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Hätte auch schiefgehen können
Eine neue Biografie über Josephine Baker erzählt von der Tänzerin - und der Kämpferin gegen Rassismus
Vielen dürfte die Kinnlade runtergeklappt sein beim Anblick der Trump-Fans, die am 6. Januar das US-Parlament stürmten, darunter ein Gehörnter mit Thors Hammer-Tattoo und Runengedöns auf Rippen und Brust. White Supremacists - Menschen, die glauben, dass Weiße allen anderen Menschen überlegen sind - sind aber kein lächerlicher Haufen, auch wenn viral gegangene Fotos es nahelegen. Um dagegenzuhalten, bleibt Betroffenen von Rassismus nur Sisyphosarbeit: Aufklären über jahrhundertealte Traditionen des Rassismus und die Wunden, die er aufreißt. Könnte Josephine Baker das noch erleben, sie wüsste ein Lied davon zu singen, was es heißt, sich als Person of Color Gehör zu verschaffen.
Geboren 1906 in St. Louis in Armut und Lieblosigkeit, erfuhr sie schon früh, welchen Nutzen die Mehrheitsgesellschaft aus schwarzen Menschen zog: Im Alter von »rund acht Jahren« schickte die Familie Josephine »als Dienstmädchen zu einer alleinstehenden Dame […], bei der sie für Kost und Logis« den Haushalt schmiss. Stellte sie sich aus Sicht der Hausherrin ungeschickt an, zögerte diese offenbar nicht mit Härte, kippte der Kleinen schon mal kochendes Spülwasser über die Finger. So schildert es die Kulturwissenschaftlerin Mona Horncastle in ihrer spannenden Biografie über Baker. Es ist die Aufstiegsgeschichte eines Mädchens, das »im Keller« Performances probte, beim Kellnern von Musikern abguckte, wie man sich wirkungsvoll inszeniert, und schließlich auf Tour durch Amerika und Europa Welterfolge feierte.
Vom angesagten Vaudeville, »eine[m] bunten Theatermix aus Musik, Tanz, Komik und Akrobatik«, habe Baker sich gelöst. Sie trumpfte mit einem individuellen Stil auf. Zentrale Elemente: Nacktheit und Clownerie. Baker spielte mit exotischen Stereotypen und versuchte sie, laut Horncastle, zu untergraben. Wer Stereotype aufgreift, perpetuiert sie jedoch zwangsläufig. So überblenden skandalträchtige Auftritte Bakers im Bananenröckchen, mit denen sie vor allem bekannt geworden ist, ihr politisches Engagement. Letzteres würdigt Horncastle ausführlich: Im Zweiten Weltkrieg nutzte Baker ihre Prominenz als Tarnung und riskierte als Schmugglerin und Spionin aufseiten der Résistance ihr Leben. Als »Truppenunterhalterin« in Marokko habe sie darauf gedrängt, eine bis dato fürs Publikum geltende Rassentrennung aufzuheben, mit Erfolg, ein Novum zu dieser Zeit.
Horncastles Hauptmessage: Alles hätte gründlich schiefgehen können - auch weil sich Baker, zum Chaotischen neigend, übernommen hatte, bevor sie 1975 mit knapp 70 Jahren nach einem Schlaganfall starb. Statt neoliberale Leistungsnarrative à la Jede*r kann es schaffen festzuschreiben, schildert Horncastle den Emanzipationsprozess Bakers als dialektisch, voller teils herber Rückschläge. Mit einer leicht verdaulichen, linearen Logik des Erfolgs, für die Biografien prädestiniert sind, hat die Autorin wenig am Hut. Dennoch kann man ihr Buch in einem Rutsch verschlingen. Reich illustriert mit Fotos - Baker in Berlin in einer Kutsche, einen Vogelstrauß vorgespannt, oder Baker vor ihrem Schloss Les Milandes, aus dem sie ’69 infolge einer Pleite rausflog - gehört die Biografie zum Besten, was zum Thema Rassismus aktuell auf dem deutschsprachigen Buchmarkt erhältlich ist.
Bakers Geschichte eignet sich hervorragend, um in aktuellen Debatten zu kontern. Nur wenige von den Alltagsrassismen, unter denen Baker in Zeiten des Ruhms litt, haben sich erledigt. Eine wachsende Schar derer, die gierig den QAnon-Quark aus den USA in sich hineinlöffeln, baut auch hierzulande auf einem etablierten Rassismus der Mitte auf. Ein Blick in Alice Hasters’ Buch »Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten« genügt, und man begreift: alte Stereotype überdauern. Hasters erzählt zum Beispiel, wie selbstverständlich Menschen ihr die berüchtigte Frage stellen: »Woher kommst du wirklich?« und »etwas über Orte hören (wollen), an denen die Sonne scheint und Kokospalmen wachsen«. In denselben Hotels zu schlafen wie Weiße, in den gleichen Restaurants zu essen, ist zwar längst selbstverständlich, zu Bakers Zeit war es das nicht. Aber die Erwartung, dass Menschen mit dunklem Teint beim Zugang zu Ressourcen zuletzt dran sind, wie es Baker erlebte, ist verbreitet wie eh und je. Das ist Rassismus, wie er im Lehrbuch steht. Ihm ausgesetzt, lässt er Betroffene oft verstummen. Im Kampf gegen Rassismus ist es unerlässlich, zuzuhören und Geschichten weiterzuerzählen. Horncastle gelingt das exzellent.
Mona Horncastle: Josephine Baker. Weltstar - Freiheitskämpferin - Ikone. Molden-Verlag, geb., 256 S., geb., 28 €.
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