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Die Pointe mit der Systemrelevanz
SIEBEN TAGE, SIEBEN NÄCHTE: Über die Pandemie beim Bäcker
Meine Schwester verkauft Backwaren für eine kleine Kette mit einem knappen Dutzend Filialen in ihrer Region. Der sogenannte Backshop befindet sich in einem Supermarkt. Geöffnet ist von morgens um 6 Uhr bis abends um halb 9, gearbeitet wird in wechselnden Schichten, gezahlt wird Mindestlohn. Der Chef, der zuletzt vor der Pandemie gesehen wurde, ist männlich, das Personal weiblich. Nach elf Monaten Pandemie wurde ein Stück Glasscheibe an der Verkaufstheke angebracht, um die Verkäuferinnen (oder doch eher die Kundinnen und Kunden?) vor Ansteckung zu schützen. Masken kauften sich die Beschäftigen bisher selbst.
Die Arbeit ist anstrengend. Bedienen, Kassieren, Brötchen schmieren, Putzen, Kaffee kochen (derzeit nur zum Mitnehmen, was nach wie vor manche nicht verstehen), Vorbereitungen für den nächsten Tag. Alles im Stehen. Pro Schicht darf ein Stück Gebäck oder ein geschmiertes Brötchen gegessen werden, auf alles andere gibt es lediglich 20 Prozent Rabatt.
Die Arbeit ist »systemrelevant«, weil alle weiterhin Brot und Brötchen essen wollen. Applaus gab es dafür nicht. Allerdings war auch etwas weniger zu tun als sonst, weil offenbar mehr Brötchen zu Hause geschmiert werden. Deshalb wurde beim Personal gespart: Zu manchen Zeiten arbeitet nur noch eine Verkäuferin, so dass nicht gleichzeitig bedient und vorbereitet werden kann. Die unbezahlte halbstündige Pause existiert vor allem bei diesen Solo-Schichten nur auf dem Papier. Als ich meine Schwester fragte, ob es einen Betriebsrat gebe, lachte sie nur.
Immerhin: Beschäftigte im Einzelhandel gehören zur Gruppe jener, die mit »erhöhter Priorität« geimpft werden sollen, bevor dann alle anderen dran sind. Das ist ein schwacher Trost dafür, dass »Systemrelevanz« ansonsten vor allem Stoff für Witze bietet. Deren Pointe erklärt eine neue Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung: Für das Funktionieren der Gesellschaft wichtig zu sein, bewirkt danach keineswegs höhere Zahlen auf dem Lohnzettel, sondern ist sogar kontraproduktiv.
Bei »systemrelevanten Tätigkeiten« handelt es sich zu 52 Prozent um personenbezogene Dienstleistungen, für die man in der Mehrheit nicht studiert haben muss, und sie werden zu 60 Prozent von Frauen ausgeübt - was in dieser Gesellschaft schon drei grundlegende Nachteile sind, will man ordentlich Geld verdienen. Besonders bemerkenswert ist jedoch ein weiterer Punkt, den Autor Philipp Tolios hervorhebt: Egal ob Helfer oder Spezialistin - auf allen Anforderungsniveaus ist die Bezahlung in systemrelevanten Berufen niedriger als in nicht-systemrelevanten.
So ist das mit Pointen, die erklärt werden: Sie sind nicht witzig. Allenfalls so witzig wie die Frage nach dem Betriebsrat. Denn wenn es um »Systemrelevanz« geht, kann meine Schwester auch nur lachen.
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