Virusmutanten und was wir über sie wissen

Das Auftauchen veränderter Typen von Sars-CoV-2 wirft Fragen zur Immunität nach Infektion oder Impfung auf

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 4 Min.

Anfang Januar kamen Meldungen aus Großbritannien über eine mutierte Variante des Covid-19-Erregers, die sich schnell in Südengland verbreitete. Schnell war vom »britischen« Virus die Rede. Ein ähnlich mutiertes Virus wurde auch in Südafrika identifiziert. Und seit kurzem ist eine weitere, noch stärker veränderte Variante aus Brasilien bekannt. Allen drei scheint gemein, dass sie deutlich ansteckender sind als die bisher dominierende Variante.

Wie hat man festgestellt, dass die neuen Varianten infektiöser sind?

In Großbritannien begann unmittelbar nach den Weihnachtstagen die Zahl der Neuinfektionen exponentiell anzusteigen. Zugleich ergab die genetische Analyse der sich von Südengland aus verbreitenden Variante B.1.1.7, dass eine wesentliche Veränderung das Hüllprotein (Spike) betrifft, das dem Virus das Eindringen in die Wirtszelle ermöglicht. Eine Analyse der Daten des öffentlichen Gesundheitswesens zeigte, dass sich 15 Prozent der Kontaktpersonen eines mit der Variante B.1.1.7 Infizierten ansteckten, während es bei den anderen Virusvarianten nur zehn Prozent waren. Daten aus Dänemark, wo ähnlich wie in Großbritannien bei Virustests umfassend sequenziert wird, stützen das. Das Robert-Koch-Institut geht davon aus, dass bei der neuen »britischen« Variante ein Infizierter im Schnitt 3,7 andere ansteckt, statt bisher 3. Diese Virusvariante ist inzwischen in mehr als 40 Ländern einschließlich Deutschland nachgewiesen. Masern sind indes deutlich ansteckender: Da liegt das Verhältnis bei 1 : 12.

Ist die Mutation zwar infektiöser, aber harmloser, was schwere Verläufe angeht?

Eine Lehre aus früheren Pandemien war: Je infektiöser die Erreger sind, desto harmloser sind sie - und umgekehrt. Experten sehen bei Covid-19 bisher weder einen Grund zur gegenteiligen Annahme noch eine Bestätigung. Für Adam Kucharsky von der London School of Hygiene and Tropical Medicine ist das allerdings keine Beruhigung. Im Fachblatt »Nature« gibt er zu bedenken, dass eine größere Zahl von Infizierten bei gleichbleibender Sterblichkeit auch mehr Leute umbringt.

Wie kommt man Mutationen auf die Spur?

Wenn bei Gentests zur Feststellung einer Covid-19-Infektion nicht nur einzelne bekannte Gensequenzen gesucht werden, sondern das gesamte Genom der gefundenen Viren, sieht man auch Abweichungen gegenüber bisherigen Viren. Wie praktisch bei jedem Träger von Erbinformationen, sind kleine Veränderungen bei der Vermehrung - Mutationen also - auch bei Coronaviren normal. Allerdings ändert sich Sars-CoV-2 sieben Mal langsamer als Influenza-A-Viren. Bei aktuellen Untersuchungen des Schweizer Projekts Nextstrain fand man pro Monat zwei neue Mutationen. Die Untersuchung solcher Mutationen hilft beispielsweise Infektionsketten zurückzuverfolgen - gewissermaßen über den genetischen Fingerabdruck der Virusvariante. Zugleich findet man so auch Veränderungen, die auf ein verändertes Infektionsgeschehen hindeuten. Dass zwei der neuen Virusvarianten ausgerechnet in Großbritannien und Südafrika gefunden wurden, hat damit zu tun, dass beide Länder sehr viel und zeitnah die Virusgenome sequenzieren. In Deutschland - so kritisiert etwa der Virologe Jörg Timm vom Universitätsklinikum Düsseldorf - hat man bisher zu wenig getan, um Strukturen für eine kontinuierliche Analyse der Veränderungen der Viren aufzubauen.

Beeinträchtigen die Mutationen die Wirkung der angelaufenen Impfungen?

Für den Biontech-Pfizer-Impfstoff gibt es eine Untersuchung der University of Texas am Blut von 20 geimpften Personen, wonach der Impfstoff gegen 16 bekannte Mutationen schützt. Die aktuellen Mutationen bei den Virusstämmen aus Großbritannien, Südafrika und Brasilien waren dabei allerdings noch nicht erfasst. Eine Mutation, die sowohl in Südafrika als auch Brasilien auftritt, scheint es dem Virus zu erleichtern, den Antikörpern des Immunsystems zu entwischen. In Manaus (Brasilien) wurden mehrere Fälle gefunden, wo bereits in der ersten Welle 2020 Infizierte sich mit der neuen Variante ansteckten. Allerdings muss auch das nicht heißen, dass die Impfung nicht gegen die neuen Virusstämme immunisiert. Denn zum einen beschränkt sich die Immunabwehr nicht auf die Antikörper. Auch die von früheren Infektionen bzw. einer Impfung programmierten Immunzellen sind an der Abwehr beteiligt. Und zum anderen gibt es bei jeder Virusinfektion eine geringe Anzahl von Reinfektionen und von Menschen, bei denen die Impfung nicht wirkt.

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