Warum uns der Schuh drückt

Der Physiotherapeut Ulrich Betz empfiehlt mehr Aufmerksamkeit für die Füße

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 6 Min.

Warum ist es wichtig, auf gesunde Füße zu achten?

Die Füße sind die Region im Bewegungssystem, die nach dem Rücken am häufigsten von Schmerzen betroffen ist. Das wird gar nicht so richtig wahrgenommen. Wirbelsäulenschmerzen sind in aller Munde, aber dass die Füße auch so große Probleme machen, ist weniger ein Thema.

Ulrich Betz

Der Fußexperte und Physiotherapeut rät dazu, die Füße öfter mal aus den dicken Schuhen und Strümpfen zu befreien und anzuschauen. Der 57-Jährige leitet das Institut für Physikalische Therapie, Prävention und Rehabilitation an der Universitätsmedizin Mainz. Vor zehn Jahren hat er die Mainzer Fußschule gegründet, die am Institut angesiedelt ist. Dort lernen die Teilnehmer unter anderem, wie sie ihre Füße trainieren können. Mit ihm sprach Angela Stoll.

Woran liegt das?

Teil des Problems ist, dass wir unsere Füße nur wenig wahrnehmen. Sie stecken von Kindesbeinen an in Schuhen. Jetzt im Winter sehe ich meine Füße sowieso kaum: In der Frühe ziehe ich Strümpfe drüber und ziehe sie erst wieder aus, wenn es dunkel ist. Füße sind in der Wahrnehmung also weit weg. Dort können Dinge passieren, die wir uns an den Händen nie gefallen ließen, also Fehlstellungen, Schwielen, schiefe Zehen und so weiter. Viele nehmen das auch deshalb kaum wahr, weil es lange nicht wehtut. Viele Fehlstellungen entwickeln sich erst einmal schmerzfrei. Das kann zehn, zwanzig Jahre lang gut gehen.

Sollte man die Füße also öfter mal auspacken?

Das wäre der erste Schritt, um langfristig gut mit den Füßen zurechtzukommen: einfach mal nach ihnen zu schauen und sie zu pflegen, also mal ein Fußbad zu machen und sie einzucremen. Es ist unwahrscheinlich, wie viele Menschen mit Schwielen unter den Füßen zu uns kommen und an diesen Stellen natürlich auch Schmerzen entwickeln. Das ist ja so, wie wenn Sie eine Linse in den Schuh stecken würden.

Oft wird Barfußlaufen empfohlen. Ist das wirklich so gesund?

Das kann einem gesunden Fuß guttun. Bei einem erkrankten Fuß, ist das anders. Wenn man Füße hat, die dafür eigentlich nicht geeignet sind, kann man sich beim Barfußlaufen schnell Schmerzen und Wunden holen. Beim diabetischen Fuß kann es sogar gefährlich sein, weil dabei Verletzungen entstehen können, die nicht mehr heilen. Es gibt auch Fußfehlformen. Senk-, Spreiz- oder Hohlfüße werden durch Barfußlaufen schnell überlastet.

Woher weiß ich, ob meine Füße geeignet sind? Muss ich vor jedem Barfußlaufen meinen Arzt fragen?

Ach nein. Wichtig ist, dass man ein grundsätzliches Wissen über seine Füße und ihren Zustand hat. Nur wenn ich zum Beispiel weiß, dass ich einen Hohlfuß habe, weiß ich auch, wie ich mit meinem Fuß umgehen sollte. Wäre dieses grundlegende Wissen in der Gesellschaft besser verbreitet, könnten viele Fußschmerzen vermieden werden.

Wie gelangt man an dieses Wissen?

Es gibt viele Publikationen zu Füßen, sowohl im Internet als auch in Form von Büchern. Wir hier in Mainz haben eine Fußschule, wo Wissen zum Fuß vermittelt wird. Und zwar vor allem zu Fehlformen und dazu, was man aktiv dagegen machen kann. Bisher sind als Behandlungsmöglichkeiten ja hauptsächlich die Einlagen und - wenn die nicht mehr funktionieren - Operationen im Bewusstsein. Den Menschen sollte aber klar werden, dass der Fuß genauso wie die Wirbelsäule ein durch Muskulatur gesteuertes Bewegungssystem ist und daher auch beeinflusst werden kann. Wenn ich einen Hallux valgus habe, also einen Ballenzeh, oder einen Knick-, Spreiz- oder Senkfuß, dann habe ich auch Muskeln, mich dagegen zu wehren. Das sind ja nur Haltungsabweichungen. Bei einer schlechten Haltung der Wirbelsäule käme auch niemand auf die Idee, ein Korsett zu verschreiben, sondern man würde sagen: Bewege dich! Trainiere deine Muskeln! Am Fuß macht man es aber genau anders herum. Da verschreibt man sozusagen das Korsett, indem man eine Einlage in den Schuh legt und der Fuß passiv in die Korrekturstellung gebracht werden soll. Die Idee der Fußschule ist, Wissen zu vermitteln, die Wahrnehmung für den Fuß zu entwickeln und dann Übungen zu erlernen, die der Patient selber machen kann, um genau diese natürlichen Funktionen des Fußes wiederzuerlernen.

Kommen die Leute erst, wenn sie Schmerzen haben?

Viele ja, aber wir haben auch Präventionskurse. Es ist immer leichter, an solchen Haltungsproblemen zu arbeiten, wenn keine akuten Schmerzen da sind.

Was könnte darauf hindeuten, dass sich etwas entwickelt?

Ich finde es gut, wenn die Leute so eine Art Fuß-Check bei sich machen. Das ist ganz einfach. Das Erste: Wenn man sich hinstellt und einem jemand von hinten auf die Füße guckt, dann müssen die Fersen senkrecht stehen. Das Zweite: Wenn man die Innenseite des Fußes anschaut, dann muss ein deutlicher Längsbogen von der Ferse hin zum Vorfuß zu sehen sein. Das Dritte sind die Zehen: Sie sollten in Verlängerung des Mittelfußes gerade nach vorne zeigen und nicht wie beim Hallux valgus nach außen. Außerdem sollten sie nicht gekrümmt, sondern flach ausgestreckt sein. Wenn man sich bei der Einschätzung unsicher ist, sollte man sich bei einem Fußspezialisten vorstellen.

Welche Übungen kann jeder machen?

Das ist eine schwierige Frage, weil es immer darauf ankommt, was man für einen Fuß hat. Bei einem Hohlfuß sollte man andere Übungen machen als bei einem Senkfuß.

Die leichteste Übung, bei der man nicht viel falsch machen kann, geht so: Wenn man in Rückenlage die Füße aufstellt, kann man die Fußsohlen platt auf den Boden legen. Lässt man die Knie auseinanderfallen, so heben normalerweise die Innenseiten der Füße ab. Versuchen Sie mal, dies zu vermeiden und die Vorfüße am Boden stehen zu lassen, wenn Sie die Knie auseinanderbewegen. Durch diese Übung wird der Fuß sozusagen in sich verwrungen, Rückfuß gegen Vorfuß, wie ein Handtuch. Dadurch wird das Längsgewölbe aufgerichtet. Das ist die Schlüsselkorrektur, die man in der Fußschule lernt. Das machen wir anschließend auch im Sitzen und im Stand.

Ist es sinnvoll, ab und zu mit einem Igel- oder Faszienball zu rollern?

Ja, ich halte das für absolut sinnvoll. Bei Faszienbällen und -rollen kommt hinzu, dass sie auch die Durchblutung fördern, vielleicht auch die Muskulatur etwas entspannen. Gerade bei Hohlfußpatienten ist das eine gute Sache. Aber all diese Dinge sind kein Training, sondern Wahrnehmungsübungen. Wer die Füße besser wahrnimmt, spürt auch eher, wenn die Schuhe nicht passen.

Welche Tipps haben Sie für den Schuhkauf?

Wir legen in der Fußschule die Füße auf ein Blatt Papier und umfahren den Fuß mit einem Stift. Dann sieht man, welche Fläche der Fuß bedeckt. Wenn man das ausschneidet und auf die Fläche der Schuhe legt, sieht man, dass der Fuß oft viel mehr Platz braucht, als der Schuh bietet. Das heißt, der Schuh zwängt den Fuß in seine Form, und das ist nicht unbedingt die, die der Fuß eigentlich gern hätte.

Nach vorne werden die Schuhe oft schmaler. Eigentlich sollen die Zehen gerade nach vorne zeigen, das ist aber in den meisten Schuhen schlicht nicht möglich. Die Form des Schuhs muss zur Form des Fußes passen. Außerdem sind gerade günstige Schuhe oft sehr hart, sodass sich der Fuß nicht richtig bewegen kann. Ein Schuh muss in sich beweglich sein.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.