Eidingers Pinsel
In einer an erbaulichen Ereignissen armen Zeit, ist es unerlässlich, Menschen zu haben, die in der Lage wären, hier Lücken zu schließen. Menschen, die Axolotls züchten, die wie Alexander Graham Bell das Telefon erfinden, weil sie ihrem Hund das Sprechen ermöglichen wollen. Schaut man sich in der hiesigen Kulturlandschaft um, fällt es schwer, noch grandiose Exzentriker*innen vom Rang eines Truman Capote oder wenigstens einer Florence Foster Jenkins zu finden. Von Nina Hagen ist länger nichts mehr über Ufos gesagt worden, das fehlt. Christoph Schlingensief sowieso.
Exzentrik ist klar definiert. Idiot*innen, die mit offener Hose durchs Leben gehen, auf Gefühlen herumtrampeln und herablassend sind, sind keine Exzentriker*innen, sondern schlicht narzisstische Egoman*innen. Exzentriker*innen (von spätlateinisch, eccentros, außerhalb der Mitte) sind durch ihr schlichtes Sein dazu in der Lage, die Grenzen zwischen Normalität und Irrsinn zu überschreiten, uns damit aus gesellschaftlichen Normen zu reißen, wozu wir selbst, gefangen im Kerker preußischer Arbeitsethik, nicht in der Lage sind. Exzentriker*innen berühren jede*n auf ihre Art und Weise. Und: Sie tun niemandem weh. Sie sind ein Kontrastmittel, machen sie doch erst sichtbar, wo die Moral ihre Metastasen streut. Im frühen 20. Jahrhundert war eine rauchende Frau schon Exzentrikerin, ein paar Jahrhunderte früher landete auf dem Scheiterhaufen, wer an Zufälle glaubte. Und heute? Leisten wir uns nicht mal mehr richtige Exzentriker*innen. Uns bleibt Lars Eidinger, der nackt als überlebensgroßer Pinsel an einem Seil hängend, in ein Farbbassin taucht und sich dann auf ein riesiges Blatt klatschen lässt, was selbstverständlich versteigert wird, damit die Band Deichkind trotz Corona weiter Musik machen kann. Glücklich, wer solche Freunde hat.
Exzentriker*innen sind übrigens nicht zu verwechseln mit Selbstdarsteller*innen. Exzentriker*innen geht es nicht um Applaus, sie wollen nichts von uns, sie wollen nur sie selbst sein. Ein revolutionärer Akt. cod
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