»Nur fünf Prozent wurden gestundet«

Kristina Rehbein über die Schuldenkrise im Globalen Süden in Zeiten der Pandemie

Laut Schuldenreport 2020 waren 124 von 154 untersuchten Entwicklungs- und Schwellenländern kritisch verschuldet. Im Schuldenreport 2021 sind acht Länder hinzugekommen. Waren das übliche Verdächtige aus vorangegangenen Berichtsjahren oder gibt es Überraschungen durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie?
Übliche Verdächtige aus vergangenen Jahren sind es nicht. Insgesamt wurden 13 Länder neu aufgenommen, fünf sind rausgefallen. Für Venezuela zum Beispiel liegen keine belastbaren Daten vor, so dass es in die Gruppe der Länder im Zahlungsausfall ohne genauere Angaben verschoben wurde.

De facto führt der Schuldenreport damit 13 Länder zusätzlich als kritisch verschuldet auf. Überraschend ist, dass mit Chile, Thailand und den Philippinen darunter auch drei größere Schwellenländer sind. Hinzu kommen kleine Inselstaaten wie Fidschi, Trinidad & Tobago und die Salomonen. Die waren durch den Einbruch des Tourismus infolge der Pandemie ganz besonders betroffen. Die Salomonen sind mit drin, weil sie unter anderem von Naturkatastrophen besonders bedroht sind und damit laut IWF ein mittleres Überschuldungsrisiko tragen. Hinzu kommen Länder, die aufgrund des Rohstoffpreisverfalls in Schieflage geraten sind wie Algerien, das lange nicht in der Liste der kritisch verschuldeten Länder aufgeführt wurde. Thailand zählte 2019 zu den Top-Kreditnehmern unter den Entwicklungs- und Schwellenländern, dasselbe gilt auch für die Philippinen im Hinblick auf die Region Ostasien, die sich vor Corona mit Krediten zu Niedrigzinsen eingedeckt haben. Vor allem durch den Einnahmeausfall sind ihre Schuldenindikatoren im Zuge der Corona-Rezession angestiegen.

Kristina Rehbein
Kristina Rehbein ist politische Referentin beim deutschen Entschuldungsbündnis erlassjahr.de – Entwicklung braucht Entschuldung und Mitautorin des Schuldenreports 2021. Seit 2017 ist sie zudem Mitglied des Vorstands des European Network on Debt and Development mit Sitz in Brüssel.

Welche Faktoren der Pandemie haben die Schuldensituation besonders verschärft?
Durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie weltweit wurde eine Rezession beispiellosen Ausmaßes ausgelöst. Der Tourismus, für einige Länder der wichtigste Wirtschaftssektor, ist fast komplett zusammengebrochen, öffentliche Einnahmen sind teils komplett weggefallen, auch Millionen Jobs gingen verloren. Rücküberweisungen gingen zurück, zum Beispiel in Nepal. Viele Nepalesen arbeiten im Ausland, haben jedoch ihre Jobs verloren und konnten nichts mehr in ihre Heimat überweisen. Der Verfall der Rohstoffpreise, wie der Kollaps des Erdölpreises, hat zum Einbruch der Wirtschaft vielerorts geführt, die Verfügbarkeit von Devisen schrumpft. Gleichzeitig hat sich die Lage auf dem Kapitalmarkt vor allem zu Beginn der Pandemie verschlechtert. Entwicklungsländer stehen Schlange um Kredite, um ihre Haushaltslöcher zu stopfen, was die Zinsen nach oben treibt. Das wird die Schuldenkrise definitiv in den nächsten Jahren anheizen.

Das Schuldenmoratorium der G20 (DSSI) und der Schuldendiensterlass des IWF (CCRT) haben zu Beginn der Pandemie dringend notwendige Haushaltsspielräume in den ärmsten Ländern geschaffen. War das erfolgreich?
Grundsätzlich wurden damit Gelder für die Pandemiebekämpfung frei gemacht. Beim IWF beläuft sich die Summe auf rund 500 Millionen US-Dollar für 28 hoch verschuldete Länder insgesamt. Die DSSI für die 73 ärmsten Länder hätte rund 11,5 Milliarden Dollar 2020 freisetzen können, de facto waren es nur 5,7 Milliarden Dollar, weil nicht alle auf das Angebot eingingen, auch weil die Ratingagenturen mit Abstufung drohten. Die 11,5 Milliarden entsprechen aber nur rund 60 Prozent der Schuldendienstzahlungen, die in den DSSI-Länder 2020 fällig wurden. Insgesamt über alle Entwicklungs- und Schwellenländer hinweg betrachtet, blieben 95 Prozent des Schuldendienstes als Forderung 2020 aufrecht, nur fünf Prozent wurden gestundet.

So wenig?
Ja. Das liegt zum einen an der Struktur der Verschuldung: Viele Schulden fallen nicht bei den G20 an, sondern bei privaten oder multilateralen Gebern wie Investmentfonds und Weltbank. 2019 war die Weltbank einer der wichtigsten öffentlichen Kreditgeber der Entwicklungsländer, sie hat aber kein Moratorium zugestanden. Hinzu kommt, dass viele kritisch verschuldete Entwicklungsländer vom Moratorium ausgeschlossen waren. Summa summarum war das Entgegenkommen ein Tropfen auf den heißen Stein. Einzelne Länder mit hoher Verschuldung bei den G20 haben durchaus profitiert. Insgesamt waren die Initiativen aber nicht weitgehend genug.

Und die Einsparungen kamen im Gesundheitssektor an?
Sicher nicht durchgängig. 60 Prozent der öffentlichen Verschuldung der Côte d’Ivoire lag Ende 2019 beispielsweise bei privaten Gläubigern. Deutschland hat seine Forderungen an Côte d’Ivoire gestundet, die privaten Gläubiger nicht. Die Gefahr besteht, dass zumindest ein Teil der Einsparungen durch das Moratorium bei den privaten Gläubigern landet und nicht im Gesundheitswesen zur Pandemiebekämpfung.

Wenn die Initiativen ein Tropfen auf den heißen Stein waren. Zeichnet sich ab, dass G20 und IWF nachlegen? Sonst droht doch ein Jahr der Staatspleiten, oder?
Im November wurden die bestehenden Initiativen erst einmal bis Mitte 2021 verlängert. Beim G20-Finanzministertreffen im Februar, aber spätestens bei der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank im April, wird sich entscheiden, ob das G20-Moratorium noch einmal bis Ende 2021 verlängert wird. Der IWF hat sich dafür entschieden ausgesprochen, um mehr Zeit zu gewinnen. Wie es darüber hinaus weitergeht, muss sich zeigen. Viel wichtiger ist, dass echte Schuldenerlasse ermöglicht werden. Das haben auch die G20 eingesehen, dass es mit der Stundung des Schuldendienstes allein nicht getan ist.

Wie steht es um das »Common Framework for Debt Treatments beyond the DSSI«, das Rahmenwerk mit dem die G20 echte Schuldenerlasse über das Moratorium hinaus bieten wollen?
Das Rahmenwerk, was die G20 im November verabschiedet haben, ist an einigen entscheidenden Punkten enttäuschend. Tatsächliche Schuldenstreichungen werden nur im Ausnahmefall zugestanden, die Initiative bleibt weiterhin auf die ärmsten 73 Länder beschränkt und der Einbezug anderer Gläubiger ist nicht ausreichend geregelt. Die G20 erwarten bereits, dass bis April mehrere Länder umschulden müssen. An diesen Staatspleiten wird sich zeigen, ob und wie die G20 ihre Initiative nachbessern müssen.

Wie positioniert sich die Bundesregierung?
Die Bundesregierung hat sich dafür ausgesprochen, dass der Zugang zu den Initiativen über die 73 Länder hinaus erweitert werden soll; außerdem ist ihr der Einbezug privater Gläubiger ein Hauptanliegen. Auf den verbindlichen Einbezug konnten sich die G20 bisher jedoch nicht einigen. Im »Common Framework« soll die Beteiligung dadurch erreicht werden, dass die Schuldnerländer um eine Gleichbehandlung durch private Gläubiger ersuchen. Bei Sambia, das im November als erstes Land infolge der Coronapandemie zahlungsunfähig wurde, haben sich die privaten Gläubiger jedoch nicht beteiligt. Dieser Punkt wird einer der wichtigsten Herausforderungen für die G20 im Jahr 2021.

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