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  • »An American Werewolf in London«

Sprießende Haare, knackende Knochen

Düster, lustig, spektakulär und gleichzeitig grimmig: Der Horrorklassiker »An American Werewolf in London« ist neu aufgelegt worden

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Regisseur John Landis hat sich offensichtlich nie lange mit Meta-Diskussionen aufgehalten, zumindest nicht, wenn es ums Kino ging. Alles immer so direkt wie möglich. In einer 1982 im amerikanischen Fernsehen ausgestrahlten Diskussionsrunde mit den Kollegen David Cronenberg und John Carpenter beantwortet Landis die Frage, was an Horrorfilmen so faszinierend sei, mit dem schlichten, aber natürlich sehr richtigen Satz: »Nun ja, sie sind halt unterhaltsam.«

In dieser Hinsicht ganz vorneweg ist der Film, den Landis in der Sendung »Fear on Film« damals promoten sollte (was er unter anderem tut, indem er sich lachend über seine größte Fehlentscheidung beklagt, die beste Szene habe er leider rausgeschnitten, na ja - ein Mann, so uneitel wie sein Werk). »An American Werewolf in London« war im Sommer 1981 in den Kinos angelaufen und avancierte zu einem veritablen Hit, der gemeinsam mit dem im selben Jahr erschienenen »The Howling« das etwas schläfrige Horror-Subgenre des Werwolf-Films für kurze Zeit reanimierte. Und flugs mehr als das Zwanzigfache seiner Produktionskosten einspielte.

Jetzt ist die vergriffene, sehr schöne 4K-Blu-ray-3-Disc-Edition von »An American Werewolf in London« mit sechs Stunden Extras neu aufgelegt worden. Landis’ bester Film hat von seinem Zauber nichts verloren. Der Plot ist schnell erzählt: Die beiden Collegestudenten David und Jack wandern durch die nordenglischen Moore, ein Werwolf zerlegt Jack und beißt von David einmal ab. David wacht in einem Londoner Krankenhaus auf, gebeutelt von Alpträumen und Schuldgefühlen. Er verliebt sich in die Krankenschwester Jenny, und beim ersten Vollmond geht es dann rund.

Diese simple Geschichte kommt insofern ohne große Überraschungen aus, als jede Person, die in ihrem Leben mehr als fünf Horrorfilme gesehen hat, zumindest grob voraussagen kann, was in den nächsten zehn Minuten passieren wird. »An American Werewolf in London« lebt von seinen Figuren, denen man auch in einer Romantic Comedy gerne zusehen würde, der Atmosphäre - und den Bildern der Verwandlung, die damals Furore machten.

Der Special-Effects-Designer Rick Baker montierte für die Verwandlungsszene, die das zentrale Spektakel hier bildet, diverse Applikationen an Gesicht und Körper des Hauptdarstellers David Naughton. Beides, Gesicht und Körper, beginnt zu pulsieren, sich zu zerdehnen und zu wachsen, alles unter dem Geräusch knacksender und krachender Knochen. Für die Verwandlung des Studentenkopfes in einen Wolfsschädel wurden drei mechanische Kopfmodelle aus Glasfaser und Schaumgummi gebaut. Der Mund verlängert sich in einer schnittfreien Einstellung und wird zur Schnauze. Haare wachsen durch eine Haut aus Schaumgummi, direkt durch das Material hindurch. Der Werwolf, der in zwei langen denkwürdigen Einstellungen durch die Londoner Nacht randaliert, war dann komplett mechanisch und wurde dann von zehn Menschen animiert.

Wer wissen möchte, warum Spezialeffekte aus der Werkstatt anders, nämlich in der Wirkung ungleich körperlicher als digitale Spezialeffekte wirken, kann die Verwandlung aus »An American Werewolf« und einen beliebigen Blockbuster, der nach 2010 erschienen ist, miteinander vergleichen. Mit Nostalgie hat das wenig zu tun, es ist eine Materialfrage, die sich entscheidet an der jeweiligen Welthaltigkeit der Bilder, um eine Formulierung der Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch aufzugreifen.

Welthaltigkeit ist auch abgesehen vom Transformationsspektakel eine entscheidende Qualität von »An American Werewolf in London«. Die Eröffnungssequenz - die Wanderung durchs Moor und die erste Werwolf-Attacke - gehört zum filmisch Schönsten, was das Genre in den 80er Jahren hervorgebracht hat. Der Dorfpub, in dem David und Jack sich aufwärmen, um dann zurück in die regnerische Nacht und ins Verderben zu spazieren, ist genau so sorgfältig gestaltet, wie alle anderen Aspekte und Momente dieser Bilder. John Landis’ Kino ist bestimmt von einer großen Leichtigkeit und einem vielleicht erst beim zweiten Sehen auffallenden untergründigen Ernst. Zugleich ist in seinen Filmen jedes Detail genau gesetzt und spürbar wichtig.

Und sehr komisch ist dieser Film dann auch noch. Vielleicht ist das auch das Geheimnis des Zaubers, der nach wie vor von »An American Werewolf in London« abstrahlt: Er ist düster, lustig, spektakulär und grimmig gleichzeitig. Landis zieht die ganze Sexualmetaphorik ab, die noch in dem von ihm direkt zitierten »The Wolf Man« von 1941 drinsteckte, einem Urtext des Subgenres. Und er verwandelt die Werwolf-Mythologie in eine schwarzhumorige Geschichte von Verhängnis und Ausweglosigkeit, die in ihrem selbstverständlichen Fatalismus aus dem US-Horrorfilm der 80er Jahre heraussticht und gut gealtert ist. Oder, in den Worten von John Landis: »unglaublich brutal und sehr traurig, sehr lustig, aber noch lange keine Komödie«. So einfach geht das.

»An American Werewolf in London«: USA 1981. Regie: John Landis. Mit: David Naughton, Jenny Agutter, Griffin Dunne, John Woodvine, Brian Glover, Frank Oz, 360 Minuten. UHD Blu-ray (Turbine Medien)

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