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Plötzlich Bauboom
Landeseigene Wohnungsunternehmen können trotz Corona mehr Wohnungen fertigstellen
Eher beiläufig nennt Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) am Donnerstag die vorläufige Neubaubilanz der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften für 2020: Rund 5.100 Wohnungen haben die sechs Unternehmen demnach fertiggestellt. Das wären fast 1.000 Wohnungen mehr als der im Sommer 2020 vorgelegte Bericht der Bauverwaltung in Aussicht gestellt hatte. Bei der Stadtentwicklungsverwaltung ist man da etwas vorsichtiger. »Die Zahl beruht auf einer Prognose vom 30. September 2020«, sagt deren Sprecherin Katrin Dietl auf Anfrage von »nd«. »Die endgültigen Zahlen werden wir erst in rund zwei Wochen haben.«
Einen Einbruch gab es nach nd-Informationen bei den Baustarts. Nur rund zwei Drittel der geplanten Baubeginne für 10.000 Wohnungen fanden 2020 statt. »Wir brauchen gerade für unsere Zukunftsprojekte Genehmigungen und Abstimmungen«, sagt der Gesobau-Vorstandschef Jörg Franzen, der auch Sprecher der Landeseigenen ist. Das sei schwierig angesichts der coronabedingten Probleme in den Ämtern – mangelnde Homeoffice-Fähigkeit und Abstellung Beschäftigter zur Pandemiebekämpfung.
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Anlass der Online-Pressekonferenz ist die Vorstellung des Berichtes zur Entwicklung der Wertschöpfung der Wohnungsunternehmen von 2016 bis 2019. Erstellt wurde er in ihrem Auftrag vom Pestel-Institut. Er soll deren Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung Berlins aufzeigen. Für Güter und Dienstleistungen haben die Gesellschaften demnach 2019 fast 2,3 Milliarden Euro ausgegeben. 2016 waren es noch knapp 1,2 Milliarden Euro. Der Neubau ist der Hauptgrund für die steigenden Zahlen. 80 Prozent des Geldes sind demnach in der Hauptstadt geblieben, weitere zehn Prozent in Brandenburg.
Löhne, Sozialabgaben und Steuern hinzugerechnet, lag der wirtschaftliche Impuls 2019 sogar bei über 2,9 Milliarden Euro. 2016 waren es noch knapp 1,7 Milliarden. Dabei blieben 78 Cent von jedem Euro in Berlin, weitere zehn Cent flossen nach Brandenburg. »Das sind absolute Top-Werte, andere Unternehmen würden vielleicht auf 50 Cent kommen«, sagt Studienleiterin Karin Janssen.
»Im Vergleich zu uns würden bei der Deutsche Wohnen deutlich niedrigere Werte herauskommen«, so Gesobau-Chef Franzen. Und das sowohl beim Neubau als auch beim Beitrag zur regionalen Wirtschaft.
»Auch wenn es ihnen an Mieterdemokratie mangelt zeigen die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, dass öffentliches Eigentum den Verbleib der Mieteinnahmen in Berlin bedeutet«, sagt Ralf Hoffrogge von Deutsche Wohnen & Co enteignen zu »nd«. »Das streben wir auch bei den Enteignungskandidaten an. Deren Einnahmen sollen in der Stadt bleiben und die hiesige Wirtschaft stützen. Statt Luxusmodernisierungen wollen wir jedoch den Sanierungsstau im Bestand beheben. Das werden enorme Aufträge sein, von denen das Handwerk gut leben kann«, so Hoffrogge.
Der Beitrag der Landeseigenen zur Beschäftigung ist groß. Obwohl 2019 nur etwas über 3.900 Menschen direkt bei ihnen arbeiteten, sichern die Aufträge laut Studie fast 27.000 Arbeitsplätze in Berlin, deutschlandweit sogar 48.000. Laut Statistischem Landesamt musste die Baubranche im November 2020 einen Auftragseinbruch von 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat hinnehmen, auf das Jahr gerechnet lag er bei 20 Prozent. »Dafür sind wir definitiv nicht verantwortlich«, sagt Gesobau-Chef Franzen.
Um weiter so umfangreich bauen zu können brauche es »bei aller Sozialverträglichkeit« eine gewisse Einnahmensituation, »um keine Pflegefälle zu werden«, sagt Franzen und nennt dabei insbesondere die Coronakrise und den Mietendeckel als Problem. Da die »intensiven Gespräche« zur neuen Kooperationsvereinbarung noch liefen, gehörte diese noch nicht dazu. Nach nd-Informationen sollen die Gespräche in wenigen Wochen abgeschlossen sein. Die Durchschnittsmiete pro Quadratmeter bei frei finanzierten Neubauten soll dann nicht mehr bei zehn Euro eingefroren werden, im Gegenzug soll die Sozialquote bei der Belegung steigen.
Der Antrag zur Einleitung des Enteignungs-Volksentscheids soll am Montag eingereicht werden, berichtet Ralf Hoffrogge. Die Unterschriftensammlung kann dann spätestens am 26. Februar beginnen.
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