Der Bundesfinanzhof hat sehr hohe Hürden aufgestellt
Kindergeldanspruch für geistig behinderte Erwachsene
Ohne ein »familienähnliches Band« zu einem volljährigen, geistig behinderten Kind gibt es kein Kindergeld. Beansprucht ein Angehöriger für sein erwachsenes, geistig behindertes Pflegekind Kindergeld, muss hierfür auch ein Erziehungsverhältnis - vergleichbar zwischen Eltern und Kind - vorliegen, entschied der Bundesfinanzhof (Az. III R 15/09). Das volljährige Kind müsse zudem auf dem Entwicklungsstand eines Minderjährigen sein, forderten die BFH-Richter.
Kindergeld bis zum Lebensende
Die gesetzlichen Regelungen sehen Kindergeldzahlungen für erwachsene Kinder bis zum 25. Lebensjahr vor, vorausgesetzt, sie befinden sich noch in der Ausbildung. Bei einer Behinderung kann diese Altersgrenze wegfallen, so dass sogar bis zum Lebensende des behinderten Kindes Kindergeld gezahlt werden kann. Die Behinderung muss aber vor dem 25. Lebensjahr eingetreten sein. Auch darf sich das Kind nicht selbst »unterhalten« können. Kindergeld wird dann nicht nur für leibliche, sondern auch für Pflegekinder gezahlt.
Im konkreten Fall hatte sich die klagende Schwester ihres 1950 geborenen geistig behinderten Bruders auf solch ein Pflegekindschaftsverhältnis berufen. Ihr Bruder wurde zunächst von seiner Mutter betreut. Da er behinderungsbedingt nicht für seinen Lebensunterhalt aufkommen konnte, erhielt die Mutter für ihn auch noch Kindergeld. Mit dem Tod der Mutter im Mai 2017 sprang die Schwester für die Betreuung ihres Bruders ein.
Dieser wohnte zwar in einer eigenen Wohnung. An allen Wochenenden und Feiertagen hielt er sich bis zu seinem Tod im Jahr 2018 im Familienhaushalt der Schwester auf. Diese ging für ihn einkaufen, kümmerte sich als Betreuerin um alle Finanzangelegenheiten und übernahm die Wäsche. Da ihr Bruder nun ihr Pflegekind sei, müsse die Familienkasse ihr das Kindergeld zahlen.
Erziehungs- und Autoritätsverhältnis
Das Finanzgericht des Saarlandes gab ihr Recht. Doch der Bundesfinanzhof (Az. III R 9/19) hob dieses Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an das Finanzgericht zurück. Zwar könne durchaus ein Kindergeldanspruch für ein volljähriges, geistig behindertes Pflegekind bestehen. Allerdings müsse auch wirklich zu dem Kind ein Pflegekindschaftsverhältnis bestehen. Voraussetzung hierfür sei, dass die Pflegeperson mit dem Kind »durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist«. Das Verhältnis müsse vergleichbar mit dem zwischen Eltern und Kind (ein Erziehungs- und Autoritätsverhältnis) sein. Das müsse vom Finanzgericht geklärt werden. Die eigene Wohnung des geistig behinderten Erwachsenen spreche eher gegen ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis, so der BFH.
Lage bei beruflichen Pflegeeltern
Bereits im Februar 2012 hatte der BFH geurteilt, das für einen Kindergeldanspruch erwachsene, geistig behinderte Kinder auf dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person sein müssen. Berufliche Pflegeeltern seien vom Kindergeld aber ausgeschlossen. Das Kind dürfe nicht »zu Erwerbszwecken« in dem Haushalt aufgenommen worden sein. Die kindergeldberechtigte Pflegeperson müsse zum Pflegekind eine länger dauernde familiäre Bindung - etwa von zwei Jahren - anstreben.
Gehen erwachsene behinderte Kinder einer Vollzeit-Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen nach und erhalten sie hierfür Eingliederungsleistungen, müssen die Eltern deshalb aber nicht den Verlust des Kindergeldes fürchten.
Wie das Hessische Finanzgericht in Kassel (Az. 12 K 2289/13) bereits 2017 klarstellte, gibt es Kindergeld, wenn das behinderte erwachsene Kind »außerstande ist, sich selbst zu unterhalten«. Seit 2019 darf das Einkommen des Kindes nicht höher sein als der Grundfreibetrag von 9168 Euro zuzüglich eines möglichen behinderungsbedingten Mehrbedarfs.
Erhält das Kind Eingliederungsleistungen, zählen diese als Einkommen aber nicht mit, so das Finanzgericht. Die Eingliederungshilfe sei als behinderungsbedingter Mehrbedarf anzusetzen und wirke sich daher nicht einkommenserhöhend und damit möglicherweise auf einen Verlust des Kindergeldanspruchs aus. epd/nd
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