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Als das Erdmagnetfeld kippte
Vor 42 000 Jahren gab es zum letzten Mal einen Polsprung. Die Folgen für Mensch, Tier und Klima waren verheerend.
Eine internationale Studie unter Federführung der Universität von New South Wales (UNSW) in Sydney und des Südaustralischen Museums versucht nun ein Bild von dem zu zeichnen, was vor 42 000 Jahren auf der Erde vorgefallen ist. Die Analyse im Fachjournal »Science« gleicht einem Horrorszenario: Die Forscher sprechen von »apokalyptischen Zuständen«, die durch die Umkehr des Erdmagnetfeldes und der daraus folgenden verstärkten Strahlenwirkung der Sonne über mehrere Jahrhunderte auf der Erde geherrscht hätten. Das habe »weitreichende Konsequenzen für unseren Planeten« gehabt, kommentierten die Forscher im akademischen Magazin »The Conversation«.
Nachdem die Stärke des Magnetfeldes während des Polsprungs auf weniger als sechs Prozent des heutigen Wertes abfiel, verlor die Erde zeitweise ihr Schutzschild gegen kosmische Strahlung. Im folgenden wurde die Ozonschicht zerstört und elektrische Stürme wüteten über den Tropen – so die Forscher. Ohne den Schutz von Magnetfeld und Ozonschicht sei das Leben auf der Erde intensivem ultraviolettem Licht ausgesetzt gewesen. »Es muss sich wie das Ende der Welt angefühlt haben«, sagte Alan Cooper vom Südaustralischen Museum, der an der Studie beteiligt war.
Ihre Erkenntnisse verdanken die Forscher einem »Zeitzeugen«. Etwa vor zwei Jahren entdeckten Bauarbeiter in Neuseeland einen uralten Kauribaum – perfekt konserviert im Moor. Dieser massive Baum wuchs zu Zeiten des letzten Polsprungs, und seine Jahresringe waren so gut erhalten, dass es den Forschern mithilfe von Klimamodellen sowie der Radiokarbondatierung gelang, eine Zeitskala zu bauen, die diese dramatische Periode in der Erdgeschichte abbildete. »Damit konnten wir den Zeitpunkt und die Umweltauswirkungen des letzten Polsprungs zum ersten Mal genau datieren«, sagte Chris Turney von der UNSW, einer der Hauptautoren der Studie. Diese Zeitskala verglich das Team mit Aufzeichnungen aus Höhlen, mit Eisbohrkernen und Torfmooren aus der ganzen Welt.
Dabei stellten die Forscher fest, dass sich das Wachstum von Eisschildern und Gletschern über Nordamerika sowie große Verschiebungen der Wettersysteme unter Umständen auf den Polsprung zurückführen lassen. Einer ihrer ersten Hinweise war, dass die Megafauna auf dem australischen Festland und auf Tasmanien – Riesenkängurus und Riesenwombats – ebenfalls vor rund 42 000 Jahren ausgestorben ist. »Das schien nie richtig zu passen, denn es war lange nach der Ankunft der Aborigines, aber ungefähr zur gleichen Zeit, als sich die australische Umwelt in den gegenwärtigen trockenen Zustand wandelte«, sagte Cooper.
Die Forscher gehen aber noch weiter. Sie glauben, dass die damalige Umpolung auch für das Aussterben der Neandertaler verantwortlich sein könnte. Gleichzeitig halten sie es für keinen Zufall, dass sich zu diesem Zeitpunkt auch die figurative Höhlenmalerei entwickelte. Der moderne Mensch habe in dieser Zeit vermutlich Zuflucht in Höhlen gesucht, schlussfolgern sie.
Die weitreichenden Rückschlüsse der Forscher haben in der Wissenschaftsgemeinde heftige Diskussionen ausgelöst. Einigen Kollegen gehen die Annahmen zu weit, wie die zahlreichen Kommentare in »The Conversation« deutlich machen. Doch die Geheimnisse, die der uralte Kauribaum preisgegeben hat, zeigen auf alle Fälle, welch weitreichende Folgen ein Polsprung auf das Leben auf der Erde hat.
Und sie stellen eine Warnung dar: Denn auch in der heutigen Zeit ist ein erneuter Polsprung nicht völlig abwegig. So haben sich einige Wissenschaftler in der jüngeren Vergangenheit besorgt über die derzeitige Bewegung des Nordmagnetpols geäußert. Diese könnte – gepaart mit der Abschwächung des Erdmagnetfeldes um rund neun Prozent in den letzten 170 Jahren – durchaus »auf eine bevorstehende Umkehr deuten«, sagte Cooper. Auch in der heutigen Zeit wären die Folgen für die moderne Gesellschaft enorm: Die kosmische Strahlung würde nicht nur unsere Strom- und Satellitennetze stören, laut Turney wäre eine Polumkehr auch ein »beispielloser Beschleuniger« der vom Menschen verursachten Klimakrise.
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