Wärmer, kälter, wärmer
Eine polare Wetteranomalie sorgte für den Wintereinbruch
Selten haben die Meteorologen einen Wetterwechsel so präzise vorhergesagt wie den Wintereinbruch in der Nordhälfte Deutschlands am Wochenende. Das hat auch damit zu tun, dass dieser eigentlich schon vor einem Monat begann, als es zu einem Wetterphänomen namens »markante plötzliche Stratosphärenerwärmung« (SSW) über dem Nordpol kam.
Am 5. und 6. Januar wurde es in der Atmosphäre zehn bis 50 Kilometer über der Erde, wo es gewöhnlich minus 80 Grad kalt ist, schlagartig um bis zu 50 Grad wärmer. Dies schwächte den Polarwirbel, der im Winterhalbjahr langsam über der Arktis kreist, die eisige Kälte dort festhält und für relativ mildes Wetter in der nördlichen Hemisphäre sorgt. Letztlich spaltete sich der Wirbel sogar in zwei Teile über dem Nordatlantik und dem Nordpazifik auf. Bei diesem Ereignis kann die kalte Luft Richtung Süden nach Europa entweichen. Gleichzeitig kommt es zu einer »großräumigen Veränderung auch troposphärischer Zirkulationsmuster«, wie Jens Bonewitz vom Deutschen Wetterdienst erläutert. Der Jetstream verlagert sich südwärts und kommt stärker ins Schlingern. Laut Bonewitz kann ein solches Ereignis sogar zwei Monate und länger anhalten. Schlechte Nachrichten auch mit Blick auf die Corona-Epidemie und den Lockdown, die sich mit einem warmen Frühling abschwächen sollten.
Das SSW-Phänomen ist zwar eine Anomalie, aber keine Seltenheit, sondern kommt etwa alle zwei Jahre vor. Beim letzten Ereignis 2019 blieb Europa verschont, da die Arktiskälte nur nach Nordamerika gelangte. Wo genau es bitterkalt wird, hängt letztlich davon ab, wo sich Hochdruckgebiete aufbauen, die Warmluft vom Atlantik blockieren.
Auch wenn die plötzliche Stratosphärenerwärmung keine Seltenheit ist, gilt sie als Anomalie. Sie wird auch nicht immer nach unten an die Troposphäre weitergereicht und trifft praktisch nie den Polarwirbel über dem Südpol. Entdeckt wurde das Phänomen übrigens bereits 1952 von Richard Scherhag, Leiter des Meteorologischen Instituts der FU Berlin, mittels Radiosondenaufstiegs.
Allerdings sind die Vorgänge in der Stratosphäre bisher wenig erforscht. Das gilt auch für die Frage, ob der Klimawandel hier eine Rolle spielt. Es gibt allerdings Hinweise, dass dieser die SSW-Ereignisse verstärkt. Klar ist, dass der Klimawandel den Jetstream generell beeinflusst. Die Ost-West-Starkwindbänder werden angetrieben von den Temperaturunterschieden zwischen der Arktis und anderen Großräumen. Da sich die Nordpolregion in den vergangenen Jahrzehnten besonders stark erwärmt hat, schwächt sich der Jetstream ab und er mäandert stärker. In der Folge halten sich Hitzeperioden im Sommer, aber offenbar auch Kaltlufteinbrüche im Winter länger, worauf eine Studie des Alfred-Wegener-Instituts aus dem Jahr 2019 hinwies. »Unsere Ergebnisse untermauern, dass die häufiger auftretenden winterlichen Kaltphasen in den USA, Europa und Asien Teil des menschengemachten Klimawandels sind«, so der AWI-Atmosphärenforscher Markus Rex.
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