Gegner, auch im Kampf um Lehrstühle oder Direktorenposten. Auch vor gezielten Desinformationen nicht zurückschreckend. Mancher wurde in den Suizid getrieben, so der thüringische Jurist und PDS-Abgeordnete Gerhard Riege trotz haltloser Anschuldigung.

Meinen betrübten, erschütterten Kollegen habe ich seinerzeit übrigens - hilf- und sinnlos - damit zu trösten versucht, dass seine Akte ihn an Gespräche und Ereignisse erinnere, die er längst vergessen hätte. Gedächtnisstützen, auf die man gut und gern verzichten kann. In Ost wie West. Gestern wie heute.

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