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Auf dem Weg zur nächsten NPD
Debatte zum weiteren Umgang mit der AfD entbrannt
Eines hat die AfD geschafft: Nachdem die Partei über Monate im Schatten der Coronakrise deutlich weniger Aufmerksamkeit erhielt, änderte sich dies durch die Vorfälle vergangene Woche im Reichstag schlagartig. In Mittelpunkt der Aufregung standen dabei mehrere Gäste, die auf Einladung von AfD-Abgeordneten Zugang zum Reichstag erhielten und diese Chance nutzen, um Politiker der anderen Parteien zu bedrängen. Ihr Ziel: Die Parlamentarier von einer möglichen Zustimmung zur Reform des Infektionsschutzgesetzes abzubringen. Zwar bemühte sich AfD-Fraktionschef Alexander Gauland den Eklat zu relativieren und versuchte es mit einer halbherzigen Entschuldigung, doch der Vorfall scheint etwas bei den Vertretern der demokratischen Parteien ausgelöst zu haben.
Dieses Mal blieb es nicht bei den nach jedem Eklat folgenden kritischen Worten gegen die Rechtsaußenpartei. Spitzenpolitiker aller Parteien forderten, dass sich am Umgang mit der AfD etwas ändern müsse. Eine folgenlose Rückkehr zum alltäglichen Parlamentsbetrieb könne es nicht geben. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach sich dafür aus, der AfD künftig den Zugang zu parlamentarischen Ämtern zu verwehren. Als Beispiel nannte er den wichtigen Posten des Bundestagsvizepräsidenten. Eine Fraktion, die sich derart »unparlamentarisch« verhalte wie die AfD, dürfe einen solchen Posten nicht besetzen.
Rechtlich ist das nicht einfach. Laut aktueller Geschäftsordnung des Bundestages steht jeder Fraktion mindestens ein Amt als Vizepräsident zu. Ähnlich verhält es sich bei der Besetzung des Vorsitzes von Bundestagsausschüssen. Derartige Veränderungen der Geschäftsordnung rechtssicher zu gestalten, sei »alles andere als eine leichte Übung«, so Dobrindt. Doch der CSU-Politiker hält solche Maßnahmen für notwendig: Die AfD sei »auf dem Weg, die nächste NPD zu werden«. Unterstützung erhielt Dobrindt von Parlamentsgeschäftsführer Patrick Schnieder (CDU). Ironie an der Forderung ist allerdings, dass die Rechtsaußenfraktion seit mittlerweile drei Jahren gar keinen Bundestagsvizepräsidenten stellt. Seit Beginn der laufenden Legislaturperiode verweigern die demokratischen Fraktionen jedem von der AfD aufgestellten Kandidaten ihre Zustimmung. Die AfD versucht ihrerseits, Druck aus der Debatte zu nehmen. Der Fraktionsvorstand beschloss am Dienstag, den Abgeordneten Petr Bystron und Udo Hemmelgarn für drei Monate jede Redemöglichkeit im Plenum zu entziehen. Beide Abgeordnete hatten jene Besucher eingeladen, die später Parlamentarier belästigten, bedrängten und beleidigten. Auch sollen bis Ende Februar Kurzinterventionen und Fragen von Bystron und Hemmelgarn unterbunden werden.
Maßnahmen von viel größerem Kaliber brachte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) diese Woche in die Debatte ein. Zumindest langfristig halte er ein Verbotsverfahren gegen die AfD für möglich. »Wenn diese Partei - was mich nicht wundern würde - weiterhin konsequent diesen Weg beschreitet, muss man irgendwann in den kommenden Jahren bei entsprechender Belegbarkeit auf allen Ebenen über ein Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nachdenken«, so Pistorius gegenüber der »Rheinischen Post«.
Die Formulierung enthält zwar viele Konjunktive und bleibt in ihrer Konsequenz äußerst vage, seine Wirkung verfehlte dieser Testballon allerdings nicht. Seit Niedersachsens Innenminister ihn steigen ließ, ist eine Debatte nicht nur darüber entbrannt, ob ein Verbotsverfahren gegen die AfD möglich ist, sondern auch über die Erfolgsaussichten. Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt reagieren Vertreter von FDP bis bis Linkspartei im Bundestag zurückhaltend. »Wir dürfen der AfD jetzt nicht die Möglichkeit geben, sich in der Opferrolle zu präsentieren«, so die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic. Auch Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch nannte die Diskussion »nicht hilfreich«. Linke-Parteichef Bernd Riexinger mahnte, ein AfD-Verbot würde das Problem mit Rechtsextremismus in Deutschland nicht lösen.
Etwas offener zeigten sich dagegen manche in den Ländern regierende Innenminister. »Es wird immer offensichtlicher, wie sehr die AfD als parlamentarischer Arm der Rechtsextremisten fungiert und versucht, die parlamentarische Demokratie von innen auszuhöhlen«, so Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Ein Verbotsverfahren sei dabei das allerletzte Mittel. »Aber auch das ist nicht mehr auszuschließen, wenn die Partei sich weiter radikalisiert.« Ähnlich sieht dies auch Herbert Reul (CDU), Innenminister in Nordrhein-Westfalen. Abwarten und mehr Fakten sammeln: Überraschend kommt diese Zurückhaltung der meisten Politiker nicht. Die Hürden für ein Parteiverbot sind in Deutschland hoch, ein Antrag beim Bundesverfassungsgericht müsste juristisch wasserdicht sein. Antragsberechtigt wären der Bundestag, der Bundesrat sowie die Bundesregierung.
In vielen Köpfen dürfte Pistorius’ Testballon Erinnerungen an das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren wecken. Im Januar 2017 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass an der verfassungsfeindlichen Gesinnung der NPD kein Zweifel bestehe, die Partei jedoch zum damaligen Zeitpunkt nicht das Potenzial hatte, die Demokratie in der Bundesrepublik zu beseitigen. Kurz gesagt: Die NPD ist zwar eine Nazipartei, politisch aber bedeutungslos.
Letzteres trifft auf die AfD nicht zu. Sie sitzt in allen 16 Landtagen, im Bundestag und im Europaparlament. Auch auf kommunaler Ebene ist die Partei vielerorts vertreten. Allerdings regiert die Partei bisher nirgendwo mit, Sondierungs-, geschweige Koalitionsgespräche gab es bisher nach keiner Wahl. Entscheidender Knackpunkt: Noch wird die AfD in ihrer Gesamtheit von den Behörden nicht als rechtsextrem eingestuft. Die Augen der Öffentlichkeit dürften daher in den nächsten Wochen auf das Bundesamt für Verfassungsschutz gerichtet sein. Wenn Anfang Dezember die Innenministerkonferenz tagt, ist auch der Leiter des Inlandsgeheimdienstes, Thomas Haldenwang, dabei. Es wird erwartet, dass sich der oberste Verfassungsschützer dazu äußert, ob die AfD in Zukunft als Gesamtpartei überwacht werden soll.
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Bisher stuft der Inlandsgeheimdienst nur Teile der Partei als »gesichert rechtsextremistisch« ein, konkret geht es um die schätzungsweise 7000 Anhänger des formal aufgelösten völkisch-nationalistischen »Flügel«. »Die Positionen des ›Flügel‹ sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar«, so Haldenwang dazu im März dieses Jahres. Auch die Nachwuchsorganisation »Junge Alternative« wird als sogenannter Verdachtsfall eingestuft. Konkret heißt das, im Fall der AfD-Jugend dürfen zur Beobachtung nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden.
In den Ländern ist es komplizierter. In Brandenburg wird der gesamte Landesverband seit Sommer überwacht, auch in Thüringen ist dies der Fall. Anders dagegen in Sachsen und Sachsen-Anhalt, dort sehen die Landesämter für diesen Schritt noch keinen Anlass, obwohl ehemalige »Flügel«-Kräfte hier ähnlich tonangebend sind. In Nordrhein-Westfalen wiederum gilt der Landesverband als sogenannter Prüffall, was eine Art Vorstufe zum Verdachtsfall ist. Einigkeit herrscht zwischen den 16 Landesämtern für Verfassungsschutz und dem Bundesamt also nicht.
Aus der Politik werden die Stimmen lauter, dies zu ändern: So forderte SPD-Chefin Saskia Esken zu Wochenbeginn, die Beobachtung der AfD auszuweiten. »Es ist dringend geboten, dass der Verfassungsschutz nicht nur die AfD, sondern auch ihre Vernetzung mit nationalen und internationalen Akteuren der rechtsextremistischen Szene beobachtet«, so die Parteivorsitzende.
Und die AfD? Die gibt sich in der Debatte empört und gleichzeitig gelassen. Gauland erklärte, man solle es vor dem Bundesverfassungsgericht ruhig auf ein Verbotsverfahren ankommen lassen. Die anderen Parteien würden nur versuchen, die AfD bei »jeder sich bietenden Gelegenheit zu diskreditieren«. Ob sich Karlsruhe mit der AfD irgendwann beschäftigt, ist derzeit noch nicht absehbar.
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