Als ob man sie mundtot machen, vernichten wollte

Patrícia Melo: «Gestapelte Frauen» ist eine glühende Anklage männlicher Gewalt

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Wir Frauen sterben wie die Fliegen. Ihr Männer besauft euch und tötet uns. Ihr wollt vögeln und tötet uns. Ihr seid wütend und tötet uns …« Die Ich-Erzählerin ist Anwältin, würde indes kaum je einen Mann verteidigen. Weil Frauen die Opfer sind, die noch beschuldigt werden, ihre Mörder provoziert zu haben. »Wir waren doch gewarnt worden: Geh nicht aus dem Haus. Schon gar nicht am Abend. Betrink dich nicht. Sei nicht unabhängig … Zieh nicht diesen Rock an. Und trag nicht diesen Ausschnitt. Aber wer sagt, dass wir Regeln befolgen?« Wortgewaltig ist dieser Roman. Nicht als Wohlfühllektüre gedacht, sondern als Anklage, als Befreiung aus einem Gefühl der Ohnmacht.

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Patrícia Melo: Gestapelte Frauen.
A. d. Portug. v. Barbara Mesquita. Unionsverlag, 251 S., geb., 22 €. •

Im Auftrag ihrer Kanzlei ist die Juristin nach Cruzeiro do Sul in den Westen Brasiliens gereist. »Wie der Staat Mörder produziert, indem er asymmetrische Geschlechterverhältnisse billigt« - für ein Buch darüber soll sie Fakten sammeln. Es ist ihr ein Herzensbedürfnis: Kurz vor ihrer Abreise war sie von ihrem Freund, einem smarten Staatsanwalt, geohrfeigt worden. Aus Eifersucht. Und bei ihrer Ankunft wohnt sie einem Prozess gegen drei junge Männer bei, die auf bestialische Weise eine 14-Jährige getötet haben. Weil sie den angesehensten Familien der Stadt entstammen, als nett und höflich bekannt sind, halten die Geschworenen sie für unschuldig - und weil ein Indiomädchen als Freiwild gilt.

Diesem Mord, der im Laufe der Handlung noch weiter aufgeklärt wird, folgen weitere Gewalttaten. Immer wieder sind Frauen die Opfer. Als ob man sie mundtot machen, vernichten wolle. Ein Kriminalroman, der eine rigorose Systemkritik enthält: gegen eine Gesellschaft, in der Frauen, auch wenn sie studieren durften, noch unterschwellig als minderwertig gelten - und, damit verbunden, gegen den kolonialen Charakter des brasilianischen Staates, für den die Indigenen »nichts als Tiere« sind.

»Stapelweise« sammelt die Ich-Erzählerin in einem Heft die Geschichten ermordeter Frauen. Den einzelnen Kapiteln vorangestellt sind authentische Fallgeschichten, in ihrer Kürze lapidar und umso erschreckender wegen der offensichtlichen emotionalen Aufladung der sadistischen Morde. Die Täter müssen außer sich gewesen sein. Der Roman liest sich wie eine Resonanz darauf. Man spürt, die Autorin ist voller Zorn, und fragt sich, ob sie nicht auch ein persönliches Trauma zu verarbeiten hat. Bei ihrer Ich-Erzählerin bestätigt sich die Vermutung. Die Ohrfeige, die sie als emotionale Vergewaltigung empfindet, hat Tieferes aufgewühlt, das auf spannungsvolle Weise langsam zum Vorschein kommt.

Wobei die Frage nach persönlicher Betroffenheit eher dann auftaucht, wenn man selbst derlei Unterjochung nie erlebt hat. Aber einem Bericht der Weltbank zufolge ist mindestens eine von drei Frauen weltweit im Laufe ihres Lebens geschlagen, vergewaltigt oder auf andere Weise Gewalt ausgesetzt worden. Unser Land beträfe das nicht? »Alle drei Tage«, weisen Laura Backes und Margherita Bettoni im gleichnamigen Buch nach, das jetzt bei der DVA erschien, gibt es in Deutschland einen Frauenmord, verübt vom Partner oder Ex-Partner. Hinzu kommen die Morde an Frauen durch ihnen unbekannte Täter.

Aber Melos Roman spielt in Amazonien, wo der spanische Dominikanermönch Gaspar de Carvajal halbnackte Kriegerinnen entdeckt haben wollte, nachdem seine Expedition 1541 auf der Suche nach dem Goldland »El Dorado« ins Landesinnere vorgedrungen war. Lange wurde das für ein Hirngespinst gehalten. Erst jüngere Forschungen belegen, dass es vor der europäischen Eroberung dort eine Indio-Zivilisation gegeben hat, die fünf bis zehn Millionen Menschen umfasste. Darunter war auch eine Gemeinschaft, in der Frauen nur einmal im Monat Männer zu sich ließen, um Nachkommen zu zeugen, und nur die Mädchen bei sich behielten, die Jungen aber den Vätern gaben.

Was die Ich-Erzählerin während einer Ayahuasca-Zeremonie erlebt, eröffnet eine zweite Ebene im Roman. Immer wieder sucht sie Zuflucht im Dschungel, wo das ermordete Indio-Mädchen zu Hause war. Eine Schamanin führt sie auf geistige Reisen zu ihren verborgenen Erinnerungen und ihrem Zorn. »Die Frau der grünen Steine« taucht auf, umgeben von Kriegerinnen, die Männer als ihre Feinde sehen und die Macht haben, Unrecht zu vergelten. »Auf meiner Fackel reitend wie die Hexen auf ihren Besen flog ich, das Feuer hinter mir, über die Baumkronen in Richtung des Sees, wo die Kriegerinnen mich erwarteten … Getrommel. Rauch … Rachegesänge. Ohne Rache kein Vergessen.«

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