»Ich habe dich vermisst«

Wollen Nordkoreas Image aufpolieren: In sozialen Medien wird der Alltag im Land sichtbar gemacht. Ist das Staatspropaganda?

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 5 Min.

»Hallo. Hier ist Un A aus Pjöngjang«, sagt die junge Frau mit der kantigen Brille und blickt betreten in die Kamera. »Vor kurzem wurde mein Youtube-Kanal ›Echo of Truth‹ gesperrt. Ohne Angabe von Gründen.« Ehe sie in fließendem Englisch weiterspricht, holt sie tief Luft. »Das Ziel, mit dem ich diese Arbeit begonnen habe, war die Korrektur der irreführenden Informationen über mein Heimatland. Und ich dachte, ich könnte versuchen, den Menschen zu zeigen, wie es hier wirklich ist.«

Wer die vorigen Clips dieser Vloggerin gesehen hat, erkennt sie sofort wieder. Bis Ende des vergangenen Jahres schlug Un A mit »Echo of Truth« recht hohe Wellen. Um die 2,5 Millionen Klicks hat sie mit ihren kurzen Filmchen aus Nordkorea erzielt. Warum es den Kanal nun nicht mehr gibt, ist nicht bekannt. Ihr kürzliches Beschwerdevideo hier- über, in dem sie Google dafür verantwortlich macht, wurde von einem Account namens »De olho na Coreia« (Portugiesisch für: Ein Auge auf Korea) hochgeladen. Dort findet sich auch wieder ihr älterer Content, der allemal bemerkenswert ist - allein, weil er eben aus Nordkorea kommt, dem wohl am dichtesten verschlossenen Land der Welt, wo es keine freie Presse gibt und der Bevölkerung der Zugang zum Internet versperrt wird. In ihren Videos spaziert Un A mal durch einen U-Bahnhof in Pjöngjang und fragt in die Kamera: »Ist das nicht schön hier?« Ein anderes Mal isst sie Pizza oder besucht ein Volksfest mit Feuerwerk.

In verschiedenen sozialen Medien sind in letzter Zeit Kanäle populär geworden, die ein positives Licht auf Nordkorea werfen. Beispielsweise der Twitter-Account @coldnoodlefan, der sich bis zu seiner Sperrung der Abbildung des Alltagslebens widmete. Immer wieder wird darüber spekuliert, wie authentisch diese Kanäle wohl sind. Auf den ersten Blick brechen sie mit so ziemlich jedem Klischee über das nordostasiatische Land. Bilder von Regierungschef Kim Jong-un sind zwar zu sehen, aber eher im Hintergrund. Die Videos sind professionell produziert in guter Soundqualität, mit hipper Hintergrundmusik und dynamischer Bildsprache. Da Menschen in Nordkorea nur ein staatlich kontrolliertes Intranet nutzen können, nicht aber Plattformen wie Youtube, ist außerdem klar: Solche Vlogs richten sich an ein Publikum, gegen das sich der Staat sonst mit aller Kraft abschottet - die Weltöffentlichkeit.

»Das ist definitiv Staatspropaganda«, sagt Vladimir Tikhonov, Professor für Kulturwissenschaften und Koreaexperte an der Universität Oslo. Schließlich sei es im hierarchischen Politiksystem Nordkoreas unvorstellbar, dass ein wichtiger Schritt wie der Launch eines Social-Media-Kanals ohne die Zustimmung von Kim Jong-un gemacht werde. Diese steilen Hierarchien seien auch der Grund, warum Nordkorea überhaupt erst vor kurzem damit begonnen habe, sich über soziale Medien zu präsentieren. Tikhonov, der in Russland aufwuchs, aber einen südkoreanischen Pass besitzt, verfolgt die nordkoreanische Selbstdarstellung schon länger. »Wenn ich die Propagandafähigkeiten bewerten müsste, würde ich Nordkorea auf einer Skala von A bis F mittlerweile ein schwaches B geben. Die machen immer noch zu viel Personenkult um Kim Jong-un und seine Vorfahren. Das schreckt ab.« Auch die in den staatlichen Online-Medien dominanten Berichte über erfolgreiche Ernteerträge oder Bauprojekte seien für ein internationales Publikum kaum ansprechend. Um erfolgreichere PR zu betreiben, mangele es den nordkoreanischen Medienstrategen an interkultureller Sensibilität. »Aber in den sozialen Medien merkt man, dass sie dazugelernt haben«, sagt Tikhonov. »In ihren Posts versuchen sie jetzt, folgende zwei Dinge zu zeigen: ›Wir sind modern. Und wir sind wie ihr da draußen‹.«

Zu dem Schluss, dass bei Un A Behörden ihre Finger im Spiel haben, kommen auch die auf Nordkorea spezialisierten Nachrichtenportale NK News und 38 North. Bei genauerem Hinsehen gibt sich Un A auch nicht als die typische Vloggerin: spitzfindig, polemisch, empörungslustig. Die junge Frau agiert stattdessen unmissverständlich als Botschafterin. Im Sommer besuchte sie zum Beispiel ihre alte Schule, Titel des Videos: »Ich habe dich vermisst.« Untermalt von sanfter Klaviermusik, die bald von aufgeweckten Beats angetrieben wird, sieht man ein frisch gestrichenes Eingangstor und uniformierte Schüler, die aus dem Bus steigen. Un A, diesmal im Lehrerlook mit weißem Hemd und schwarzem Rock, nimmt die Zuschauer mit in ein modernes Klassenzimmer voll braver Kinder, das nicht den Anschein macht, als wäre Nordkorea das arme Land, das es laut Beurteilungen von Experten und Geflüchteten ist.

Dass weltgewandt daherkommende, junge Personen über Nordkorea und aus Nordkorea berichten, war lange überfällig. Bisher kommen die meisten Eindrücke, die man aus dem Land zwischen China und Südkorea erhalten kann, von Flüchtlingen. Politisch fällen diese Personen - ob als Menschenrechtler oder Aktivisten für den Umsturz Kim Jong-uns - vor allem kritische Urteile. Sie betonen die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen und vielen Merkmale der Mangelwirtschaft. Ein Vlog wie der von Un A ist der Versuch, von diesen Realitäten abzulenken und ein alternatives Narrativ zu etablieren.

Und es scheint teilweise zu gelingen. Als der Kanal »Echo of Truth« vor gut drei Jahren online ging, gab es zunächst vor allem trockene, altmodisch erscheinende Dokumentarvideos über Nordkorea. Seitdem es die hippen Filmchen gibt, sind die Klick- und Kommentarzahlen angestiegen, das Publikum gewachsen. Dennoch hat Un A nicht annähernd so viele Zuschauer wie etwa die aus Nordkorea geflohene und nun in den USA lebende Buchautorin Jeonmi Park, die in ihrem eigenen Vlog eine viel weniger schöne Alltagsseite Nordkoreas bespricht.

Die gut 40 000 Abonnenten des Kanals »Echo of Truth« lassen sich offenbar auch von der Sperrung auf Youtube nicht beeindrucken. Nachdem Ende Dezember das Beschwerdevideo von Un A über den Kanal »De olho na Coreia« erschien, haben auch diesen schon 1200 Personen angesehen. Zudem gibt es auf Youtube weitere Kanäle aus Nordkorea: »New DPRK«, den nicht nur eine Vloggerin bespielt, sondern der mit wechselnden Protagonisten funktioniert, lud in der Vergangenheit vor allem Videos in koreanischer Sprache hoch - offenbar an ein Publikum in Südkorea gerichtet. Seit Kurzem sind sie mit Englisch untertitelt. Und auch dieser Kanal zählt mittlerweile eine Million Klicks.

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