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Schicksale, die implodieren
»Die Optimisten«: Rebecca Makkai hat einen Roman über die AIDS-Pandemie in den 80er Jahren geschrieben
Wie werden wir uns eines Tages an die Coronakrise erinnern? An eine Zeit der ökonomischen und politischen Krise, verbunden mit den größten Grundrechtseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik? Oder an eine Zeit, in der man den Eindruck hatte, dass nicht wir das Virus im Griff hatten, sondern das Virus uns?
Und wie soll man literarisch damit umgehen? In ihrem Roman »Die Optimisten« erzählt US-Autorin Rebecca Makkai von der AIDS-Pandemie der Achtzigerjahre und ihren Folgen, anhand einer Gruppe von Freunden aus dem Chicagoer Schwulenviertel »Boystown«, beginnend im Jahr 1985, und einer kleinen Diaspora von Überlebenden im Paris des Jahrs 2015. Die US-Autorin hatte ihren Roman vollendet, bevor die Coronakrise begann.
Ihr expansiver Plot beginnt wie in einem die Spannung des Titels aufnehmenden Nukleus auf einer Party, die sich Nico anstelle einer Trauerfeier von seinen Freunden gewünscht hatte, bevor er als einer der ersten an AIDS verstarb. Zur offiziellen Trauerzeremonie der Familie sind seine Freunde ohnehin nicht eingeladen, nicht einmal Nicos langjähriger Partner.
Mit dem Aufkommen der Infektionskrankheit AIDS erreichte die soziale Ächtung der Homosexualität noch einmal einen traurigen Höhepunkt, was den Umgang mit dem sich rasant verbreitenden HI-Virus nicht erleichterte. Genauso erbarmungslos, wie Nicos Eltern ihn mit 15 verstoßen hatten, so hatten sie ihn kurz vor seinem Tod kaum zehn Jahre später wieder vollständig für sich reklamiert und darauf bestanden, ihn in einem schlecht ausgerüsteten Vorortkrankenhaus sterben zu lassen, offiziell an einer Lungenentzündung.
In dem erzählerischen Zellkern der Trauerparty begegnen wir nun schon fast allen Figuren, deren Schicksale bald eher implodieren als explodieren werden. Da ist etwa Nicos kleine Schwester Fiona, die sich nach dessen Auszug um ihn gekümmert und ihrerseits von der Familie abgewandt hatte. Sie wird die Hauptfigur der Paris-Kapitel sein, die sich mit den Chicago-Episoden abwechseln und somit Vergangenheit und Gegenwart nicht nur psychologisch, sondern auch erzähltechnisch miteinander verschränken. In Paris wird sie auch den Gastgeber der Party, den dann weltberühmten Fotografen Richard, besuchen.
In Chicago aber werden die Ereignisse aus der Sicht des jungen Kurators Yale erzählt, der gerade kurz davor steht, den Coup seiner noch jungen Karriere zu landen. Yale kann sich einigermaßen sicher vor dem Virus fühlen, weil er seit vier Jahren - für die Szene damals eher ungewöhnlich - eine monogame Beziehung mit Charlie führt, der als Herausgeber einer homosexuellen Stadtzeitung in der Chicagoer Szene jeden kennt, aber trotzdem - oder gerade deswegen - der Eifersüchtigere der beiden ist. Eine einzige unbedachte Aussage auf der Party treibt schließlich die gesamte Gruppe in einen tödlichen Strudel aus Angst und Verzweiflung - und leiser Hoffnung.
Obwohl also von Anfang an in diesem Kern fast alles angelegt ist, entwickelt Makkai ihre Geschichte daraus mit langem Atem. Das macht sie zumeist hervorragend, mit einigem Pathos, aber nie zu sentimental, nur manchmal vielleicht etwas arg konstruiert. Insgesamt entfaltet sich dadurch ein imposantes Panorama, das durch die Zeitsprünge aus zwei Richtungen aufgerollt wird.
Und zwar - tragisch passenderweise - am Ende von den zwei einzigen Frauen in Boystown, vor allem von Fiona, die dreißig Jahre nach Nicos Tod in Paris ihre erwachsene Tochter samt Enkelin sucht. Aber auch von Yales ehemaliger Kollegin Cecily, die damit auch eine Geschichte in der Geschichte in die Gegenwart transportiert: die der jungen amerikanischen Kunststudentin Nora, die im Paris der 1920er Jahre eine unsterbliche Liebe findet - und verliert - und später ihre exquisite Kunstsammlung an Yales Galerie spenden möchte.
Der Rezensent Hans Hütt hat in der Wochenzeitung »Der Freitag« hier die Zutaten für ein episches Kinodrama entdeckt, auch wenn er mit Makkais Umsetzung alles andere als zufrieden ist. Die Beobachtung wird sich vielleicht bald überprüfen lassen, denn aktuell wird immerhin eine Fernsehserie aus dem Roman entwickelt.
Die deutsche Übersetzung erscheint zu einem gespenstisch passenden Zeitpunkt. Bei allen Differenzen liegen doch auch die Ähnlichkeiten der AIDS- und der Covid-Pandemie auf der Hand, etwa die Tendenz, stets den infizierten Personen die Schuld zuzuschieben und nicht dem Virus selbst. Wobei das gruppenspezifische victim blaming bei HIV noch wesentlich besser funktionierte als bei Corona, wo aus dem in China aufgetauchten Virus in Windeseile eine weltweite Bedrohung für alle wurde. Und auch der mutige Kampf von damals für eine gerechtere Gesundheitsversorgung, den Makkai anhand der ACT-UP-Demo von 1990 beschreibt, ist in den USA noch lange nicht ausgefochten.
Makkai spannt einen traurig-tröstenden Erinnerungsbogen für die wenigen Überlebenden, die »großen Optimisten«, die »dem Tod ins Gesicht sahen und verschont wurden«. Man weiß nicht so recht, ob man sich das, was F. Scott Fitzgerald hier über seine Lost Generation von amerikanischen Expats in Paris nach dem Ersten Weltkrieg schrieb, auch für die kommenden Zwanzigerjahre wünschen soll. Bestenfalls kommen wir mit etwas weniger verheerenden Krisen - und dann meinetwegen auch mit etwas weniger explodierender künstlerischer Innovation - hindurch. Die ersten Corona-Romane sind jedenfalls schon da.
Rebecca Makkai, Die Optimisten. A.d. amerik. Engl. v. Bettina Abarbanell, Eisele Verlag, 624 S., geb., 24 €.
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