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Kein gutes Haar
Kriminalgeschichten aus der Sowjetmoderne: Am Beispiel von Kasimir Malewitsch und seinen Zeitgenossen erkundet das Kölner Museum Ludwig Probleme der Kunstfälschung
Der Verräter war blau. Manganblau, um genau zu sein. Wie eine ferne Erinnerung an das Meer leuchtet das Pigment aus der facettenartig zerschnittenen Dingwelt des kubofuturistischen Stilllebens heraus. Angeblich wurde das Bild von der Moskauer Revolutionskünstlerin Ljubow Popowa gemalt. Ebenso angeblich soll das im Jahr 1914 geschehen sein. Doch es gibt ein Problem: Besagtes Manganblau, das die chemische Untersuchung in der Farbschicht ermittelte, wird erst seit 1935 hergestellt, Popowa lebte da schon nicht mehr. Ein Befund, der bei Fachleuten die Alarmglocken läuten lässt! Dem Museum Ludwig in Köln gehören insgesamt rund 600 weitere Werke aus der Zeit der Russischen Avantgarde. Fast alle gelangten sie aus dem Besitz des Stifterehepaars Peter und Irene Ludwig an das Haus. Mittlerweile wurden wesentliche Teile des Konvoluts auf Herz und Nieren untersucht. Und siehe da: Neben Popowas Komposition mit der falschen Farbe stehen 22 weitere Werke aus dem Konvolut unter dem schlimmstmöglichen Verdacht, dem ein Kunstwerk ausgesetzt sein kann: nicht authentisch zu sein.
Normalerweise hängen Museen solche Fälle nicht gern an die große Glocke, doch die Kölner entschlossen sich zur Flucht nach vorn. »Original und Fälschung« heißt eine derzeit geschlossene, aber gut im Internet dokumentierte Werkstattausstellung, die am Beispiel der frühen Sowjetmoderne von dem Bilderfake und seinen Hintergründen erzählt. Wie viel Sprengstoff die Thematik birgt, zeigt nicht zuletzt eine juristische Auseinandersetzung im Vorfeld. Die Galerie, bei der die Ludwigs seinerzeit viele der fraglichen Werke erworben haben, verklagte das Museum Ludwig auf Herausgabe seiner Ermittlungsergebnisse. Erst vom Oberverwaltungsgericht Münster wurde das Ansinnen der privaten Kunsthändler gestoppt.
Es ist kein Zufall, dass sich in westlichen Kunstsammlungen gerade unter Gemälden aus der Russischen Avantgarde viel Gefälschtes befindet. Stalin hat die Abstraktion der frühen Revolutionsjahre in die Museumsdepots verbannt, auch in Mitteleuropa setzte eine breitere Rezeption erst in den 60er Jahren ein. »Dadurch, dass diese Kunst jahrzehntelang verborgen war, besaß man im Westen wenig Kenntnis über die Akteurinnen und Akteure, ihr jeweiliges Oeuvre und ihre künstlerische Praxis«, sagt Rita Kersting, stellvertretende Museumsdirektorin und Mitkuratorin der Ausstellung. »Peter Ludwig musste auf die vom Kunsthandel vorgelegten Echtheitszertifikate vertrauen.« Doch leider spielte die politische Eiszeit des Kalten Krieges auch zwielichtigen Geschäftemachern in die Hände. Wer mehr über die Provenienz wissen wollte, kam nicht sehr weit. Denn Kommunikationskanäle zwischen den Systemfeinden bestanden kaum, wichtige russische Archive blieben westlichen Wissenschaftlern verschlossen. Erst nach 1989 begann sich die Lage zu verändern.
Seitdem sind die Entstehung und die früheren Besitzverhältnisse musealer Objekte aus Russland besser rückverfolgbar. Außerdem verfügen die Restauratoren über immer feinere Analysetechniken. Elektronenmikroskopie, Röntgenaufnahmen oder die C14-Methode zur Datierung von Materialien. So kam bei einem Bild der 1942 gestorbenen Nina Kogan heraus, dass die Pflanzen für die Leinwandfasern 1960 noch auf einem Feld gestanden haben. Eine andere Unstimmigkeit ließ eine Ilja Tschaschnik (1902-1929) zugeschriebene Gitterkomposition auffliegen. Die Restauratoren entnahmen eines der Pinselhaare, die sich beim Malprozess gelöst hatten und in der Farbe kleben blieben. Es bestand aus Polyamid. Zu Lebzeiten des Künstlers nutzten Pinselfabrikanten den Kunststoff noch gar nicht.
Aufwändige Laborverfahren sind allerdings nie der erste Schritt. Bereits untypische Motive oder Farbformstrukturen lassen die Bilderdetektive aufhorchen. Ebenso wie eine zu große Ähnlichkeit mit gesicherten Arbeiten des mutmaßlichen Urhebers. Ein früher Alexandra Exter zugeschriebener Kostümentwurf für Oscar Wildes »Salome« zum Beispiel überträgt lediglich eine weitgehend identische Gouache der Künstlerin in ein Gemälde. Hat Exter sich etwa selbst plagiiert?
Den Anfangsverdacht, so Kersting, begründe gewöhnlich die stilkritische Betrachtung. »Wenn es kunsthistorische Zweifel gibt, dann findet man hinterher meist auch ein naturwissenschaftliches Indiz.« Die Schau bietet eine ganze Reihe solcher Kriminalfälle, die zeigen, wie spannend Kunstgeschichte sein kann. Man lernt, Bilder mit den Augen eines Sherlock Holmes zu sehen. Sogar kleinste Details können viel ausplaudern. Einlieferungsvermerke, Signaturen, Pinselführung. Oder das Craquelée, jenes Netz feinster Risse in der Farbe, das bei natürlicher Alterung entsteht. Um ein früheres Entstehungsdatum vorzutäuschen, versuchen Ganoven oft, Mikroschäden mechanisch zu erzeugen. Eine grobmaschigere Netzstruktur deutet darauf hin.
Wer sich durch die Online-Dokumentation der Forschungsergebnisse klickt, dem wird auffallen, dass Werke mit strittiger Urheberschaft dort in der Regel unter der Rubrik »unbekannter Künstler« auftauchen. Von »Fälschungen« spricht auch Rita Kersting nicht gern: »Der Begriff impliziert einen Betrugsvorwurf, den wir aus juristischen Gründen lieber vermeiden möchten.« In der Tat lauert nicht hinter jeder Fehlzuschreibung sofort die Kunstmafia. Schon bei den vielen Rembrandts, die das 20. Jahrhundert als nicht eigenhändig identifiziert hat, handelt es sich nur bedingt um Täuschungen. Meist wurden diese Gemälde von Assistenten nach Weisung des Meisters vollendet. Oder von Künstlern, die das große Vorbild zu Trainingszwecken nachschufen. Auch die Kölner kennen ein Beispiel für eine solche ehrliche Kopie. 1962 machte sich der Pole Henryk Stazewski daran, Kasimir Malewitschs »Suprematistische Komposition, Flugzeug fliegend« abzumalen. Nicht als Fälschung, sondern als Trost für ein Museum in Lodz, das keinen Original-Malewitsch besaß.
»Russische Avantgarde im Museum Ludwig - Original und Fälschung. Fragen, Untersuchungen, Erklärungen«, bis 7. Februar 2021. Das Museum ist derzeit geschlossen, aber es gibt ein digitales Angebot unter: www.museum-ludwig.de
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