Bei Bedarf: Krieg

Welche Außenpolitik ist von Joe Biden zu erwarten? Bislang haben Demokraten wie Republikaner einen aggressiven Kurs verfolgt.

  • Johannes Simon
  • Lesedauer: 9 Min.

Lame Duck, Lahme Ente, nennen Amerikaner einen Präsidenten, der die Wahl schon verloren hat, aber immer noch im Amt ist. Meistens passiert dann nicht mehr viel. Doch Donald Trump nutzt jetzt die Gelegenheit, um eines seiner Wahlkampfversprechen einzulösen: Er befahl, den Großteil der US-Truppen aus Afghanistan abzuziehen, auch aus dem Irak sollen 500 Soldaten abziehen. Zuvor hatte Trump seinen bisherigen Verteidigungsminister gefeuert, der sich gemeinsam mit mehreren Generälen gegen die Entscheidung ausgesprochen hatte. Der Nato-Vorsitzende Jens Stoltenberg warnte vor einem »Terror-Kalifat«, das nun in Afghanistan entstehen könnte, sogar der Anführer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, der sonst darauf achtet, loyal gegenüber Trump aufzutreten, nannte die Entscheidung einen Fehler.

Joe Biden hat im Wahlkampf zwar auch angekündigt, die Truppenpräsenz in Afghanistan und im Irak langfristig zu reduzieren. Doch wäre er als Präsident vermutlich dem ursprünglichen Plan des Pentagons gefolgt, nach dem Truppenabzüge vom Verlauf der Verhandlungen mit den Taliban abhängig gemacht werden. Joe Biden steht für eine Rückkehr zu einer traditionellen US-Außenpolitik. Er war einer der wichtigsten Befürworter des Irakkrieges und hat gute Beziehungen zur Rüstungsindustrie. Sein kürzlich vorgestelltes Team für die Übernahme des Pentagons besteht aus erfahrenen Insidern, viele arbeiteten schon unter Obama in der Regierung.

Steht also mit einem demokratischen Präsidenten wieder eine Rückkehr zum alten Modus amerikanischer Außenpolitik an, inklusive militärischer Interventionen? Und ist der rechte Republikaner Trump tatsächlich ein Kriegsgegner oder war seine Politik lediglich Ausdruck von neuen weltweiten Machtverhältnissen?

Um die US-Politik zu verstehen, hilft ein Blick in die Vergangenheit: Jahrzehntelang war die amerikanische Außenpolitik von einem stabilen, parteiübergreifenden Konsens geprägt. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sich beide Parteien einig, dass die USA offensiv Weltpolitik betreiben müssen, um den Kommunismus zu besiegen. In den 1930er Jahren hatten sich noch die »Isolationisten« unter dem Slogan »America First« gegen einen Kriegseintritt der USA eingesetzt; viele von ihnen sympathisierten mit dem Faschismus. Doch nach dem Krieg wurden die Isolationisten in der republikanischen Partei endgültig marginalisiert. Fortan zeichneten sich die Republikaner durch besondere Härte im Kampf gegen die Sowjetunion aus - das war Nixons und Reagans Markenkern.

Früher profitierten die USA von einer »liberalen« Weltordnung

Auch nach Ende des Kalten Krieges bestand der Konsens in der US-Außenpolitik zunächst weiter. Für diese breite Übereinkunft des außenpolitischen Establishments prägte ein Berater von Obama den Begriff des »Blobs«. Gemeint ist das Geflecht der professionellen Außenpolitiker, die ständig zwischen Regierung, Think-Tanks und Rüstungsfirmen hin und her wechseln. Sie teilen im Wesentlichen eine gemeinsame Weltsicht: Die USA müssen - politisch und militärisch - globale Führungsmacht sein, um die »internationale liberale Ordnung« zu verteidigen und auszuweiten. Sollten sich die USA aus dieser Rolle zurückziehen - etwa die Nato schwächen oder das globale Handelssystem durch Protektionismus in Frage stellen - drohe Instabilität und der Aufstieg der Autokratien. Auch sei es Aufgabe der USA, die Gegner dieser liberalen Ordnung zu bekämpfen und kleinzuhalten: die »Schurkenstaaten« wie den Iran oder Nordkorea, aber auch »revisionistische« Mächte wie Russland, das sich nicht in die amerikanisch dominierte Ordnung einfügen, sondern eine eigene Einflusssphäre behalten wollte.

Diese Großstrategie könnte man »liberale Hegemoniestrategie« nennen, weil sie das Nationalinteresse der USA gerade darin sah, möglichst weltweit eine liberale Ordnung nach amerikanischen Vorstellungen zu etablieren. Das schloss ab den 1990er Jahren die Wirtschaftsordnung ein (die Gründung der Welthandelsorganistation WTO etwa), aber auch »democracy promotion«, »humanitäre Interventionen«, die Expansion der Nato, das Sanktionsregime gegen »Schurkenstaaten« wie den Irak - und die Integration Chinas in den globalisierten Kapitalismus. Als wirtschaftlich und militärisch stärkstes Land würden die USA in einer solchen »offenen« Ordnung automatisch an der Spitze stehen, so die Überlegung. Diese Sicht der Dinge war parteiübergreifend Konsens, erst seit dem Scheitern des sogenannten Kriegs gegen den Terror und dem Aufstieg Chinas wird sie zunehmend in Frage gestellt.

Doch gab es auch schon in den 90ern wieder eine »isolationistische« Strömung bei den Republikanern, die wie in den 30ern nationalistisch geprägt war. Prominentester Vertreter war Patrick Buchanan, der 1992 versuchte, republikanischer Präsidentschaftskandidat zu werden. Er vertrat einen konservativen, einwanderungsfeindlichen Nationalismus, stand aber auch gegen Freihandel und die Rolle der USA als »Weltpolizisten«. Doch setzte sich diese Strömung bei den Republikanern nicht durch. Vielmehr konnte George W. Bush nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 noch einmal den konservativen Nationalismus mit weltweiten imperialen Ambitionen zusammenbringen.

Erst nachdem das krachend gescheitert war - und seitdem die Globalisierung für viele Menschen in den USA immer bedrohlicher wurde - konnte sich mit Trump die »isolationistische« Strömung wieder durchsetzen. Er brach tatsächlich mit dem bisherigen außenpolitischen Konsens. Im zurückliegenden Wahlkampf stellten sich über 70 ehemalige republikanische Außenpolitiker in einem offenen Brief hinter Joe Biden. Besonders die Neokonservativen sind Trumps größte Gegner und im Grunde zu den Demokraten übergelaufen.

Worin liegt dieser Bruch zwischen Trump und dem »Blob«? Trump forderte, die Rolle der USA als Führungsmacht einer »liberalen Ordnung« aufzugeben und stattdessen den nationalen Alleingang zu wagen. Bündnisse wie die Nato, große Freihandelsabkommen und die WTO, der Anspruch, weltweit »demokratische Werte« zu verbreiten: das alles war bisher die (praktische wie ideologische) Stütze der US-Weltpolitik, die Trump einreißen wollte.

Doch gerät leicht in Vergessenheit, dass er nie wirklich als Kriegsgegner aufgetreten ist. An den Kriegen im Mittleren Osten störte ihn vor allem, dass sie verloren wurden und man »nicht mal das Öl mitgenommen hat«. »Dumm« war aus Trumps Sicht die lange Besatzung und generell die Vorstellung, die USA sollten ihre Außenpolitik an Konzepten wie Demokratie und Menschenrechte ausrichten. Den »Krieg gegen den Terror« lehnte Trump nicht ab, als Präsidentschaftskandidat forderte er, nicht nur Isis-Terroristen zu töten, sondern auch deren Familien. Auch kündigte er an, wieder Folter einzusetzen, »selbst wenn es nichts bringt. Sie haben es verdient.«

In der Praxis regierte Trump dann auch oft wie ein aggressiver Neokonservativer, indem er etwa Druck auf Venezuela und auch Russland ausübte. Vor allem der Konflikt mit dem Iran wurde von ihm angeheizt. Laut der »New York Times« soll Trump letzte Woche noch erwogen haben, Luftschläge gegen den Iran zu veranlassen. Auch das Militärbudget wurde in Trumps Amtszeit deutlich erhöht. Seine »isolationistischen« Instinkte waren immer stark eingeschränkt, durch den Staatsapparat, aber auch durch die Tatsache, dass die Macht der USA in der Welt nach wie vor auf globalem Freihandel, der Dollar-Dominanz und militärischer Macht basiert.

Durch den Aufstieg Chinas ist die US-Strategie in die Krise geraten

Trump stellte vor allem auf der ideologischen Ebene den Konsens der US-Außenpolitik in Frage. Doch lief er dabei in vieler Hinsicht offene Türen ein. Die »liberale Hegemoniestrategie« war schon vor ihm in die Krise geraten - wegen der verlorenen Kriege, aber auch wegen des relativen Abstiegs der USA und dem Aufstieg Chinas. Die USA müssten sich langfristig aus dem Mittleren Osten eher zurückziehen, sich auf China konzentrieren, und die Globalisierung bewusster steuern und regulieren, um ihre industriell-technologische Vormachtstellung zu bewahren: Das dachte im Grunde bereits der demokratische Präsident Obama. Trump hat es nur vehementer ausgedrückt und dann auch verfolgt. Inzwischen ist die Anti-China-Haltung in den USA parteiübergreifend Konsens, nur über die beste Strategie wird gestritten.

Allerdings formuliert Joe Biden seine Strategie in Begriffen der traditionellen Außenpolitik: Er will auf Bündnisse, Multilateralismus und »Werte« setzen. Doch traditionelle US-Außenpolitik meint eben auch militärische Dominanz, im Zweifelsfall auch Interventionen. Die Demokraten sind somit mehr als je zuvor die Heimat des »Blobs«, während die Republikaner zwischen traditionellen Falken und Trumps isolationistischem Nationalismus schwanken. Seit Trumps Wahlsieg hat sich auf der Rechten eine Ablehnung der bisherigen »expansiven« US-Außenpolitik verfestigt.

Da das Establishment in beiden Parteien lange Zeit einen gemeinsamen außenpolitischen Konsens vertrat, gibt es in den USA seit Trumps Wahlsieg die Tendenz, dass linke und rechte Kritiker des »Blobs« zusammenfinden. Ein Beispiel ist das 2019 gegründete Quincy Institute for Responsible Statecraft, der vielleicht erste außenpolitische Thinktank, der die traditionelle, expansive US-Außenpolitik grundlegend ablehnt und »Zurückhaltung« fordert. Er wird von rechten, aber auch von liberalen Geldgebern finanziert, und beschäftigt neben Linken auch konservative Denker.

Doch noch haben solche Strömungen keinen Einfluss auf die US-Außenpolitik. Die militärische Präsenz der USA im Nahen Osten, die Drohnenkriege, das Bündnis mit Saudi-Arabien und die harte Haltung gegen Russland - das alles wird von keiner Partei ernsthaft in Frage gestellt, auch nicht von Biden.

Aus der Sicht der deutschen Staatsführung war Bidens Wahlsieg wohl eine positive Nachricht, denn er hat eine Stärkung der Bündnisse und des Multilateralismus angekündigt. Auch wird Biden wohl zum Iran-Atomabkommen zurückkehren.

Allerdings werden die transatlantischen Konflikte nicht einfach verschwinden - um Deutschlands Militärausgaben etwa, oder um Nord Stream 2. Die Vormachtstellung der USA erodiert immer mehr und, sie haben immer weniger Interesse, Deutschland und Europa als privilegierte Verbündete zu behandeln. Deshalb versucht die EU zunehmend, eigenständige Machtmittel aufzubauen, »strategische Autonomie« war das Schlagwort der vergangenen Jahre. Doch ist Deutschland mit dem bisherigen transatlantischen Bündnis gut gefahren und hat wenig Interesse, das Ende dieses Arrangements zu beschleunigen. So reagierte die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer auf Bidens Wahlsieg letzte Woche mit einem Gastbeitrag, in dem sie forderte, die »Illusionen über eine europäische strategische Autonomie« aufzugeben. In einer Grundsatzrede am Dienstag bestärkte sie, dass Europa militärisch weiter auf die USA angewiesen sei.

Auch eine signifikante Entspannung des China-Konfliktes wird es unter Biden nicht geben. »Die USA müssen hart gegen China vorgehen« schrieb Biden vor der Wahl in einem programmatischen Text. Doch wolle er dabei mehr auf Bündnisse »mit anderen Demokratien« setzen. Möglicherweise wird ein Präsident Biden versuchen, die EU in eine gemeinsame Front gegen China zu bringen. Doch könnte es auch hier zu transatlantischen Konflikten kommen. In ihrer Rede vom Dienstag sagte Kramp-Karrenbauer, Deutschland könne mit den USA eine »gemeinsame Agenda« im Umgang mit China finden, setzte aber hinzu: dort, »wo es mit unseren Interessen vereinbar ist«.

China ist neben den USA Deutschlands wichtigster Wirtschaftspartner. Das traditionelle Rezept der US-Außenpolitik würde ein geschlossenes westliches Bündnis anstreben, das unter amerikanischer Führung weltweit seine Ordnungsvorstellungen durchsetzt. Doch diese Zeiten sind endgültig vorbei. Aus der »unipolaren« Weltordnung der 1990er Jahre ist eine »multipolare« geworden, in der sich Europa mit der aufsteigenden Weltmacht China arrangieren muss.

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