Polarisierung führt zu Gewalt

Gabriele Krone-Schmalz sieht sich in einem zerstrittenen Land

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist kein weiteres Buch über Russland, wie man es von ihr hätte erwarten können. Dass sie schon mehrere zu diesem Thema geschrieben hat, könnte Gabriele Krone-Schmalz einwenden. Dennoch, es gäbe viel, was aktuell zu ergründen wäre.

Verständigung mit Russland, darum ist es ihr immer gegangen. Verständigung im eigenen Land ist ihr Thema nun. Dass man als »Russland-Versteherin« im politischen Betrieb auch in die Ecke gestellt werden kann, hat sie wohl nicht nur einmal schmerzlich erfahren. Da vermute ich in der Tiefe ihres aktuellen Textes auch ein persönliches Betroffensein. »Die Würde des Andersdenkenden« mahnt sie an und drückt eine Beunruhigung aus, die im derzeit angespannten politischen Klima viele teilen. »Demokratie kann nur mit interessierten, gut informierten und kompromissfähigen Bürgern funktionieren. Null-Bock-Zeitgenossen, Hysteriker und Wutbürger fahren das System an die Wand, und die Missionarischen, die sich stets auf der moralisch richtigen Seite wähnen, legen allzu oft ein zutiefst intolerantes Verhalten an den Tag, ohne es selbst zu merken.«

Ob solche Zerstrittenheit nicht doch bis zu einem gewissen Grade der Systemstabilität nützt, habe ich beim Lesen überlegt. Als Ablenkung, solange es nicht zu Unruhen kommt, wie sie inzwischen vielerorts in der Welt aufgeflammt sind und nur zur Verstärkung staatlicher Gewalt geführt haben. Da sind die Demonstrationen von Corona-Leugnern hierzulande ein Warnsignal: Polarisierung führt zu Gewalt. Insofern ist die Wortmeldung von Gabriele Krone-Schmalz höchst aktuell und wichtig. Mit der Absicht, etwas zu durchdenken, schreitet sie die Fronten ab, die sich zwischen verschiedenen Gruppen gebildet haben: »Deutsche gegen Flüchtlinge, Klimaleugner gegen Klimaretter, Alt gegen Jung.« Die AfD, der alltägliche Rassismus, das Reizthema Kopftuch, »das Sternchen und die Gleichberechtigung«, der Hype um E-Autos, der »Sarotti-Mohr« - fast nichts lässt sie aus, denkt über Mechanismen der Polarisierung nach, um die Aufgeregtheit aus den Debatten herauszunehmen und in zupackender, verständlicher Sprache für ein wenig mehr Gelassenheit zu werben. Dass sie auch Einwände herausfordert, Fragen, lässt die Wirkung des Buches umso lebendiger werden.

Nur zustimmen kann ich ihrem genau recherchierten Kapitel »Gute und böse Staaten«, in dem sie im Einzelnen die traurigen Folgen von versuchten »Regimechanges« (zum Beispiel in Syrien und Libyen) beschreibt. »Was im Westen als neue, liberale Weltordnung galt, die auf alternativlosen, universalen Prinzipien beruhte, wurde andernorts als liberale Variante des westlichen Imperialismus wahrgenommen.« Sie verhehlt nicht, dass die Einteilung in »gute und böse Staaten« aus den USA zu uns gekommen ist, und plädiert für eine Außenpolitik, die sich an den konkreten Lebensbedingungen der Menschen orientiert statt an abstrakten Schemata. »Das zeigt sich auch im Umgang mit Staaten, die sich nach völlig anderen Regeln organisiert haben als unser Land und Menschenrechte mehr oder weniger ignorieren.« Doch sind Menschenrechte nicht auch im sozialen Sinne zu verstehen?

Gewiss ist zwischen Armut und Armutsrisiko zu differenzieren, wie es die Autorin tut, und sicher sieht Armut hierzulande anders aus als in armen Ländern. Aber die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer tiefer und wird zunehmend als ungerecht empfunden. »Die derzeitige Armutsdebatte in Deutschland nützt den Armen nicht«, so wird im Buch Georg Cremer zitiert, bis 2017 Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes. Nicht durch rituelle Empörung würde ihnen geholfen, sondern durch »ebenjenes ›Klein-Klein‹ an konkreten Hilfen und Verbesserungen im Netz unseres Sozialstaates«. Darf die Forderung nach Umverteilung also nicht laut werden? Ist jede radikale Äußerung kontraproduktiv? Und sind die kleinen Schritte nicht auch erst zu erkämpfen? Hilft denn braves Abwarten, damit sich etwas zum Besseren bewegt?

Einmal mehr möchte ich den Soziologen Wolfgang Engler zitieren: »In allen vom Neoliberalismus umgegrabenen Gesellschaften haust massenhafte Wut.« Die mag zu Teilen irrational erscheinen, doch mit Beschwichtigungen ist »unser zerstrittenes Land« nicht zu heilen, zumal es auch international derzeit drunter und drüber geht. Es ist ein Wust von Problemen, die politische Lösungen verlangen, die auch erstritten werden müssen. Im Sinne des Systemerhalts sind Systemveränderungen vonnöten, wie sie wahrscheinlich auch kommen werden. Der Neoliberalismus war schon vor Corona in einer Krise und wird sich wandeln müssen. Was der Soziologe Andreas Reckwitz einen »einbettenden Liberalismus als Paradigma der Zukunft« nennt, bedarf sozialer Lösungen ebenso wie einer Verständigung kultureller Art.

Momentan allerdings ist noch nicht abzusehen, dass Wogen sich glätten, wie es das Anliegen dieses Buches ist. »Wutbürger« wird es nicht überzeugen, sie werden es nicht mal lesen. Seit 1972 beim Fernsehen tätig, von 1987 bis 1991 Moskau-Korrespondentin der ARD und anschließend Moderatorin des »Kulturweltspiegels«, wendet sich die Autorin wohl vornehmlich an ihre Kolleginnen und Kollegen in den Medien, die sich nicht selten als »Schulmeister der Nation« aufspielen und als »Aufmerksamkeitshändler« ihren Teil zur aufgeheizten Atmosphäre beitragen. Nach dem Motto »Zoff sells«, wie sie es nennt - aber auch einfach deshalb, weil die Zuspitzung einer polemisch vorgetragenen Meinung leichter zu haben ist als tiefgründige Analyse. In der Zeitnot, bei dem Arbeitsdruck, dem Journalisten unterliegen, werden sie ausgelaugt, gehen schöpferische Impulse, geht auch Widerspruchsgeist verloren, jene Kraft, die so nötig wäre für einen gesellschaftlichen, humanen Fortschritt, der die Voraussetzung für inneren Frieden wäre.

Gabriele Krone-Schmalz: Respekt geht anders. Betrachtungen über unser zerstrittenes Land. C. H. Beck, 174 S., br., 14,95 €.

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