»Ja, meistens kommt es anders ...«

»Der Komet« - ein vergessenes Theaterstück, heute so aktuell wie vor 30 Jahren

  • Klaus Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.
»Ja, meistens kommt es anders ...«

Vor 30 Jahren erhellte das zeitlose alte Lustspiel »Der Komet« den endlich wieder vereinten Berliner Theaterhimmel. In einer Neufassung passte das Stück bestens ins Sommertheater 1990, erhellte den Mauerfall und die Wendezeit mit dem Verschwinden der DDR. Wunderbar - zur Premiere rieselte auch noch die D-Mark mit buntem Kometenschweif auf den Osten hernieder.

Die Marktwirtschaft mit Vielfalt, Überangeboten und der ersehnten Reisefreiheit war gekommen, ebenso wie sich Arbeitslosigkeit, Existenzängste und Ungewissheiten bei den Werktätigen zwischen Warnow und Werra, Oder und Elbe einschlichen. Und schon tauchten gutmütige Helfer wie besserwissende Absahner treuhänderisch auf.

So zu sehen im Bühnenstück »Der Komet«, das quasi als erste Gesamtberliner Theaterpremiere - fast nebenbei und heute vergessen - über eine Bühne in Berlin-Mitte ging. Weil es augenzwinkernd die Ereignisse der Wendewahnsinnszeit 1989/90 komödiantisch-schlicht begleitete und gut ankam, sei im 30. Jubiläumsjahr der deutschen Einheit daran erinnert.

In dem Stück geht es um einen kleinen Gauner, der Ängste vor einem angeblich drohenden Weltuntergang schürt, weil bald ein feuriger Meteor auf Berlin niedersausen und die Stadt zerfetzen wird. Vorher will der windige Bursche aber noch die flügge Tochter einer Bürgerfamilie freien und dann alles Hab und Gut der braven, fleißigen Leute übernehmen und bewahren, damit die Alten rein und arm die Erde verlassen können, während er mit dem schnöden Besitz zurückbleibt.

Die Posse »Der Komet« stammt vom Theater-Tausendsassa August Wilhelm Iffland (geboren 1759 in Hannover, gestorben 1814 in Berlin). Er war seinerzeit Generaldirektor des Königlich-preußischen Schauspielhauses am Gendarmenmarkt, wo er Anfang des 19. Jahrhunderts seinen »Komet« erstmals erfolgreich aufführte. Seitdem ging das Werk in allen deutschen Reichen, Zonen und Republiken, nicht nur in Berlin, über die Bühnenbretter. 1990 blinkte der »Komet« leider das bisher letzte Mal an der Spree.

Im sagenhaften Herbst 1989 hatten Macher aus dem Berliner Ensemble, vom Friedrichstadtpalast und vom Deutschen Fernsehfunk begonnen, an einer in die Zeit der sich anbahnenden »friedlichen Revolution« passenden Neufassung zu arbeiten. Diese kam zur rechten Zeit, zumal die Ostberliner Schöpfer den Stoff der fast täglichen gesellschaftlichen Umwälzungen nun inhaltlich und gestalterisch frei anpassen konnten. Und so singt Herbert Köfer in der Rolle des Familienvaters Balder im »Lied vom Andersdenken« augenzwinkernd mit Blick auf die entmachteten DDR-Oberen:

»Ein Herrscher hat Gesetze viel erlassen, um jeden Opponenten schnell zu fassen.

Doch plötzlich hat das Volk ihn selbst versenkt - nun herrscht er ganz woanders, als er denkt!

Da hat sich Freiheit einer nur genommen, trotzdem ist er ins Zuchthaus bald gekommen:

Zehn Jahre! Und keinen Tag hat man ihm geschenkt - und das nur, weil er anders hat gedenkt!«

Aber schon blickt der mündige Bürger auf sein neues Leben und singt:

»Doch jetzt ist eine bess’re Zeit gekommen. Wir alle haben uns selbst freigeschwommen.

Nun demokratisch werden wir gelenkt … la, la, la … die letzte Zeile hab’ ich mir geschenkt!«

Großes Gelächter und Beifall der Zuschauer für dieses Solo Köfers. Das Couplet beginnt übrigens mit den Worten des verunsicherten, den Kometenknall fürchtenden Herrn Balder:

»Ich selbst wollt’ 99 Jahre werden und lebte gottesfürchtig stets auf Erden.

Der Himmel ausgerechnet uns bedrängt - ja, meistens kommt es anders, als man denkt!«

Dass die Musik des Stückes ohrwurmverdächtig war, erkannten auch die Fachleute des Ostberliner Verlags Lied der Zeit. Sie ahnten: Dieses Schauspiel mit Musik, »Der Komet«, ist und wird ein guter Zeitzeuge der Berliner Theatergeschichte 89/90. Lied der Zeit schloss mit den Schöpfern Verträge ab und nahm das Stück in sein Programm. Doch meistens kommt es anders, als man denkt …

Die Zeit wendete auch das Schicksal des alteingesessenen volkseigenen DDR-Musikverlags, der alsbald abgewickelt und vom renommierten BRD-Verlag Schott Music International, Mainz einheitsvertragsgemäß als »Einrichtung« im »Anschlussgebiet« übernommen wurde. Seitdem dämmert »Der Komet« von Iffland, neu gefasst von Schauspieler Peter Bause, Texter Klaus Fisch, Komponist Henry Krtschil, ungespielt am Rhein dahin. Inzwischen findet man das Stück im Schott-Bühnenwerke-Katalog; Partitur und Textbuch stehen allen heutigen Iffland-Erben wie Interessenten zur Verfügung. Es gibt ja immer wieder Anlässe für eine Aufführung.

Nun schwebt seit Monaten wieder ein Komet, Corona geheißen, über dem Erdball, ist mehr oder weniger gelandet. Längst sind auch betrügerische Gesellen aufgetaucht, die sich an Coronas Busen ein Gütchen tun wollen. »Der Komet« ist übrigens eines jener Theaterstücke, bei dem alle Damen und Herren auf der Bühne mit heutigen Atemmasken spielen könnten, weil es darin ja ums Schützen, Durchkommen und Überleben geht.

Das »Lied vom Kometen« beschließt das heiter-ernste Theaterspiel mit einem Gesangssextett:

»Ein Komet wollt’ auf die Erde fallen und unser bisschen Glück zerknallen.

Doch der Komet, der traf uns nicht, verschont hat uns das jüngste Gericht!

Das Leben geht für alle weiter, ein bisschen sind wir jetzt gescheiter.

Die Welt, (die Mark), ist rund, der Tag wird bunt - na, wichtig ist:

Wir bleiben schön gesund!«

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