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Auf Überholspur im Ionenshuttle
Ein neuer Prozessor auf Ionenbasis bringt Quantencomputer in eine von der Industrie realisierbare Form.
Die Jagd nach dem Quantencomputer ist ein Wettrennen der Giganten. Technologieriesen wie Google, IBM, Intel und Microsoft übertrumpfen sich regelmäßig mit neuen Quantenprozessoren. Doch ein neuer Spieler hat das Feld betreten. Infineon Technologies ist zwar der größte Halbleiterhersteller Deutschlands, aber im Vergleich zu seinen Konkurrenten geradezu winzig. Infineon Technologies Austria hat sich im Rahmen des EU-Förderprogramms Horizon 2020 unter dem Projektnamen PIEDMONS mit der Gruppe von Rainer Blatt von der Universität Innsbruck zusammengetan, einer der Koryphäen im Bereich des Quantencomputing. Die ersten Ergebnisse wurden diesen Monat veröffentlicht und kamen aufs Titelblatt der Fachzeitschrift »Advanced Quantum Technologies«. Das Forscherteam stellt den Prototypen eines neuen Quantenprozessors auf Ionenbasis vor, der für die industrielle Realisierung optimiert wurde.
Neben PIEDMONS fördert Horizon 2020 auch das 2018 gestartete »Quantum Flagship«. In diesem europäischen Programm wird über einen Zeitraum von zehn Jahren eine Milliarde Euro in die Entwicklung von Quantentechnologien investiert. Und die Bundesregierung hat im Rahmen des Konjunkturpakets den Bau von mindestens zwei Quantencomputern in Auftrag gegeben und stellt zu diesem Zweck zwei Milliarden Euro bereit. Doch was sind Quantencomputer und brauchen wir sie wirklich so dringend?
Qubits können nicht Jein sagen
Die Aufgabe eines Computers ist es, eingegebene Informationen zu verarbeiten und die Ergebnisse anschließend auszugeben. Die kleinste Informationseinheit in der Informatik ist ein Bit. Wie ein Schalter kann es die Werte 0 oder 1 (aus oder an) annehmen. Technisch wurden diese Bits tatsächlich als Schalter realisiert, anfangs Relais, später Elektronenröhren und dann Transistoren. Die wurden kontinuierlich kleiner - aktuelle Mikroprozessoren vereinen Milliarden solcher Transistoren auf wenigen hundert Quadratmillimetern. In Quantencomputern sind die Bits so klein, dass die Gesetze der Quantenphysik ihr Verhalten dominieren. Diese Quantenbits, oder Qubits, sind weniger mit Schaltern, sondern eher mit Kugeln zu vergleichen. Der Wert eines Qubits kann auf einem beliebigen Punkt der Kugeloberfläche liegen, die Schalterpositionen 0 und 1 entsprechend lediglich ihrem Nord- und Südpol.
Ein einzelnes Qubit ist jedoch nicht besser als ein klassisches Bit. Wenn wir die Information, die in einem Bit oder Qubit gespeichert ist, auslesen möchten, stellen wir ihnen eine Ja-/Nein-Frage. Auf diese kann es nur mit Ja oder Nein antworten, und wenn sich das Qubit in einer Überlagerung aus 0 und 1 befindet, muss es sich entscheiden. Die Kugel wird zum Schalter, dessen Position nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden kann.
Interessant wird es, wenn mehrere Qubits zusammenkommen. Eine Information kann nicht mehr nur in einem einzelnen Qubit, sondern über mehrere Qubits verteilt gespeichert werden. Sie befinden sich daraufhin in einem gemeinsamen Überlagerungszustand und sind nicht mehr unabhängig voneinander. Zusammen können diese verschränkten Qubits mehr Informationen speichern und verarbeiten als unabhängige. Und so ist ein Quantencomputer dann überlegen, wenn für eine Rechnung mehrere Anfangswerte getestet werden sollen. Während ein klassischer Computer alle Möglichkeiten der Reihe nach durchrechnen muss, kann ein Quantencomputer alle Werte überlagern und gleichzeitig testen.
Quantencomputer können klassische Computer nur dann übertreffen, wenn sie von speziell auf das Problem zugeschnittenen Quantenalgorithmen Gebrauch machen. Ein Beispiel ist das Problem, in einer unsortierten Liste ein bestimmtes Element zu finden. Ein klassischer Computer muss dafür im schlimmsten Fall die gesamte Liste durchsehen. Zwar schafft es auch ein Quantencomputer nicht, jedes Problem mit Überlagerung in einem Schritt zu lösen. Doch der indisch-amerikanische Informatiker Lov Grover zeigte 1996, dass die Anzahl der benötigten Schritte der Wurzel aus der Zahl der Listeneinträge entspricht. Bei 100 Einträgen braucht ein Quantencomputer also 10 Schritte, um das Element zu finden. Tatsächlich ist der Grover-Algorithmus aber der bisher einzige, der ein Problem erwiesenermaßen schneller lösen kann als sein klassisches Pendant. Probleme, die ein Quantencomputer schneller lösen kann als ein klassischer Computer, finden sich hauptsächlich in Industrie und Forschung, beim Militär oder in Geheimdiensten - am heimischen PC bislang nicht.
Das Interesse an Quantencomputern wurde 1994 durch die Entwicklung des Shor-Algorithmus angefacht. Dieser Quantenalgorithmus liefert eine effiziente Methode, eine Zahl in ihre Teiler zu zerlegen. Während kleine Zahlen wie die 15 noch leicht in die Faktoren 3 und 5 zu zerlegen sind, ist für eine Zahl mit mehreren hundert Stellen ein enormer Rechenaufwand nötig. Auf diesem Umstand basieren heutige Verschlüsselungsverfahren. Mit Shors Algorithmus könnte ein Quantencomputer verschlüsselte Nachrichten jedoch in wenigen Stunden knacken.
Bereits im Jahr 2001 gelang es IBM, den Shor-Algorithmus erstmals mit sieben Qubits zu verwenden - um die Zahl 15 zu zerlegen. Gerade einmal zehn Jahre später verkündete die kanadische Firma D-Wave Systems, den ersten kommerziellen Quantencomputer entwickelt zu haben. Das Gerät ist jedoch kein universeller Quantencomputer, da er zum Beispiel Shors Algorithmus nicht ausführen kann. Es handelt sich stattdessen um einen sogenannten Quanten-Annealer, der bestimmte Optimierungsprobleme schneller lösen kann als klassische Computer. Und auch dieser Vorteil konnte erst 2015 mit Geräten der dritten Generation gezeigt werden.
Die Hauptakteure bei der Entwicklung des Quantencomputers scheinen IBM und Google zu sein, die sich regelmäßig überbieten. IBM startete 2016 seine öffentliche Online-Plattform IBM Quantum Experience, über die Nutzer auf Quantenprozessoren mit bis zu 15 Qubits zugreifen können. 2019 verkündete Google, erstmals die Quantenüberlegenheit erreicht zu haben, als sie mit ihrem 53-Qubit-Quantenprozessor in nur 200 Sekunden ein Problem gelöst haben, das auf einem Supercomputer 10 000 Jahre gedauert hätte. Konkurrent IBM zweifelte diese Aussage an: Ein klassischer Computer könne das Problem mit einem effizienteren Algorithmus in 2,5 Tagen lösen. Erst vor zwei Monaten setzte IBM den neuen Rekord von Qubits in einem Quantenprozessor auf 65. Bis 2023 plant das Unternehmen, diese Zahl auf 1000 zu erhöhen. Google will das mit einer Millionen Qubits innerhalb von 10 Jahren übertrumpfen.
Ionen als Qubits
Google und IBM verwenden für ihre Quantenprozessoren sogenannte supraleitende Qubits. Das sind winzige Schaltkreise, die bis nahe an den absoluten Nullpunkt (-273°C) gekühlt werden müssen. Infineon und die Universität Innsbruck beschreiten einen anderen Weg. Sie verwenden Ionen, also geladene Atome, die mithilfe elektrischer und magnetischer Felder festgehalten werden. Mittels kleiner Schwingungen um ihre Ruhelage kommunizieren die Ionen miteinander und können so verschränkt werden. Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt sind dafür nicht notwendig.
Für den Prototyp hat das Forscherteam die zum Fangen von Ionen notwendigen Elektroden auf einem Mikrochip integriert. Dieser ist kleiner, billiger und leichter zu produzieren als herkömmliche Ionenfallen. Statt von Elektroden umringt zu sein, schweben die Ionen dicht über der Oberfläche des Chips. Die Idee von Ionenchips ist nicht neu, sie wurde unter anderem bereits von Nobelpreisträger David Wineland in Boulder (Colorado) und Ferdinand Schmidt-Kaler von der Universität Mainz verwendet. Das von Christopher Monroe und Jungsang Kim gegründete US-amerikanische Unternehmen IonQ plant bereits Ionenchip-Quantenprozessoren zu kommerzialisieren. Auf den neuen Halbleiterchips von Infineon werden jedoch mehrere Ionenreihen zu einem zweidimensionalen Gitter kombiniert. Diese Anordnung erhöht die Anzahl von Ionen pro Chip - das zurzeit größte Problem von Ionen-Quantenprozessoren - und verleiht ihnen mehr Flexibilität.
Um die Mobilität der Ionen zu verbessern, hat das Forscherteam die Ionenfalle mit einem Shuttleservice ausgestattet. Wird die Spannung am Mikrochip geändert, lassen sich die Ionenreihen auf dem Chip hin und her verschieben. Das Ionenshuttling soll in Zukunft dazu genutzt werden, die Rechenoperationen durchzuführen. Bevor dies möglich ist, müssen jedoch diverse Störquellen ausgemerzt werden.
Die Stabilität von Qubits ist, neben ihrer Anzahl, eines der größten Probleme beim Bau eines Quantencomputers. Quantensysteme sind sehr sensibel und verlieren bereits bei kleinsten Störungen ihre Quanteneigenschaften. Als Folge dessen gibt ein Quantencomputer mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein falsches Ergebnis aus. Ionen-Qubits sind stabiler als supraleitende Qubits, aber die Rechenoperationen damit sind auch langsamer. Daher müssen Ionen länger in ihrem Zustand verharren als supraleitende Qubits, um die gleiche Zahl Operationen auszuführen.
Alle bisher realisierten Quantencomputer sind noch sehr fehleranfällig. Dies wird als NISQ-Ära bezeichnet (für Noisy Intermediate Scale Quantum). Das bedeutet, die Anzahl der Qubits ist bereits groß genug (intermediate scale), um komplexe Probleme zu lösen, jedoch werden die Ergebnisse durch Rauschen verfälscht (noisy). Der heilige Gral des Quantencomputing ist ein Gerät mit eingebauter Fehlerkorrektur. Die Idee ist, den Fehler eines Qubits mithilfe zusätzlicher Qubits zu korrigieren. Wie viele Qubits zur Fehlerkorrektur benötigt werden, ist noch unklar, doch vermutet wird ein Verhältnis von 1:10. Da die Anzahl an Qubits zur Zeit der limitierende Faktor ist, sind fehlertolerante Quantencomputer noch nicht realisierbar.
Wer das Rennen für sich entscheidet und den ersten kommerziellen Quantencomputer entwickelt, der relevante Probleme lösen kann, ist noch offen. Viele Forschergruppen erwarten den Durchbruch innerhalb der nächsten 10 bis 20 Jahre.
Laptops und Smartphones mit Quantenpower werden wir allerdings nicht so bald erwarten können, da die Funktionsweise von heutigen Quantencomputern dafür nicht geeignet ist. Andererseits war es vor 70 Jahren ebenfalls undenkbar, dass wir heute alle kleine Hochleistungsrechner in der Hosentasche tragen.
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