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Er wollte die Grenzen des Ichs sprengen
Eine Erinnerung an den Schriftsteller Hadayatullah Hübsch
Am 4. Januar jährte sich zum zehnten Mal der Tod des Schriftstellers Hadayatullah Hübsch. An einem Dienstagvormittag hatte er sich nach der Verrichtung des Morgengebets Fadschr in seinem Arbeitszimmer zum Schlafen gelegt und war nicht wieder aufgewacht. Am 8. Januar 2011 wurde er auf dem Südfriedhof in Frankfurt am Main bestattet. Er hinterließ seine aus Indien stammende, zweite Frau (die erste war früh gestorben), acht Kinder und zehn Enkel. Zu seinem Totengebet kamen Tausende Muslime aus ganz Deutschland angereist. Heute wäre er 75 geworden.
Hübsch war Beat-Lyriker, Glücksucher, APO-Aktivist, Ostermarschierer und Atomwaffengegner, psychedelischer Abenteurer, Collage-Künstler, Kommunarde, Islamgelehrter und Laienprediger … Aber vor allem war er ein begnadeter Live-Performer, der seinen ganzen Körper einsetzte und seine Texte zum Leuchten brachte. Über Dekaden hat er als pazifistische Ein-Mann-Armee mit ausgeprägtem Sendungsbewusstsein die Bühnenliteratur der Bundesrepublik geprägt. Er katapultierte den US-Beatnik-Style in die deutsche Sprache und revolutionierte das deutsche Langgedicht. Seine von Ernst Jandl und Allen Ginsberg beeinflusste Lyrik war rhythmisch, voll von fantastischen Wortspielereien und definitiv nichts für Infarktkandidaten.
2003 publizierte der Ariel Verlag aus dem südhessischen Riedstadt den Band »Die ersten 100 … Bücher von Hadayatullah Hübsch aus über 30 Jahren Subkultur in Deutschland« um wenigstens etwas Ordnung in die völlig unübersichtlich gewordene Produktivität des Altmeisters zu bringen. Erstmals lagen mit dieser Sisyphusarbeit alle bibliografischen Angaben zu seinem Werk gesammelt vor.
Er wurde als Paul-Gerhard Hübsch in Chemnitz geboren. Eine großbürgerliche Familie: Der Vater, NSDAP-Parteimitglied, war Manager bei der AEG, einem Unternehmen also, das im Nationalsozialismus von der Zwangsarbeit in KZ und sogenannten Arbeitserziehungslagern profitierte. Nach dem Krieg flüchtet die Familie nach Laubach (Oberhessen). Hübsch muss wegen »aufsässigen Verhaltens« mehrfach die Schule wechseln. Er kommt in Kontakt mit marxistischen Gruppen und lehnt das schulische Lernen mehr und mehr ab. Was ihn viel mehr interessiert sind Musik und Literatur, zunehmend Politik. Er engagiert sich beim Ostermarsch, organisiert Demos gegen das Militär. Hübsch verweigert den Dienst an der Waffe und tritt seinen Ersatzdienst an einer Blindenschule in Marburg an, einer Universitätsstadt, die berühmt ist für ihre kommunistischen Studenten. Diese Arbeit ist ihm aber »zu langweilig«, er beschließt eines Tages, dort »einfach wegzugehen«.
Er geht nach Frankfurt und widmet sich ganz seinen Gedichten: »Ich glaubte, im Sozialismus bereits meine Heimat gefunden zu haben. Ich war Atheist, gab eine eigene Literaturzeitschrift heraus und war bald in Deutschland als revolutionärer Jungdichter bekannt«, äußert er sich später über diese Zeit. Bereits 1965 publiziert er in einer Anthologie von Peter Rühmkorf. 1967 startet er mit dem Autor und Herausgeber Hansjürgen Bulkowski sowie einer »Free-Group« unter dem Namen »Beat & Lyrik« eine Tour durch Nordrhein-Westfalen, zu der die Massen strömen. In diesem Sommer glaubt er an den Gegenkultur-Star Timothy Leary und wirft das erste Mal LSD ein. Auf seinen Lesungen preist er künftig nicht die Vorzüge des Herrn, sondern diese Droge der »Bewusstseinserweiterung«. Geld, Karriere und Macht sollen keine Rolle mehr spielen dürfen. Zudem sind da diese Botschaften aus dem Orient, die er diffus vernimmt: »Von Erleuchtung war die Rede, tibetische Gebetsfahnen hingen in unseren Buden, die Revolution und die Evolution zu neuen Bewusstseinsstufen hin wucherten in unseren Köpfen. Es gab keine Klassen mehr, nur noch eine Szene.« Er leitet das Programm des damals bekanntesten politisch-literarischen Clubs, dem Club Voltaire. Im Frühjahr 1968 schmeißt er hin. Die Widersprüche bei den sozialistischen Studenten scheinen ihm zu groß, Hübsch wird Hippie. Am 1. Mai 1968 eröffnet er in der Bockenheimer Landstraße 87 im Frankfurter Westend ein Kellerlokal namens »Heidi Loves You«-Shop, aus dem er Platten, Raubdrucke und ein breit gefächertes Sortiment an Drogen an Hippies und GIs verscherbelt. Ende September wird der Laden nach einer Razzia geschlossen, weil »Pidschie« ohne Konzession Alkohol ausgeschenkt habe und weil die sanitären Einrichtungen »unzureichend« seien. 35 Personen werden festgenommen. Der Frankfurter SDS-Rädelsführer Hans-Jürgen Krahl muss sein Feierabendbier fortan woanders schlürfen. Im November erscheint das »Weiße Album« der Beatles.
Hübsch aber hat die Faxen dicke. Er nimmt den Flieger nach Westberlin, will jetzt Kommunarde werden. In der »Kommune I« führt er das Haschrauchen ein. Zum Jahreswechsel 1968/69 mixt er sich einen STP-Cocktail (Amphetamine und Halluzinogene) und wacht eine Woche später wieder auf - in »Bonnies Ranch«, der Psychiatrie in Wittenau. Der Rechtsanwalt des Luchterhand Verlags, wo kurz darauf Hübschs erstes Buch »Mach, was du willst« erscheint, kloppt ihn da wieder raus. Er meint rückblickend: »Der Sozialismus hatte nicht gehalten, was ich mir von ihm versprochen hatte.«
Nun dealt Hübsch im großen Stil. Er ist 23 und kann nicht mehr schreiben. Als ihm auch der Zen-Buddhismus nicht mehr weiterhelfen kann, reist er mit seiner Freundin Heidi Ende 1969 nach Marokko. Dort hat er ein Gotteserlebnis, eine religiöse Erweckung, und konvertiert in der Folge zum Islam - immer noch besser als Heroin oder bewaffneter Untergrund. Er schließt sich der Reformbewegung »Ahmadiyya Muslim Jamaat« an. Seine ungebrochene Beziehung zum Islam wird ihn rasch zum Outlaw stempeln: »Als ich 1969 zum Islam konvertierte, wurde ich für verrückt gehalten. ›Der ist jetzt bei Science Fiction‹ war noch eine der harmlosesten Äußerungen aus der Szene der 68er, mit denen meine Abkehr von der Lebenseinstellung ›High sein, frei sein, ein bisschen Terror muss dabei sein‹ kommentiert wurde.«
Hübsch weiß nun, dass der wahre »Dschihad« der gegen sich selbst ist. Er meint auch, dass man nur dann die Welt verändern kann, wenn man versucht, selbst so gut wie irgend möglich zu sein. Hippie oder Ahmadi, wichtig war ihm nur, die Grenzen des Ichs zu sprengen. Orient und Okzident waren eins in ihm, das falsche Leben hatte er für immer in der Warteschleife endgeparkt.
1992 lernte ich Hadayatullah, mit dem ich bis dato nur eine Briefkorrespondenz hatte, persönlich kennen. Er war bereits in der von mir herausgegebenen Literaturzeitschrift »Der Störer« erschienen und hatte mir auch Beiträge für die Anthologie »In Deutschland nichts Neues. Gedichte, Essays & Kurzgeschichten wider den Rassismus« (1992) zur Verfügung gestellt. In der Szene war Hübsch so ziemlich verpönt, wurde oft abfällig als »Ayatollah« verspottet. Er arbeitete unter anderem als Pressesprecher für Ahmadiyya Muslim Jamaat und propagierte als »einer der prominentesten deutschen Konvertiten« einen »liberalen Islam«, wie es der hessische Justiz- und Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) nach seinem Tod ausdrückte. Hübsch war so liberal, dass er nicht nur im Fernsehen in Talkshows, sondern auch seinen politischen Todfeinden den Islam erklärte.
In den 1990ern lud ich ihn nach Braunschweig zur Lesung ein: »Notizen aus dem Wunderland«. Hübsch kam (mit Jinnahkappe, einer Kopfbedeckung, die in Pakistan von Gutsituierten getragen wird), sah und siegte. Es war der Beginn einer Freundschaft. Wir lasen und performten zusammen in Universitäten und auf Punk- und Beat-Festivals. Wir waren im rasenden Wahn. Verfassten zusammen Kettengedichte. Hadayatullah war mir immer ein spiritueller Ratgeber.
1993 folgte dann Hübschs bundesweite Auferstehung bei dem vom mir ausgerichteten »1. Bundesweites Social-Beat-Literatur-Festival in Ostberlin«. Das »ND« hatte uns auf der Titelseite angekündigt und eine Sonderseite gewidmet. 1995 gab er im Druckhaus Galrev den Reader »Social Beat D« heraus, in dem acht Lyriker vorgestellt wurden. Er schrieb: »Dahlmeyer gilt als Mann der ersten Stunde des Social Beat (...), seine Zeitschrift STÖRER wird immer mehr zum Kulminationspunkt der Social-Beat-Schreiber.« Hübsch ist einer, der fehlt. Auch wenn er immer bei mir ist.
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