Maßnahmen für mehr Selbstversorgung
Agrarexperte fordert weitergehende Strategie für Kubas Landwirtschaftssektor
Weniger importieren, mehr im Land produzieren - das ist das Gebot der Stunde in Kuba. Damit steht Kubas Agrarsektor im Zentrum der Reformbemühungen der Regierung, um der wirtschaftlichen Krise und der daraus resultierenden Lebensmittelknappheit zu begegnen. Künftig dürfen Landwirte direkten Groß- und Einzelhandel betreiben, solange sie die Regierungsquoten erfüllen. Auch erhalten sie Zugang zum Außenhandel. Darüber hinaus lockert die Regierung einige Preiskontrollen. Damit wird die bisherige Monopolstellung des staatlichen Abnehmers Acopio beendet.
Innerbetrieblich können zukünftig Arbeitskräfte und Erntehelfer leichter eingestellt werden. Zudem können Landwirte Dünger, Traktoren und andere Betriebsmittel gegen Devisen einkaufen. Der Zugang zu Krediten und anderen Finanzierungsinstrumenten soll erleichtert werden.
Seit 2019 haben die verschärften US-Sanktionen zu einem dramatischen Rückgang der Importe von Kraftstoff, Düngemitteln und anderen landwirtschaftlichen Betriebsmitteln geführt. Der coronabedingte Einbruch des Tourismus hat die für die Einfuhr von Lebensmitteln und Produktionsmitteln erforderlichen Deviseneinnahmen weiter schrumpfen lassen.
Kuba importiert noch immer mehr als zwei Drittel seiner Lebensmittel und gibt dafür jährlich rund zwei Milliarden US-Dollar aus - viel Geld angesichts der chronisch klammen Staatskasse. Die Produktion stagnierte in den vergangenen Jahren und ging laut Schätzungen 2020 dramatisch zurück. Für dieses Jahr hat die Regierung noch keine Daten veröffentlicht.
»Um die 30 Pfund Obst und Gemüse monatlich pro Kopf zu garantieren, benötigt das Land rund 154 000 Tonnen landwirtschaftliche Produkte«, sagte Landwirtschaftsminister Gustavo Rodriguez Rollero, als er die Maßnahmen Anfang November im staatlichen Fernsehen ankündigte. »Diesen Monat fehlen uns landesweit über 50 000 Tonnen, und allein in Havanna stehen lediglich 15 000 der benötigten 29 000 Tonnen bereit«, skizzierte der Minister die dramatische Lage. Sichtbar wird dies an den oft schlecht gefüllten Bauernmärkten und den langen Warteschlangen vor Lebensmittelgeschäften.
Ein weiteres Problem ist, dass die derzeitigen Preise für Lebensmittel in keiner Relation zu den Einkommen eines erheblichen Teils der Bevölkerung stehen. In der Coronakrise sind viele Produkte nochmals teurer geworden und nicht selten nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich.
Bereits seit 2007 hat die kubanische Regierung eine Reihe von Veränderungen in der Landwirtschaft in Gang gesetzt. Preisreformen, Dezentralisierung von Entscheidungen, neue Formen landwirtschaftlicher Kommerzialisierung und die Ausweitung der Nutzung von staatlichem Land durch Kooperativen und Kleinbauern sollten helfen, die Effizienz des Sektors zu verbessern und die Lebensmittelproduktion zu steigern. Viele dieser Reformschritte wurden im Laufe der Zeit jedoch wieder rückgängig gemacht.
Kubas stark zentralisierte Agrarpolitik steht schon länger in der Kritik von Ökonomen. Die nun verabschiedeten Maßnahmen »wurden in der Vergangenheit ausführlich vorgeschlagen und erörtert, so dass die kubanische Regierung sich der Schritte bewusst ist, die zur Reform des Agrarsektors erforderlich sind«, sagt Mario A. Gonzalez-Corzo, Experte für kubanische Landwirtschaft von der City University of New York. »Bis heute scheint es jedoch keinen ausreichenden politischen Willen zu geben, um diese Reformen und eine tiefgreifende Ausweitung der Eigentumsrechte umzusetzen, die zur Umgestaltung des Agrarsektors der Insel nötig sind.«
Die Ausweitung des Nießbrauchs - also der Nutzung von staatlichem Land, ohne es zu besitzen - sei ein Schritt in die richtige Richtung, so der Experte. »Nießbrauchsverträge sollten über 25 Jahre hinaus ausgedehnt werden«, hatte er bereits früher vorgeschlagen. »Wie in China und Vietnam sollte den Bauern nach einer bestimmten Frist die Option eingeräumt werden, das Land oder einen Teil davon vom Staat zu kaufen.«
Gonzalez-Corzo fordert weitergehende Schritte: »Die Produzenten benötigen mehr Freiheit und Autonomie, um wichtige Entscheidungen treffen zu können, beispielsweise wie viel und wie sie produzieren und an wen sie verkaufen. Die Ausweitung marktbasierter Mechanismen und erweiterte Eigentumsrechte wären sehr hilfreich, um diese Ziele zu erreichen.«
Den Landwirten müsse gestattet werden, an globalen Lieferketten teilzunehmen. Auslandsinvestitionen müssten zugelassen werden, um die Effizienz zu verbessern und Zugang zu Technologie zu erhalten, so Gonzalez-Corzo. »Bisher scheinen die in Kuba eingeführten Maßnahmen im Agrarsektor eher das Ergebnis der Not als Teil einer tiefgreifenden, umfassenden Strategie zur Umgestaltung dieses lebenswichtigen Sektors der kubanischen Wirtschaft zu sein.«
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.