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Der Reporter im Wohnmobil
Moritz Wichmann war rund um die US-Wahlen auf Reportagereise in den Vereinigten Staaten
nd: Wie lange warst du in den Staaten?
Wichmann: Diesmal waren es 28 Tage.
War es schwer, zu Corona-Zeiten ein Visum für die USA zu bekommen? Das Land hat ja eigentlich die Grenzen geschlossen.
Nein, das Gespräch in der Botschaft dauerte nur zwei Minuten. Der Konsularbeamte fragte mich, was ich im Land machen will, und stellte mir dann eine Ausnahmegenehmigung »aus nationalem Interesse« aus. Ich schätze mal, er meinte das Interesse der USA. Genauer erklärt hat er das aber nicht.
Wie lief dann die Einreise?
Ich habe mich sofort testen lassen. New York hat die Pandemie mittlerweile sehr gut unter Kontrolle. Man testet kostenlos an vielen Stellen in der Stadt. Und nach ein bis drei Tagen hast du dein Ergebnis. Die Zeit habe ich genutzt, meine Reise und Themen zu planen. Nach knapp einer Woche hab ich dann meinen Camper übernommen und bin losgefahren.
Hatte das Wohnmobil alles, was du brauchtest, oder musstest du für eine frische Dusche oder eine warme Nacht auch mal ins Motel?
Ich hatte tatsächlich drei Nächte, in denen es Frost gab; einmal hat es sogar geschneit. Doch der Camper war mit einer Heizung ausgestattet. Leider hatte ich einige Tage Batterieprobleme, in einer Nacht wurde es sogar ziemlich kühl, weil wegen der leeren Batterie die Heizung nicht mehr anging. Aber sonst hatte der Camper alles. In den USA ist ja bekanntlich alles größer. Nicht nur die Packungen im Supermarkt, sondern auch die Wohnmobile. Das war eine kleine Einzimmerwohnung. Ohne Auto ist man in den USA auch aufgeschmissen. So aber hatte ich immer meine Basis dabei - und meinen Corona-Schutz. Ich konnte mich isolieren und musste nicht alle paar Tage ins nächste Hotel umziehen.
Durftest du überall nachts parken?
Man darf sich das nicht so romantisch vorstellen. Ich bin morgens nicht mit Blick auf den Ozean aufgewacht, sondern oft genug auf einem Walmart-Parkplatz. Manchmal haben mir Privatleute angeboten, in ihrer Auffahrt zu übernachten. Ich durfte sogar ihr WLAN nutzen, und sie haben mir eine Kabeltrommel rausgerollt, damit ich meinen Laptop aufladen konnte. Die Leute waren supernett.
Wie wichtig ist eine Themenplanung im Voraus? Könnte man auch ins Blaue hinein arbeiten?
Die ist total wichtig. In Deutschland hatte ich bei der täglichen Arbeit kaum Zeit dafür. Das kann einem auf die Füße fallen, wenn du vor Ort nicht die nötigen Kontakte bekommst. Das kostet dann wirklich viel Arbeit. Man kann schon probieren, irgendwo einfach vorbeizufahren, aber es klappt dann nicht immer. Ich hatte einer Kandidatin fürs Repräsentantenhaus schon Wochen vorher geschrieben, aber nie eine Antwort bekommen. Da musste ich es dann direkt versuchen - es war zum Glück kein Problem.
Wie schwierig war es, speziell in Zeiten von Corona, in Kontakt mit ganz normalen Menschen zu kommen?
Das Problem war vor allem, dass es kaum große Wahlkampfveranstaltungen gab, wo man sich unter die Leute begeben konnte. Donald Trump hat es gemacht. Aus journalistischer Sicht war ich dafür dann sogar dankbar, weil ich mir das anschauen und darüber schreiben konnte. Aber ansonsten waren auch auf den Straßen kaum Menschen unterwegs. Trotzdem habe ich immer wieder ein paar getroffen, und die Amerikaner sind insgesamt sehr offen und reden mit einem.
Wie war es bei Donald Trump? Seine Anhänger reden ja eher ungern mit den Medien. Half es dir, ein deutscher Journalist zu sein?
So genau weiß ich das nicht. Sie waren mir gegenüber nicht besonders kritisch, ich habe allerdings auch immer sofort erwähnt, dass ich für eine deutsche Zeitung schreibe. Ich schätze, das hat geholfen.
Unter ihnen sollen ja viele Anhänger der abstrusesten Verschwörungstheorien sein. Stimmt das?
Ich hatte damit gerechnet, viel davon zu sehen und zu hören. Mich hat dann aber überrascht, wie normal die Leute waren. Viele von denen waren das erste Mal da und wollten einfach mal Trump sehen. Ihre Stimmung war geprägt davon, ihre Lebensweise verteidigen zu wollen. Die liberalen Großstädte sind da weit weg.
Das heißt, in Deutschland hört man nur von den extremen Einzelfällen?
Ja, dabei gibt es immer Grautöne. Deswegen ist es so wichtig, rauszugehen und direkt mit Leuten zu reden.
Wie hast du die Wahlnacht erlebt?
2018 bin ich auf eine Wahlparty gegangen und habe von dort berichtet. Das gab es diesmal wegen der Pandemie nicht. Kein Jubel, keine Tränen der Enttäuschung. Ich bin bei einer Journalisten-Uni in Pittsburgh gelandet. Die Studenten haben eine Live-Sendung gemacht und mir einen Arbeitsplatz gegeben. Von dort aus habe ich live gebloggt. Aber ich konnte leider kaum Stimmen von den Parteien und ihren Anhängern sammeln. Um Mitternacht haben sie zugemacht. Also bin ich wieder zurück ins Wohnmobil und hab da noch einen Kommentar geschrieben.
Vier Wochen allein unterwegs und immer arbeiten. Kam irgendwann der Hammer der Erschöpfung?
Ja, als ich nach 18 Tagen wieder nach New York zurückkam. Da war die Luft raus. Ich musste sogar einen zugesagten Text absagen. Ich brauchte mal zwei, drei Tage Pause. Zuvor hatte ich mir die nur einmal für ein paar Stunden gegönnt, als ich von Buffalo ein paar Meilen weiter zu den Niagarafällen gefahren war.
Nach der Rückkehr hast du keinen Urlaub gemacht. Du arbeitest wieder.
Ja, mein Resturlaub ist schon verplant. Ich will bald ein paar Tage segeln gehen.
Verdient hast du es dir. Vielen Dank!
Moritz WichmannDer 33 Jahre alte Redakteur des Online-Ressorts beim »nd« studierte in Berlin Politik und Soziologie, 2012 und 2013 auch in New York City. Dort wurde er zum US-Politik-Junkie. Heute schreibt er regelmäßig für die Print- und Online-Ausgabe des »nd« über die Politik in den USA. Nach 2018 (Zwischenwahlen) und 2019 (zum Parteitag der Democratic Socialists of America) führte ihn Mitte Oktober erneut eine Reportagereise in die USA - zu den Präsidentschaftswahlen. Was er dort erlebt hat und wie die Corona-Pandemie die Arbeit beeinflusste, erzählte er nach seiner Rückkehr nach Berlin Oliver Kern (siehe auch: Podcast Max und Moritz).
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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