Das Ende der nordischen Neutralität

Finnland und Schweden planen eine engere Militärkooperation. Seit der Krimkrise sind sie misstrauischer gegenüber Russland geworden

  • Robert Stark, Helsinki
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Vizekommandeur der schwedischen Luftwaffe Anders Persson hätte am vergangenen Dienstag kaum deutlicher werden können. Bei einer vom Rüstungskonzern Saab organisierten Pressekonferenz unterstrich er die Vorteile einer erhofften finnischen Kaufentscheidung für die Kampfflugzeuge der Saab-Gripen-E/F-Serien.

Die finnischen Luftstreitkräfte werden noch in diesem Jahr entscheiden, welcher Hersteller die Nachfolge der veralteten F/A-18 Hornet antreten wird. Ungefähr zehn Milliarden Euro werden bereitgestellt, um bis zu 64 neue Mehrzweckkampfflugzeuge zu kaufen - fünf westliche Hersteller waren am Bewerbungsprozess beteiligt. Der US-amerikanischen Superhornet und der schwedischen JAS 39 Gripen (schwedisch für »Greif«) werden die größten Chancen eingeräumt. Eine zukünftig mögliche schwedisch-finnische Luftwaffe wäre laut Persson »wie eine einzige, mit zwei Kommandanten«. Noch nie wären die Streitkräfte der Länder so eng verzahnt wie heute, die Interoperabilität sei nie so weit fortgeschritten gewesen.

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Perssons freundliche Unterstützung der schwedischen Rüstungsindustrie folgt dem roten Faden in der Sicherheitspolitik der beiden Länder. Die Nachbarstaaten sind die einzigen der nordischen Länder, die nicht Mitglied der Nato, sondern in strategischer Partnerschaft mit dem transatlantischen Bündnis verbunden sind. Zudem hat man 2009 mit der nordischen Verteidigungskooperation Nordefco eine eigene Rahmenorganisation geschaffen, die gemeinsame Projekte mit Island, Dänemark und Norwegen unter einem Dach versammeln will. Anfang 2015 veröffentlichten die Verteidigungsministerien beider Länder einen Bericht, der die Schaffung einer gemeinsamen stehenden Marine-Eingreiftruppe bis 2023, die Verbesserung der Zusammenarbeit beider Luftwaffen und die Schaffung einer schwedisch-finnischen Brigade fordert.

Mit regelmäßigen bilateralen Anti-U-Boot-Übungen in der Ostsee, der Teilnahme am Nato-Marinemanöver Baltops und der Entsendung von Truppen aller Waffengattungen zum »Trident Juncture 2018« in Norwegen wird schon heute deutlich, wo der Fokus liegt. Das Großmanöver Trident Juncture war das umfangreichste der Nato seit 1993. Es nahmen mehr als 50 000 Soldaten aus 29 Nato-Ländern, Schweden und Finnland teil. In der Übung wurde der Bündnisfall, also der Angriff feindlicher Streitkräfte auf ein Nato-Mitgliedsland simuliert.

Im Dezember vergangenen Jahres votierte eine Mehrheit aus Konservativen, Liberalen und Rechtspopulisten im schwedischen Riksdag für die »Nato-Option«. Letztlich ist diese kein Beitrittsgesuch, sondern nur die theoretisch-juristische Möglichkeit, überhaupt beitreten zu können. In Finnland besteht diese Option bereits seit 1995. Aber neben der Mehrheit der schwedischen Parlamentarier ist auch die Öffentlichkeit zunehmend offener für einen Beitritt. Laut dem SOM-Institut der Universität Göteborg halten nur noch 32 Prozent der Befragten den Beitritt für eine schlechte, 29 Prozent für eine gute Idee. Bei der ersten Erhebung 1994 waren noch 48 Prozent gegen und nur 15 Prozent für einen Beitritt. Nach der Krimkrise im Jahr 2014 ergab eine Erhebung des gleichen Umfrageinstituts sogar das erste Mal eine dünne Mehrheit für einen Beitritt. Schweden hatte seinerzeit die Wehrpflicht wieder eingeführt und nach fast zehn Jahren Abwesenheit wieder Truppen auf der Insel Gotland stationiert. Anfang September kam es auf der Ostseeinsel sogar zu einer Teilmobilisierung, nachdem sich drei russische Marineschiffe der Insel genähert hatten.

Auch im animierten Werbevideo der neuen Saab-Kampfflugzeuge kommen die feindlichen Kräfte aus dem Osten und drohen, Gotland zu attackieren. Der Kampfjet wird als eine Art »I-Phone« unter den Kampfflugzeugen dargestellt, mit Quantensprüngen im Bereich der Avionik. Die Gesamtheit aller elektronischen und elektrischen Geräte an Bord eines Flugzeuges wird als Avionik bezeichnet und gilt als Maßstab für die Schlagkraft neuer Kampfjets. Längst geht es nicht mehr darum, ein noch schnelleres Flugzeug mit noch größeren Ladungskapazitäten zu produzieren. Vielmehr sollen im Flugzeug selbst möglichst viele Daten zeitgleich ausgewertet werden, um dem Piloten eine raschere Entscheidungsfindung zu ermöglichen.

Die Kaufentscheidung der finnischen Streitkräfte ist im Kontext der Entwicklungen der vergangenen Jahre hochinteressant - die mögliche Entscheidung für die schwedischen Produzenten erscheint als eine logische Weiterführung der immer weiter vertieften Kooperationen. Denn für die finnischen Militärs ist eine weiter verzahnte Zusammenarbeit mit Schweden innerhalb der gemeinsamen EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik und Nordefco greifbarer als ein Beitritt zum Nordatlantikpakt.

Auch wenn die Einstellung gegenüber dem östlichen Nachbarn in der finnischen Öffentlichkeit kritischer geworden ist, möchte die Mehrheit der Finnen keinen Beitritt. Bei der letzten Umfrage im Oktober 2020 sprachen sich nur 22 Prozent der Befragten für eine Nato-Mitgliedschaft aus, 45 Prozent lehnten diesen Schritt ab.

Für Anna Wieslander, Nordeuropa-Expertin der US-amerikanischer Denkfabrik »Atlantic Council«, ist die Entwicklung der vergangenen 30 Jahre ein bemerkenswerter Wechsel: »Am Ende des Kalten Krieges waren Schweden und Finnland neutrale, nordische Staaten. Heute sind sie EU-Mitglieder, engste Nato-Partner und ihre Streitkräfte fast vollständig interoperabel mit Nato-Kräften.«

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