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Unmut zur Unzeit in der Linken von Sachsen-Anhalt
Die Linkspartei Sachsen-Anhalts hat gut drei Monate vor der Landtagswahl mehrere Konflikte zu lösen
Eva von Angern hatte wenig zu lachen. Ernste Themen lagen auf dem Tisch, als die Spitzenkandidatin der Linken für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am Dienstagabend beim Neujahrsempfang der Fraktion mit weiteren Gästen in einer Talkrunde zusammensaß: die sozialen Folgen der Corona-Krise, Armut, Vereinsamung. Für einen Moment aber konnte von Angern ein kurzes Schmunzeln dann doch nicht verbergen. Nämlich, als der neben ihr sitzende Landeschef Stefan Gebhardt als redseliger Moderator der Talkrunde die »charmante Bundestagsabgeordnete« Sahra Wagenknecht vorstellte.
Die Reaktion war nicht gespielt oder gar ironisch zu verstehen. Von Angern hatte Wagenknecht, die zu den im Rahmen eines digitalen Formats nach Magdeburg zugeschalteten Talkgästen gehörte, zuvor selbst als den »wirtschafts- und finanzpolitischen Sachverstand der Partei« angekündigt. Man schätzt sich – und man war sich auch einig in der Analyse, dass die Corona-Pandemie das Armutsproblem verstärkt, während die Reichsten von der Krise sogar profitieren.
So wohlwollend betrachteten jedoch nicht alle linken Fraktionäre diese Debatte. Nach »nd«-Informationen hatten drei von 16 Fraktionsmitgliedern, darunter die Abgeordnete Henriette Quade aus Halle, Bedenken geäußert. Der Grund: Wagenknecht gehört seit Jahren zu den polarisierendsten Persönlichkeiten der Linken – gerade in der Flüchtlingsfrage.
Manche werfen ihr vor, Ressentiments gegen Geflüchtete zu bedienen. Aus den Reihen der Kritiker hieß es nun, die Talkrunde habe der Partei einen unnötigen Konflikt aufgezwungen: »Es nützt niemandem etwas, diesen Konflikt kurz vor dem Wahlkampf auf dem Tisch zu haben. Ich will das auch nicht. Aber den Konflikt macht Sahra auf, nicht diejenigen, die sie kritisieren und sich distanzieren müssen«, sagte Quade.
Von Angern gehörte zu den Befürwortern der Diskussion mit Wagenknecht. »Das war eine demokratische Entscheidung der Fraktion«, sagte die Spitzenkandidatin gegenüber »nd«. Dass Wagenknecht eigenständige Positionen vertritt, ist für von Angern kein Problem: »Wir sind eine pluralistische Partei.« Von Angern warb dafür, »gut drei Monate vor der Wahl den Fokus auf die politischen Konkurrenten zu legen, nicht auf innerparteiliche Debatten«.
Der Streit um Wagenknecht ist nicht der einzige Konflikt, den die Linke in Sachsen-Anhalt derzeit zu lösen hat. Hinzu kommt die Unzufriedenheit der Linksjugend: Während das Spitzenpersonal für die Landtagswahl – mit Ausnahme der neuen Frontfrau Eva von Angern – aus zahlreichen alten Bekannten besteht, fühlt sich der parteinahe Jugendverband nicht genügend berücksichtigt.
Auf der Vertreterversammlung am 30. Januar waren die beiden Jugendkandidaten Rebekka Grotjohann und Timon Kniewel bei den Wahlen zu Platz elf und zwölf der Landesliste – diese wird nach Geschlechtern quotiert gewählt – ins Rennen eingestiegen, aber je fünfmal an den Listenvorschlägen des Landesvorstandes gescheitert.
Nach den Wahlen zu Platz 19 und 20 gaben sie dann entnervt auf – und Grotjohann machte ihrem Ärger Luft. Es sei skandalös, dass die Jugendkandidaten nicht auf aussichtsreichen Plätzen berücksichtigt wurden, sagte sie – denn so werde es der Linken auch weiterhin nicht gelingen, ihr Potenzial bei jungen Wählern auszuschöpfen.
Angesichts der verbalen Unterstützung für Jugendbewegungen wie Fridays for Future stelle sich die Frage, ob dies nur leere Worte gewesen seien – oder ob die Partei den Widerspruch zur eigenen Kandidatenkür nicht erkenne: »Beides ist einer emanzipatorischen Partei nicht würdig«, schimpfte Grotjohann.
Ebenso deutlich wurde Michael Waßmann, der zwei Tage später bei Facebook einen wütenden Post verfasste: Für den Landesvorsitzenden sei die Linksjugend nur »irgendeine Interessengemeinschaft«, schrieb Waßmann, langjähriger Landessprecher des Jugendverbands und Mitglied im Jugendwahlbüro.
Ist die Jugend der Partei tatsächlich egal? Landeschef Gebhardt kontert: »Man kann als Jugendverband nicht für alle jungen Menschen in der Partei sprechen. Wir haben junge Parteimitglieder sowohl innerhalb als auch außerhalb dieser Jugendverbandsstruktur«, sagt er und verweist auf einen Parteitagsbeschluss, nach dem sich der Listenvorschlag nach den Personalvorschlägen der Stadt- und Kreisverbände zu richten habe.
Auf der Landesliste finden sich nun unter den ersten 16 Kandidaten mit Carola Kunde und Marco Heide immerhin zwei Personen Anfang 30, die bislang noch keine Landtagserfahrung gesammelt haben und frischen Wind ins Magdeburger Parlament bringen sollen. Kandidaten der Linksjugend sind sie gleichwohl nicht.
Könnte es sein, dass der Landesvorstand – abgesehen von Parteitagsbeschlüssen – kein politisches Interesse daran hat, den Jugendverband zu fördern, weil er deren Kandidaten schlicht für ungeeignet hält? »Das ist keine Abwertung der Jugendkandidaten, sondern eine Wertschätzung der anderen Bewerber«, entgegnet Stefan Gebhardt und will auch das von der Linksjugend geäußerte Argument, man verliere gerade unter Erstwählern massiv Stimmen an die Grünen, nicht gelten lassen.
Angesichts des schwachen Ergebnisses bei der Landtagswahl 2016 – die Linke holte damals nur 16,3 Prozent und verlor 13 Mandate – habe man »in allen Altersgruppen mehr Potenzial, auch bei älteren Menschen«. Fakt ist natürlich: 2016 votierten vor allem ältere Menschen für die Linke, während die Partei bei den 18- bis 24-Jährigen unterdurchschnittlich abschnitt. Hinzu kommt: Die Umfragewerte der Linken in Sachsen-Anhalt pendeln seit vielen Monaten erneut zwischen mageren 16 bis 17 Prozent.
Die Linksjugend jedenfalls ist frustriert – und hat bereits Konsequenzen gezogen. Laut Michael Waßmann will sich der Jugendverband in seinem Wahlkampf ganz auf die beiden Direktkandidaturen von Rebekka Grotjohann und Timon Kniewel konzentrieren – wenngleich es sehr schwer werden dürfte, die beiden Wahlkreise im ländlichen Raum zu gewinnen.
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