Werbung

Wie Sand in der Lunge

Auch in München betreut eine Nachsorgeambulanz Corona-Patienten mit anhaltenden Beschwerden

  • Renate Wolf-Götz
  • Lesedauer: 5 Min.

Silvia Reinschmied ist eine von mehr als zwei Millionen mit Sars-CoV-2-Infizierten in Deutschland, die nach einer Corona-Erkrankung als genesen gelten. Doch seit die 55-Jährige nach drei Wochen als geheilt aus der Klinik entlassen wurde, fühlte sie sich nicht wirklich gesund. An ihren Husten und die Heiserkeit hat sie sich schon fast gewöhnt. »Manchmal fühlt es sich an, als sei Sand in meiner Lunge«, sagt die Leiterin der Volkshochschule im bayerischen Fürstenfeldbruck. Ähnlich geht es der Altenpflegerin Johanna. Acht Monate nach ihrer Genesung leidet die 22-Jährige noch immer an den Spätfolgen ihrer Corona-Erkrankung. Ihre Stimme klingt heiser. Während sie spricht, muss sie häufig husten.

Doch das sind nicht die einzigen Spuren, die das Virus bei ihr hinterlassen hat. Vor allem wegen verminderter Gedächtnisleistung seit ihrer Erkrankung kann die junge Altenpflegerin ihren Beruf vorerst nicht ausüben. Auch wenn sich die Mehrzahl der Patient*innen in Deutschland vollständig von der Viruserkrankung erholt, leiden nicht wenige Betroffene oft noch Monate später an den Folgen, die sich nicht immer als eindeutige Symptome einordnen lassen.

Das Klinikum der Ludwig-Maximilians- Universität (LMU) in München-Großhadern hat für Menschen mit Langzeitfolgen eine Nachsorgeambulanz eingerichtet. »Wir nutzen unsere Nachsorge-Erfahrungen auch zu Studienzwecken«, erklärt Elham Khatamzas. Für die leitende Ärztin der Ambulanz ist es nicht überraschend, dass auch junge, leistungsfähige Patient*innen von den Folgen des Coronavirus betroffen sind. »Das kommt auch bei anderen Viruserkrankungen vor«, erklärt Khatamzas. Momentan konzentrierten sich die Spezialist*innen zwar auf die Corona-Pandemie. »Wir wissen aber, dass Patienten beispielsweise nach einer Influenza auch Folgesymptome haben«, so die Infektiologin der Münchner Universitätsklinik.

Ein Symptom, das lange anhält oder sogar bleiben kann, ist der Verlust des Geruchsinns. »Den morgendlichen Kaffeeduft gibt es nur noch in meiner Erinnerung«, sagt Eckhard Lutzeier. Anfangs konnte der Inhaber einer Sicherheitsfirma kaum glauben, dass sein Unvermögen, zu riechen und zu schmecken, ein erstes Indiz für eine Corona-Infektion war. Erst als heftiger Husten, extreme Gliederschmerzen und eine bleierne Müdigkeit den robusten Mittfünfziger aus der Bahn seines Alltags warfen, ließ er sich testen. »Das positive Testergebnis hat definitiv etwas in mir ausgelöst«, sagt er heute und ist froh, dass er inzwischen wieder eine halbe Stunde täglich auf seinem Trainingsrad durchhält.

»Etwa zehn bis 15 Prozent der Betroffenen leiden nach derzeitigem Forschungsstand mehr als drei Monate nach einer durchgemachten Sars-CoV-2-Infektion noch unter Symptomen wie körperlicher Abgeschlagenheit, Luftnot, Kopfschmerzen und Beeinträchtigungen des Geruchsinns«, erklärt Khatamzas. Das betreffe alle Altersgruppen. Es mache auch keinen Unterschied, ob sie einen leichten oder schweren Verlauf hatten, so die Ärztin. In der Nachsorgeambulanz betreuen die Mediziner*innen Covid-19-Patienten meist nach einem stationären Aufenthalt. Dabei erfassen sie systematisch bestehende Symptome und untersuchen Folgeschäden an verschiedenen Organsystemen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf möglichen Langzeitfolgen.

Spezialisierte Corona-Nachsorgeambulanzen, die inzwischen in mehreren deutschen Städten eingerichtet wurden, erleben einen wachsenden Zulauf. Kaum verwunderlich, denn immer wieder stoßen Patient*innen mit oft diffusen Folgesymptomen bei ihrem Hausarzt auf wenig Verständnis. Schon im Frühjahr 2020 hatten Mediziner*innen am Universitätsklinikum Essen festgestellt, dass einige als genesen entlassene Patienten an den Folgen der Covid-19-Erkrankung litten. Einige seien auch noch infektiös gewesen, erinnert sich der Direktor der Infektiologie, Oliver Witzke. »Wir mussten sie in ein potenzielles Nirwana entlassen«, sagt er. Um das zu verhindern, hat der Infektiologe mit seinen Kolleg*innen eine Post-Covid-Ambulanz eingerichtet, in der Patienten mit einem positiven Nachweis des Corona-Virus und einer Überweisung ihres Hausarztes infektiologisch beraten, umfassend untersucht und ganzheitlich behandelt werden. »In der Klinik haben wir den Vorteil, dass alle Fachdisziplinen und auch die Technik für bildgebende Verfahren zur Verfügung stehen«, erklärt Witzke.

Neben körperlichen Beschwerden und zum Teil auch psychischen Belastungen sei chronische Müdigkeit eines der häufigsten unter den vielfältigen und oft langwierigen Folgesymptomen. »Für betroffene Patienten ist es sehr wichtig zu erfahren, dass sich viele Symptome auch wieder bessern«, betont der leitende Ambulanzarzt. Sind Patienten nach überstandener Infektion auch Monate später noch nicht arbeitsfähig, geht das auf die Psyche, hat Witzke beobachtet. Deshalb tauschen sich die Nachsorge-Fachärzt*innen seines Teams regelmäßig mit Kolleg*innen der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie aus.

An der Universitätsklinik in Erlangen hat sich die Neurowissenschaftlerin Jessica Freiherr mit dem Verlust des Geruchsinns als Spätfolge befasst. »Erste Daten deuten darauf hin, dass dieses Symptom meist früh in der Erkrankung auftritt und danach eine Weile bleibt«, so die Wissenschaftlerin. Mit ihrer Studie versucht die Professorin mehr über Dauer und Ausprägung des Symptoms herauszufinden. Gemeinsam mit ihrem neurowissenschaftlichen Team erhofft sich die Ärztin daraus wichtige Erkenntnisse, nicht zuletzt, weil das Coronavirus über die Nase ins Gehirn gelangen könnte. »Der reduzierte Geruchsinn in der Infektion könnte ein Indiz dafür sein, dass auch andere neurobiologische Schäden im Nachgang möglich sind«, vermutet Freiherr.

Seit Beginn der Corona-Infektionen und deren Akutbehandlung liegt das Augenmerk der Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen am Münchner LMU-Klinikum auch auf der Forschung zu Sars-CoV-2 und Covid-19. Über nationale und internationale Forschungsnetzwerke tauschen die Fachgremien ihre Erfahrungen und Erkenntnisse regelmäßig aus. Ob Abgeschlagenheit, Müdigkeit oder Nervenschädigungen, Tobias Lahmer, Leiter der internistischen Intensivmedizin am TUM-Klinikum rechts der Isar in München sieht einen langen Weg zurück in den Alltag nach einer überwundenen Corona-Erkrankung. Neben ausführlichen Patientenbefragungen führt der Mediziner Tests der Lungen- und Herzfunktion sowie Laboruntersuchungen und bildgebende Verfahren durch, um einen umfassenden Eindruck zu bekommen. »Bisher gibt es aber noch wenig Klarheit darüber, warum manche Patienten von Spätfolgen betroffen sind und andere nicht«, konstatiert der Internist. Seiner Ansicht nach spielen dabei auch individuelle Faktoren eine Rolle. Die seien allerdings nicht so ohne weiteres zu erkennen. »Das zu verstehen sind wir noch ganz am Anfang«, so der Mediziner.

In einer gemeinsamen Nachsorgestudie mit dem Helmholtz-Zentrum München erforscht das LMU-Klinikum die Langzeitfolgen nach Covid-19-Infektionen. Die Ergebnisse dienen als Grundlage für die Behandlungsparameter in den Nachsorge-Ambulanzen. Dazu gehören ausführliche Untersuchungen der Lungenfunktion und des gesamten Organsystems sowie Blutuntersuchungen. Insgesamt zeigt die Studie, wie eine interdisziplinäre Nachsorgeambulanz von Ärzten verschiedener Fachdisziplinen arbeiten kann. Tobias Lahmer vom Klinikum rechts der Isar ist jetzt schon zuversichtlich. Viele Patienten, die der Arzt nach einer Covid-19-Erkrankung entlassen hat, berichten inzwischen wieder von einer guten Lebensqualität.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.