Justiz hofft auf großen Schlag gegen Mafia

Im süditalienischen Kalabrien wird dem organisierten Verbrechen ein riesiger Prozess gemacht

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Verfahren ist nach den Cosa-Nostra-Prozessen von 1986/87 der zweite Riesenprozess gegen das organisierte Verbrechen in Italien. Mehr als 350 Personen, die vor allem dem Umfeld von Mitgliedern der Macuso-Familie zugeordnet werden, sind unter anderem wegen Mafiazugehörigkeit, Mordes, illegalen Waffenbesitzes, Drogenhandels, Erpressung und Wucher angeklagt.

Schon im Vorfeld des Verfahrens wurde dem Prozess gegen die ’Ndrangheta große symbolische Wirkung attestiert. Der Staatsanwalt von Catanzaro, Nicola Gratteri, unterstützt von den beigeordneten Staatsanwälten Antonio De Bernardo und Annamaria Frustaci, will die Angeklagten nicht nur ihrer Verbrechen überführen und zu langjährigen Haftstrafen verurteilen lassen. Sein Hauptanliegen ist es, das Entstehen, die Wirkung und die Struktur der ’Ndrangheta, Italiens gefährlichster Mafia, aufzuzeigen. Demonstriert werden soll ferner, wie sich die mafiosen Strukturen in Gesellschaft und Politik etabliert haben. Der Prozess, so hofft Gratteri, wird auch die internationalen Verbindungen darstellen und dazu beitragen, dass auch außerhalb Italiens, so in den EU-Nachbarstaaten, das organisierte Verbrechen stärker bekämpft wird.

Für das Verfahren hat die Staatsanwaltschaft 913 Zeugen aufgeboten. Die hohe Zahl der Angeklagten und der Zeugen lässt eine Prozesszeit von mindestens zwei Jahren erwarten. Die Justizbehörden haben für das Verfahren, das unter strengsten Sicherheitsauflagen durchgeführt wird, ein früheres Callcenter im Industriegebiet von Lamezia Terme zu einem Hochsicherheitsbunker umbauen lassen, wie man ihn bislang nur aus dem berühmten Mafiaprozess von Palermo kannte. »Wir haben im Innern des Verhandlungssaals unter Beachtung der Corona-Auflagen Platz für 1000 Personen, weitere können über Videokonferenzen zugeschaltet werden«, erklärte Gratteri zur Logistik des Prozesses.

Allein 58 Kronzeugen, in Italien »Pentiti« genannt, sollen über die Machenschaften der ’Ndrangheta, insbesondere des Umfeldes von Mitgliedern der Mancuso-Familie aus Vibo Valentia, berichten. Unter diesen sind nicht nur ’Ndranghetisti, sondern auch Zeugen von der Camorra, der Cosa Nostra sowie der Sacra Corona Unita. Unter ihnen so bekannte Namen wie der des ehemaligen Richters Vincenzo Giglio (bereits verurteilt wegen seiner Verbindung zur Mafia), Pino Scriva (schon einmal in den 1980er Jahren Kronzeuge gegen die ’Ndrangheta) oder Gaspare Spatuzza (»Pentito« der Cosa Nostra aus Palermo, der im Verdacht steht, am Anschlag gegen den früheren Mafiajäger Paolo Borsellino 1992 beteiligt gewesen zu sein).

Staatsanwalt Gratteri hat langjährige Erfahrungen mit der ’Ndrangheta. »Ich habe die Clans bereits als Kind operieren gesehen«, erklärt der in Gerace im Kernland der Mafia geborene Jurist. Gratteri erlebte, wie Väter seiner Mitschüler erschossen wurden, verschwanden oder ins Gefängnis wanderte. Sein ganzes Leben widmete er dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen, ermittelte, war Leiter der Parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission, ist nun schon seit langem Anti-Mafia-Staatsanwalt im Süden. Ständig von der Mafia bedroht, leben Gratteri und seine Familie unter Polizeischutz.

Dem jetzt eröffneten Verfahren ging die Operation »Rinascita Scott« voraus. Dabei waren im vergangenen Dezember in Italien, der Schweiz, Bulgarien und Deutschland mehr als 450 Verdächtige dingfest gemacht und Güter im Wert von 15 Millionen Euro beschlagnahmt worden.

Die Justiz steht vor einer schwierigen Aufgabe: Einerseits kann sie - entgegen dem hierzulande üblichen langsamen Mahlen der Mühlen der Gerichte - in einem solchen großen Prozess einen harten Schlag gegen die ’Ndrangheta führen. Andererseits muss die Staatsanwaltschaft jedem einzelnen Angeklagten seine Taten in mühseliger Kleinarbeit nachweisen. Angesicht der weit verzweigten Verstrickungen der Mafia mit Wirtschaft und Politik kann sich das zu einer Sisyphusarbeit entwickeln. Auf den Verlauf des Verfahrens darf man gespannt sein.

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