Aus dem Ruder gelaufen

Polizei räumt nach Demonstration in Leipzig Fehlverhalten ein - Journalisten kritisieren Behinderung

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

»Das Leben beginnt, wo Herrschaft aufhört« stand auf einem Transparent. Mehrere Hundert Menschen hatten sich am Sonntagabend im Leipziger Stadtteil Connewitz versammelt, um gegen extrem rechte Strukturen in der Polizei zu demonstrieren. »Rechte AkteurInnen in Polizei, Geheimdiensten und Justiz aufdecken« lautete der offizielle Titel, »Kampf den FaschistInnen in Uniform« das Motto. Der 13.12. war nicht zufällig als Termin gewählt. Die entsprechenden Buchstaben des Alphabetes stehen für »All Cops Are Bastards« (»Alle Polizisten sind ...«, kurz: ACAB). Der autonome Protest war gemäß der Corona-Relegungen als stationäre Kundgebung zugelassen, dennoch setzte sich ein Teil der Demonstrationsteilnehmer später in Bewegung. Die Kundgebung lief vorerst noch weiter, wurde dann aber von den Beamten beendet.

Die Polizei war am Sonntag in Connewitz mit einem Großaufgebot vertreten, darunter mit Einheiten der Bundespolizei, vier Wasserwerfern und einem Hubschrauber. Nachdem einige Demonstranten losziehen wollten, kam es zu Auseinandersetzungen zwischen ihnen und Beamten. Dabei ging die Polizei laut Augenzeugenberichten und Videoaufzeichnungen teils mit brutaler Gewalt vor. Demonstranten wiederum hatten Böller und Flaschen geworfen sowie Pyrotechnik gezündet.

In Onlinemedien kursierende Videos zeigen das harte Vorgehen der Beamten: Ein Demonstrant fällt beim Versuch wegzurennen zu Boden; ein vorbeikommender Polizist hält an, schlägt dem Protestierenden gezielt auf den Kopf und geht weiter. Kollegen schreiten bei der Szene nicht ein. Ein anderes Video zeigt, wie ein Beamter der Bundespolizei einen Kameramann am Filmen hindern will und in die Kamera greift. Mehrere Journalisten hatten sich im Laufe des Abends beschwert, bei der Arbeit behindert worden zu sein. »Journalisten werden weggeschubst, wenn sie näher als fünf Meter an der Polizeikette stehen, und nicht durch Absperrungen gelassen«, sagte der ARD-Journalist Aiko Kempen. Auch der Autor Michael Kees berichtet im Leipziger Stadtmagazin »Kreuzer« von Behinderungen.

Weitere Aufnahmen zeigen, wie ein mutmaßlicher Anwalt mit seinem Mandaten sprechen will, aber von einem Polizisten daran gehindert wird. Als er nach der Dienstnummer des Beamten fragt, droht dieser mit einer Anzeige.

Mehrere Reporter berichteten, dass die Polizei die stationäre Kundgebung zerschlagen hatte, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Versammlung noch friedlich gewesen sei. Bundespolizisten seien etwa »ohne Vorwarnung« auf den Herderplatz gestürmt und hätten die noch laufende Kundgebung auflösen wollen, schrieb der MDR.

Die Polizei hatte bei dem Einsatz nach eigenen Angaben eine Person vorläufig festgenommen und die Identität von 114 Teilnehmern festgestellt. Ermittelt werde wegen zehn Straftaten, darunter Landfriedensbruch, Körperverletzung, Verstöße gegen das Waffengesetz, Sachbeschädigung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Drei Polizisten seien verletzt worden. Rund 40 Verstöße gegen die sächsische Corona-Schutzverordnung habe man zudem festgestellt. Aufgrund der Beschwerden von Journalisten und der geschilderten Videonachweise musste die Polizei dann doch eigenes Fehlverhalten einräumen: Der Polizeidirektion sei ein Journalist bekannt, bei dem es zu Beschädigungen an der Kameraausrüstung gekommen sein soll. Es sei diesbezüglich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Man ermittele gegen noch unbekannte Beamte, die im Verdacht stehen, unverhältnismäßige körperliche Gewalt eingesetzt zu haben.

Am Montag äußerten auch Politiker Kritik an dem Einsatz. »Wenn selbst der Polizeisprecher Fehlverhalten einräumt und mehrere Anzeigen gegen noch unbekannte Polizeibeamte vonseiten der Polizei gestellt werden, ist klar, dass da was gewaltig aus dem Ruder gelaufen ist«, erklärte der Stadtrat und Grünen-Politiker Jürgen Kasek. Auch er hatte von Tritten und Schlägen gegenüber Pressevertretern berichtet. Die Linke-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel zeigte sich skeptisch, dass das Verhalten der Beamten Folgen haben wird. »Aufgrund mangelnder, weil politisch abgewehrter demokratischer Kontrollmechanismen« drohe es ohne Konsequenzen zu bleiben, erklärte sie in Onlinemedien. Die CDU Leipzig forderte indes ein Verbot des »menschenverachtenden Kürzels« ACAB.

Obwohl es eine verhältnismäßig kleine Demonstration war, hatten große Medien über die Eskalation der Proteste ausführlich berichtet, teils noch am Sonntag. Die Erzählung von »randalierenden Linksextremisten in Connewitz« scheint einfach zu verführerisch, um sie nicht bei jeder Gelegenheit aufzugreifen. Von mehreren Medien wurden dann auch wieder klassische journalistische Fehler begangen: Hauptbezugsquelle blieben oftmals polizeiliche Pressemitteilungen, obwohl die Behörde - in diesem Fall sogar offensichtlich - kein neutraler Akteur ist. Die Nachrichtenagentur dpa nennt die Demonstration dazu »polizeifeindlich« und gibt damit der Branche ein abwertendes Framing vor. Besagte Bezeichnung wurde etwa bei antirassistischen Protesten im Sommer nicht gewählt, obwohl diese sich auch gegen Polizeigewalt und rechte Umtriebe in den Sicherheitsbehörden gerichtet hatten.

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