- Politik
- Nazi-Chats
»Schande für die Polizei«
Landesinnenministerium: Essener Beamte fallen durch »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« auf
»Das Handeln der Treiber und Unterstützer ging deutlich über das Posten rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher, rassistischer und antisemitischer Inhalte hinaus.« Ein Satz von bemerkenswerter Klarheit in einem aktuellen Bericht des nordrhein-westfälischen Innenministeriums. Dieser war am Donnerstag Thema im Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags. Das Ministerium bewertet damit, was sich in Chatgruppen von Polizisten aus Mülheim an der Ruhr abgespielt hat. Nazi-Inhalte seien verbreitet worden, heißt es in dem Report. Es handelt sich dabei allerdings nur um eine Zusammenfassung. Den ganzen Bericht zur Sonderinspektion bei der Essener Polizei, die auch für Mülheim zuständig ist, hat das Ministerium zur Verschlusssache erklärt. Jedoch haben es auch die 13 Seiten Kurzfassung in sich.
Rückblick: Im September 2020 war zufällig – eigentlich ermittelte die Polizei gegen einen Kollegen wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen – entdeckt worden, dass es bei der Polizei in Mülheim Chatgruppen gibt, in denen fleißig rassistische und neofaschistische Botschaften geteilt wurden. Mindestens seit 2012 existierten die Chatgruppen. Darin zu finden: Hitlerbilder, Hakenkreuze und abwertende Bilder von Migranten. Mitte September gab es deswegen Durchsuchungen bei zahlreichen Polizisten und in Dienststellen. Es folgten Suspendierungen, disziplinarrechtliche und strafrechtliche Ermittlungen. In den folgenden Monaten erhöhte sich die Zahl verdächtiger Polizisten im ganzen Land ständig. Ende Februar wurden noch 156 Beamte in NRW überprüft – in der Hälfte der Fälle allerdings nur wegen dienstrechtlicher Vergehen. Staatsanwaltschaften sahen keine strafrechtliche Relevanz.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte nach der Enttarnung der Mülheimer Chatgruppe von einer von einer »Schande für die Polizei« gesprochen und umfassende Aufklärung angekündigt. Ein erstes Ergebnis ist der Bericht zur Sonderinspektion bei der Essener Polizei. Das Innenministerium unterscheidet darin zwischen verschiedenen Chatgruppen, in denen es extrem rechte Beiträge gab. So habe es Gruppen gegeben, die auch für die dienstliche Kommunikation genutzt wurden. Bei ihnen handele es sich »nicht um extremistische Chatgruppen«. Vielmehr seien sie »missbräuchlich« für rechte Inhalte genutzt worden. Bei einer anderen Gruppe, die für gemeinsame Kegelaktivitäten genutzt wurde, sei die »Ausprägung« als »Gesinnungsgemeinschaft mit rechtsextremistischer Ausrichtung stärker« gewesen. Die Beiträge seien »deutlich über das Posten rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher, rassistischer und antisemitischer Inhalte hinaus« gegangen. Insgesamt fänden sich bei den an den Chats beteiligten Polizisten »nahezu alle Aspekte des Syndroms Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit«. Polizisten seien auch mit verschiedenen Straftaten, darunter Köperverletzungsdelikte, Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Eigentumsdelikte in Erscheinung getreten. Fehlverhalten habe es auch beim »konkreten Einschreitverhalten« der Beamten gegeben.
All das, wird im Bericht kritisch vermerkt, hätte von den Führungskräften bemerkt werden müssen. Denn »nicht erwünschtes Verhalten« sei im Umfeld der Dienstgruppe »wahrnehmbar« gewesen. Deshalb hätte es Interventionen geben müssen. Diese seien jedoch »nicht feststellbar« gewesen. Durch langen Verbleib in ein und derselben Dienstgruppe und Funktion und eine nicht ausgeglichene Altersstruktur habe sich eine »problematische Personenkonstellation« gebildet. Das zentrale Problem sei allerdings, dass Führungskräfte ihre Aufgaben »nicht ordnungsgemäß wahrgenommen« haben. Insgesamt sei festzustellen, dass »Frühwarnmechanismen« wie die Beschwerdesachbearbeitung und die Überprüfung von sensiblen Vorgängen wie sogenannten Widerstandsanzeigen »nicht gegriffen« hätten.
Bei der Sonderinspektion wurde nicht nur die auffällige Dienstgruppe aus Mülheim untersucht, sondern das gesamte Polizeipräsidium Essen. Dabei habe es in allen Polizeiinspektionen aus dem Bereich Einsatz wie auch bei der Kriminal- und Verkehrspolizei Hinweise auf extrem rechtes und rassistisches Verhalten gegeben. Die Autoren des Berichts kommen allerdings zu dem Schluss, die Zahl der Vorkommnisse gemessen an der Größe der Essener Polizei nicht »signifikant erhöht«.
Der Essener Ratsherr Daniel Kerekeš (Linke) sieht das anders. In den letzten Jahren seien »immer wieder rassistische Vorfälle aus dem Polizeipräsidium Essen ans Licht gekommen«, sagte er am Donnerstag gegenüber »nd«. Kerekeš nennt Beispiele: Eine Familie, die sich Rassismus ausgesetzt sah, als sie in Mülheim Anzeige erstatten wollte; ein Schwarzer Mann, der nach eigenen Angaben auf einer Wache getreten und geschlagen wurde; Adel B., der von einem Polizisten erschossen wurde. Deswegen könne man, so der Linke-Politiker, »nicht mehr von Einzelfällen sprechen oder davon, dass das Präsidium kein strukturelles Problem hätte«. Kerekeš will das Thema im Polizeibeirat besprechen, bis »sich was bewegt«. Der Ratsherr unterstützt zudem die Forderung nach einer unabhängigen Beschwerdestelle, bei der Bürger Fehlverhalten von Polizistenanzeigen können, und nach einer wissenschaftlichen Untersuchung zu rassistischen Strukturen in der Polizei.
Auch Thema im Landtag war das Lagebild der Stabsstelle »Rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei NRW«. Die vom stellvertretenden Verfassungsschutzchef Uwe Reichel-Offermann geleitete Stelle untersuchte extrem rechte Vorfälle bei der Polizei Nordrhein-Westfalen vom 1. Januar 2017 bis zum Ende des Jahres 2020. Mit der Aufdeckung der Essener Chatgruppe habe die Zahl der Fälle enorm zugenommen. Bei den meisten Fällen habe es bisher »keine oder schwache Sanktionen« gegeben, so Reichel-Offermann. Bei vielen schwerwiegenden Fällen liefen allerdings noch die Ermittlungen. Überrepräsentiert bei den Vorfällen seien Polizisten aus dem Bereich Gefahrenprävention/Einsatz, also Streifenpolizisten. Unterrepräsentiert sei die Kriminalpolizei. Auch Frauen seien selten mit rechten Äußerungen aufgefallen. Besonders oft seien Polizisten unter 30 aufgefallen. In Chatgruppen seien sie besonders oft durch den Nationalsozialismus verherrlichende Aussagen und antisemitische Aussagen aufgefallen. In den Chatgruppen manifestiere sich eher ein »geschlossenes Weltbild« als in der »Realwelt«, wo es vor allem zu einzelnen rassistischen Beleidigungen gekommen sei. Bezüge in den organisierten Rechtsextremismus habe es in vier Fällen gegeben, in einem Fall gäbe es eine Mitgliedschaft in einer Organisation. Dabei handelt es sich um Thorsten W., der in der rechtsterroristischen »Gruppe S.« aktiv gewesen sein soll. Strukturen in denen gemeinsam rechte Straftaten geplant werden, seien nicht festgestellt worden. Um das rechte Problem in der Polizei zu beheben will man in Nordrhein-Westfalen künftig mehr auf Prävention setzen. Medienkompetenz soll ausgebaut werden und Verhaltensregeln entwickelt werden.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.