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Klassenkampf im Weltraum
Von Baltimore bis Mars: Die Serie »Expanse« zeigt schonungslos die Materialität der Raumfahrt
»Je mehr Du teilst, desto reichhaltiger wird Deine Schale sein.«, ist ein kommunitärer und immer wiederkehrender Leitspruch der Belter. Sie sind die Bewohner des Asteroidengürtels in der Science-Fiction-Serie »Expanse«. Zu hören ist der Satz in der Kombüse eines Belter-Raumschiffs, als sich eine polyamor lebende und queere Crew vor dem Essen zuprostet. Die auf Raumstationen geborenen, proletarischen Belter, die wegen der Schwerkraftbedingungen im Weltraum größer und schlanker sind als die Menschen von der Erde, erleben im Zuge imperialer Handelsbeziehungen nicht nur eine brutale ökonomische Prekarisierung, sondern werden auch rassistisch ausgegrenzt. Dieser für die preisgekrönte Romanreihe und deren Verfilmung grundlegende Konflikt erlebt nun eine drastische Eskalation, denn jenseits ihrer Praktiken subalterner Solidarität beginnen einige Belter sich gegen die Erde militärisch zu organisieren. Wie konfliktreich innerhalb der eingangs erwähnten, wie in einer linken WG zusammenlebenden Crew von stylisch tätowierten Punks die politischen Ansichten angesichts eines heraufziehenden interplanetaren Krieges sind, buchstabiert die Serie gekonnt aus und zeigt, wie sich identitätspolitische, soziale und ökonomische Konfliktlinien überlagern und einander bedingen.
»Expanse« gehört definitiv zum Besten, was es derzeit im reichhaltigen Film- und Serienangebot in Sachen Science-Fiction und Weltraumsaga gibt. Mit der neuen Staffel ist gut die Hälfte der neunteiligen von Daniel Abraham und Ty Franck unter dem gemeinsamen Pseudonym James E. Corey geschriebenen Buchreihe verfilmt. Der abschließende neunte Romanteil wird im Oktober 2021 in die Buchläden kommen. Auf Amazon Prime wird es wöchentlich eine neue Episode bis Ende Januar geben. Ganz ähnlich wie bei der Serie »Star Trek Discovery«, die auf Netflix wöchentlich mit einer neuen Folge aufwartet. Wobei »Expanse« ein Stück weit das subkulturelle, proletarische Gegenstück zur »Star Trek«-Welt mit ihren blank gewienerten und aseptischen Oberflächen und einer oftmals arg aufgesetzten Moral ist. Allein die Raumfahrt in »Expanse«, die vor allem kapitalistische Wertschöpfungsketten in einem militarisierten Weltraum und großmachtpolitische Ränkespiele zwischen Erde, Mars und dem Asteroidengürtel in Szene setzt, ist knallharte, fast schon fordistisch wirkende Arbeit. Da wird mit riesigen Schraubschlüsseln in verdreckte Schotts gekrochen, Kabel hängen von der Decke und aus ranzigen Sicherungskästen, die Stühle in den Raumschiffen sind abgenutzt oder gleich aufgeschlitzt, Displays auch mal zerbrochen und in der Kombüse wird noch selbst gekocht, während Jean Luc Picard bei »Star Trek« ganz distinguiert per Touchscreen seinen Earl-Grey-Tee aus dem Replikator lässt.
»Expanse« wurde in den Feuilletons schon mehrfach für die vergleichsweise realistische Inszenierung von Raumfahrt und dem möglichen Funktionieren eines Turbokapitalismus im Kosmos gelobt. Wobei diese Mitte des 24. Jahrhunderts angesiedelte Fiktion angesichts einer Industrie von Luxemburg bis Kalifornien, die gerade den Sprung in den Weltraum zum Ressourcenabbau von Helium 3 und anderen Stoffen plant und vorbereitet, durchaus aktuelle ökonomische und politische Begehrlichkeiten verarbeitet. Die USA haben vor einem Jahr mit der »United States Space Force« sogar eine eigene neue Waffengattung für den Weltraum aus der Taufe gehoben und den für 2028 geplanten Mondflug vier Jahre vorverlegt. Und auch Amazon-Chef Jeff Bezos - ein passionierter Science-Fiction-Fan, der sich schon einmal einen Gastauftritt in einem »Star Trek«-Film erkaufte und »Expanse« quasi gerettet hat, nachdem die nicht gerade günstige Serie vom ursprünglichen Sender SyFy nach Staffel 3 abgesetzt werden sollte - hat mit seiner Firma »Blue Origin« auch Aktien im Weltraumgeschäft und der NASA kürzlich eine neue Mondlandefähre verkauft.
Wobei es in »Expanse« natürlich noch etwas fantastischer zugeht als in der hiesigen kapitalistischen Realität. Zwischen der Bedrohung durch eine die menschliche Vorstellungskraft übersteigende Alien-Technologie, diversen interplanetaren Atomwaffenarsenalen und einem entgrenzten imperialistisch geförderten Ressourcenabbau und dem dazugehörigen Handel, fliegen die Hauptfiguren der Serie, die Crew-Mitglieder des nach Don Quijotes Pferd Rocinante benannten Raumschiffs, gegen autoritäre Bürokraten und politische Großmachtambitionen an - so wie auch einst der Ritter gegen die Windmühlen. In Staffel fünf ist die Crew der Rocinante aber erst einmal in alle Winde verstreut, so dass die Serie nicht nur auf Raumstationen, im Asteroidengürtel, auf dem Mond, Mars und diversen Raumkreuzern spielt, sondern auch auf der Erde in einem heruntergekommenen, von Drogenhandel und Gangkämpfen geprägtem Baltimore.
Da die Gräben in dieser konfliktreichen fiktionalen Welt mit ihren unzähligen Schauplätzen auch zwischen den einzelnen Parteien und Fraktionen, aber auch mitten durch die Crew der Rocinante, verschiedene andere Gruppierungen und diverse Familien gehen, wird in der Serie in einem fort um identitätspolitische Zuschreibungen und Konzepte gestritten, aber auch gegen soziale Unterschiede und nicht selten ums nackte Überleben gekämpft. In »Expanse« gibt es, im Gegensatz zu »Star Trek«, keine übergeordnete strahlende Ethik oder Moral: Alles muss ausgehandelt und erkämpft werden. Und niemand kann für sich reklamieren, eindeutig auf der richtigen Seite zu stehen. Statt einer unterkomplexen Schwarz-Weiß-Dichotomie, wie oft in Fantasy und Science-Fiction, lebt die Erzählung in »Expanse« von allen möglichen Schattierungen.
Hier wird jedoch ohne moralisierendes Pathos gestritten. Stattdessen erinnert die eine oder andere Szene in »Expanse« an ein derbes popkulturelles Sozialdrama inklusive Prügeleien, Schreikrämpfe und Alkoholmissbrauch. Die Serie inszeniert konsequent die Materialität der Raumfahrt mit all ihren physischen, psychischen, sozialen und kulturellen Folgeerscheinungen. Beispielsweise tut das Reisen mit überschneller Geschwindigkeit hier im wahrsten Sinn des Wortes weh und die Crews müssen immer wieder Drogen nehmen, um die physische Belastung im Weltraum auszuhalten. Die Titel gebende Weite (»Expanse«) ist kein ideeller Wert, sondern etwas ganz Materielles, woran sich die kämpfenden Figuren dieser Serie in einem fort und ziemlich hart abarbeiten.
»Expanse«, verfügbar auf Amazon Prime
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