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Impfen soll endlich Praxis werden
Hausärzte könnten künftig Vakzine verabreichen - Coronakrise verschärft soziale Ungleichheit
Die Debatte um Impfreihenfolge und -geschwindigkeit ist am Mittwoch in Bewegung gekommen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) setzte sich bei einem Treffen mit den Landesgesundheitsministern für die Beibehaltung der festgelegten Impfreihenfolge ein. Spahns Ministerium erklärte, das Ziel sei es weiterhin, Anfang April mit Impfungen in den Hausarztpraxen zu beginnen. Es solle ein bundeseinheitliches Vorgehen geben, um bekannte Vertriebswege über Großhandel und Apotheken zu nutzen.
Zuvor hatte es vom Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, Kritik am Plan der Bundesregierung gegeben, sich vorrangig auf die Strukturen des öffentlichen Gesundheitswesens und Impfzentren zu verlassen. In Arztpraxen könne deutlich mehr geimpft werden. In der »Welt« erklärte Gassen, dass ab April 20 Millionen Menschen monatlich in Arztpraxen geimpft werden könnten. Bis Anfang August könne so die erwachsene Bevölkerung weitgehend immunisiert werden. Gassen beschwerte sich außerdem über die »deutsche Neigung, den Bürokratie-Oscar gewinnen zu wollen«.
Die strengen Richtlinien, die von der Ständigen Impfkommission ausgegeben wurden, sollten gelockert werden. Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sprach sich dafür aus, den Hausärzten mehr Verantwortung zu überlassen. Vorgaben und Prüfungen würden das Impftempo verlangsamen.
Dagegen sprach sich Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz aus. Er kritisiert das Versprechen, zuerst Alte und Kranke zu impfen, gelte nicht mehr. Die »ethisch festgesetzte Impfreihenfolge« sei nur noch eine »Farce«. Noch immer seien drei Millionen Menschen aus der ersten Impfgruppe nicht versorgt worden. »Länder, Städte und Gemeinden machen, was sie wollen«, kritisiert Brysch.
Weiter mahnt der Patientenschützer an, es herrsche »das Recht der Starken, Schnellen und Lobbyisten«. Es sei zwar gut, wenn jetzt die Hausärzte bei den Impfungen mit ins Boot geholt würden, so Brysch. Allerdings seien Äußerungen, diese würden ihre Patienten am besten kennen »bedenklich«. Auch Ärzte müssten »mit Blick auf die Impfreihenfolge ethisch handeln«.
Unterdessen vergrößert sich die soziale Ungleichheit in Deutschland durch die Corona-Pandemie. Das zeigt ein Datenreport, den das Statistische Bundesamt zusammen mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung veröffentlicht hat. Aus der zwischen März und Juli 2020 durchgeführten Studie geht hervor, dass Alleinerziehende besonders von der Pandemie betroffen sind. 25 Prozent von ihnen gaben an, dass sie von finanziellen Problemen betroffen seien.
Auch Migranten gaben doppelt so oft an, dass sie in Schwierigkeiten geraten seien, wie Menschen ohne Migrationshintergrund. Im Datenreport wurde außerdem festgestellt, dass Menschen mit hohem Einkommen zwar häufiger Einnahmeverluste erlitten, dies aber nicht so sehr spürten. Bei Menschen mit niedrigem Einkommen hatten etwa 20 Prozent ernsthafte Sorgen. »Das heißt, sie waren in Zahlungsschwierigkeiten geraten, mussten Kredite aufnehmen, waren in ernsthafte Geldprobleme geraten, mussten möglicherweise auf Ersparnisse zurückgreifen, Sozialleistungen beantragen oder ihren Lebensstandard drastisch einschränken«, wie der WZB-Experte Philipp Wotschack erläutert.
Reaktionen auf den Report gab es von Linke und Grünen. Janine Wissler, Vorsitzende der Linken, forderte einen »Aktionsplan für soziale Gerechtigkeit und gegen Armut«, den die Bundesregierung auflegen müsse. Als erste Schritte forderte sie eine »Neuausrichtung« bei den Coronahilfen, um Soloselbstständige und Kulturschaffende abzusichern. Auch die Anhebung von Kurzarbeitergeld, Mindestlohn und Hartz IV müsse man schnell umsetzen. Der Grüne Bundestagsabgeordnete Sven Lehmann forderte, »die soziale Sicherung auf neue Füße zu stellen«. Hartz-IV müsse überwunden werden und es brauche eine sanktionsfreie Garantiesicherung. Seiten 8 und 15
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