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Stolz und Bühne
In der Sky-Serie »Betty« kämpfen fünf New Yorker Skateboarderinnen energisch um den Respekt
Die Frau - und daran dürfte auch eine Handvoll geduldeter Quotenexemplare auf Vorstandsetagen vorerst wenig ändern - hat wie vor 100 Jahren ihren fest gefügten Platz in der Gesellschaft: und zwar am Rande. Zuhause überlässt ihr der männliche Mainstream zwar weiterhin gerne die Schaltzentrale; außerhalb der eigenen vier Wände aber geht sie - die Bundeskanzlerin ist die sprichwörtliche Ausnahme von der Regel - den Herren der Schöpfung wie eh und je aus der Sonne. Und das gilt offenbar selbst dort, wo Frauen derart lässig, hip und taff sind, als wollten sie noch maskuliner sein als Männer - im Skatepark.
Für Ältere kurz zur Erklärung: Skateparks sind betonierte Hindernisparcours, in denen coole Boys waghalsige Tricks auf vier Rädern vollführen, während ihnen süße Girls dabei zusehen und dafür gemeinhin »Betty« genannt werden - aus feministischer Sicht ein ähnlich fortschrittlicher Begriff wie »Fräulein«. Dass eine HBO-Serie, die fünf ebenso coole wie süße Skaterinnen durch den misogynen Alltag einer New Yorker Funsportanlage begleitet, »Betty« heißt, ist also ein wenig irreführend - sind doch zumindest drei von ihnen nicht nur exzellent auf dem Brett, sondern auch noch bis zur Schnappatmung Außenstehender lässig, hip und tough.
Dummerweise stehen Janey, Honeybear, Kirt, Indigo und Camille trotzdem im Schat-ten selbstverliebter Platzhirsche, die das angesagte Waschbetonschlachtfeld kanisterweise mit Testosteron imprägnieren. Wenn eine von ihnen zu Beginn stolz ihre Riesenprellung am Hintern fotografiert, danach todesmutig durch den täglichen Stau zur Skaterbahn rollt, dort allerdings allein unter Jungs »ganz schön voll hier« nuschelt, bleiben sie alle am Ende doch irgendwie Bettys. Und sind wohl gerade deshalb fünf der authentischsten Filmcharaktere in 10 000 Jahren Patriarchat.
Die Hauptdarstellerinnen sind nämlich allenfalls halbfiktionale Entsprechungen ihrer eigenen Coming-of-Age-Realität. Und das spürt man in jedem Moment von Chrystal Moselles sechsteiliger Tragikomödie, die auf ihrem eigenen Independent-Film »Skate Kitchen« basiert: Die burschikose Rampensau Kirt (Nina Moran), ihr bildhübscher Ghettokumpel Janay (Dede Lo-velace), das wohlhabende It-Girl Indigo (Ajani Russell), die schüchterne Videobloggerin Honeybear (Kabrina Adams) und - ein wenig außerhalb des flamboyanten Quartetts - Rachelle Vinberg als begabte Skaterin Camille, die sich nichts sehnlicher wünscht als Bestätigung vom virtuosen Bambi (Edmund Donovan).
Sie alle erscheinen äußerlich locker, sind jedoch innerlich verbissen auf der Jagd nach Respekt von männlicher Seite. Mithilfe dieser glaubhaften Teenager skizziert Showrunnerin Moselle nun erneut das ambivalente Leben emanzipierter Frauen im tradierten Geschlechterverhältnis. Und wie 2018 im Kino, geht sie auch am Fernsehbildschirm weit über den genretypischen Schauwert einer urbanen Skateboard-Community hinaus. Im Spannungsfeld von Anspruch und Wirklichkeit moderner Feministinnen wird »Betty« zum Selbstermächtigungsfernsehen der besten Art: sensationell unterhaltsam, bei aller Lässigkeit verblüffend tiefgründig, gendertheoretisch gewissenhaft.
Spätestens an dieser Stelle nun könnte es didaktisch werden, gar moralisierend. Genau das aber verhindert Moselles vorwiegend weibliches Team, indem es seine Figuren sechs Folgen lang so sein lässt, wie sie eben sind. Wenn die einen in der ersten Folge Camilles gestohlenen Rucksack suchen, während die anderen beim freundlichen Dealer Farouk (Reza Nader) die Zeit verdampfen, klingt das entsprechend wie in der ersten Folge von »Biene Maja«, die den Premierentag auf einer Blume vertrödelt, während eifrige Ameisen darunter beim Beutezug ächzen.
Und so geht die Suche nach Stolz und Bühne im postheroischen Zeitalter mit tiefenentspannter Ernsthaftigkeit weiter: Frau lebt ihr Leben, Mann das seine. Es geht um Würde und Spaß, also alles oder nichts. Nur, dass dies selten mit so beiläufiger Dringlichkeit geschildert wurde wie seit dem Wochenende auf Sky. Und für Skater dürfte der Hinweis wichtig sein: »Betty« zeigt Skaterentertainment deluxe.
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