Gedenken mit Zacken

Zum 150. Jahrestag der Pariser Kommune - eine Reminiszenz in Briefmarken

  • Ulrich Fischer und Rolf Hecker
  • Lesedauer: 6 Min.

Das »Kaiserreich klappte zusammen wie ein Kartenhaus, die Republik wurde wieder proklamiert«, erinnerte sich Friedrich Engels, Parteigänger der Pariser Kommune 20 Jahre später an die Ereignisse des Frühjahrs 1871. Der vom preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck provozierte Deutsch-Französische Krieg hatte bereits am 2. September 1870 zur Kapitulation Napoleons III. geführt. Doch die Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen dauerte fort. Am 18. Januar 1871 krönte sich Preußens König im Versailler Schloss selbst zum deutschen Kaiser. Bismarck ließ eine entsprechende »Proklamation an das deutsche Volk« verlesen. Die deutsche Reichseinigung war von oben erfolgt - mit »Blut und Eisen«, in drei Kriegen, erzwungen.

Zwei Tage nach der schmählichen Kapitulation Napoleons III, der sich 1851 an die Macht geputscht hatte, wird der Kaiser der Franzosen von seinen Untertanen gestürzt, eine Regierung der »Nationalen Verteidigung« bildet sich. Die vereinte konservative sowie kleinbürgerliche Demokraten. Die Ideale der Großen Französischen Revolution von 1789, »Liberté, Egalité, Fraternité« (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) haben sie längst vergessen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Als nun der Chef der neuen Exekutive, Louis Adolphe Thiers, einen Friedensschluss mit den Deutschen und eine »Zügelung« der über solcherart Unterwerfung empörten Pariser anstrebt, zieht er Volkes Zorn auf sich. Sein Befehl, die sich nicht geschlagen geben wollende Pariser Nationalgarde zu entwaffnen und deren Besoldung einzustellen, bringt das Fass zum Überlaufen. Dem am Morgen des 18. März 1871 versuchten Zugriff von Regierungstruppen auf die Kanonen der Nationalgarde stellen sich Pariser Arbeiter, Handwerker, Kleibürger entgegen. Einige reguläre Regimenter verbrüdern sich mit der Nationalgarde, die noch am selben Tag die militärische und politische Macht in der Stadt übernimmt.

Des 100. Jahrestages des Volksaufstandes in Paris gedachten elf Länder mit Briefmarkenausgaben - vor allem, aber nicht nur realsozialistische Staaten. Bereits zum 80. Jahrestag brachten die Volksrepubliken Polen und Ungarn postalische Wertzeichen heraus. China erinnerte 1961 und 1991 an die Pariser Kommune. Die in China edierten Briefmarken dokumentierten verschiedene Episoden aus der Zeit vom 18. März bis zum 28. Mai 1871 und porträtierten bedeutende Kommunarden. Nicht überraschen dürfte, dass auch in der UdSSR der Aufstand vom 18. März 1871 postalisch gewürdigt wurde. Eine sowjetische Briefmarke skizzierte mit wenigen prägnanten grafischen Elementen den Anlass: Nationalgardisten verteidigen ihre Kanonen; Frauen stellen sich den Regierungstruppen machtvoll entgegen und ermutigen die Soldaten, auf die Seite der Nationalgarde zu wechseln. Zu sehen ist die rote Fahne, sie verkörpert den proletarischen Charakter des Aufstandes und wird zum offiziellen Symbol der Kommune.

Die Nationalgarde will die Macht möglichst schnell einer zivilen Regierung übergeben, lässt Wahlen ansetzen. Diese finden am 26. März statt. Zwei Tage später treten 64 Vertreter des Volkes, darunter Neojakobiner, Blanquisten und Sozialisten ihr Amt an. Der bereits am Sturz Karls X. in der Julirevolution von 1830 beteiligte Sozialist Louis-Auguste Blanqui ist im 18. und 20. Arrondissement zum Mitglied des Rates der Kommune gewählt worden, kann aber nicht seine Arbeit aufnehmen, da er bereits Anfang März von der Thiers-Regierung verhaftet und an einen geheimen Ort verbracht worden ist.

Der Gemeinderat, die Kommune, verkündet die allgemeine Volksbewaffnung und ordnet die Verteidigung von Paris an. Außerdem ist man sich in dem Bestreben einig, als gewählte Körperschaft des Volkes menschenwürdige soziale Verhältnisse zu schaffen. Die offizielle Proklamation der Kommune am 28. März 1871 auf dem Platz vor dem Hôtel de Ville, dem Rathaus von Paris, in Anwesenheit von über 50 000 begeisterten Hauptstädtern, findet man auf mehreren Briefmarken aus China, der DDR, Jugoslawien und Rumänien.

Zu den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen, die die Lebensbedingungen der einfachen Bürger verbessern sollen, gehört ein Dekret über den rückwirkenden Erlass von fälligen Mieten, die Rückgabe von verpfändeten Gegenständen, insbesondere von Kleidungsstücken, Möbeln, Wäsche, Büchern, Bettzeug und Arbeitswerkzeugen. Beschlossen wird ebenso die vollständige Gleichberechtigung der Frau und die Trennung von Staat und Kirche. Am 6. April wird die berüchtigte Guillotine unter dem Jubel des Volkes öffentlich verbrannt. Die Pariser Kommune nimmt den Charakter einer Volksdemokratie an.

Von Beginn an wird sie von der Regierung Thiers, die sich nach Versailles zurückgezogen hat, mit allen Mitteln und mit Unterstützung der deutschen Besatzungsmacht bekämpft. Am Rande der Unterzeichnung des offiziellen Friedensvertrages zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich in Frankfurt am Main schließen der nunmehrige Reichskanzler Otto von Bismarck und Thiers’ Außenminister Jules Favre am 6. Mai 1871 ein mündliches Geheimabkommen, das den Versaillern freie Hand zum Sturm auf Paris gewährt.

Am 21. Mai 1871 dringen die Regierungstruppen in Paris ein. Die blutige Maiwoche ist eröffnet. In den Kämpfen und bei den folgenden Massenexekutionen werden mehrere Tausend Menschen getötet. Die meisten gefangenen Kommunarden werden entweder sofort standrechtlich erschossen oder von Schnellgerichten zur Deportation in die Kolonien verurteilt, darunter die ungebrochene Kommunardin Louise Michel. Daran erinnern unter anderem in Frankreich und vom südpazifischen Inselstaat und einstigen Verbannungsort Neukaledonien herausgegebene Briefmarken. Die Pariser Kommune endet am 28. Mai 1871 mit der Erschießung der vermutlich letzten aktiven 147 Kommunarden an der südlichen Mauer des Pariser Friedhofs Père Lachaise, was unter anderem auf Briefmarken aus der CSSR und der Volksrepublik Albanien festgehalten worden ist. Die Mauer der »Föderierten« steht noch immer - »ein stumm beredtes Zeugnis, welcher Raserei die herrschende Klasse fähig ist, sobald das Proletariat es wagt, für sein Recht einzutreten«, schrieb Engels.

Zu den Verbannten gehörte das Mitglied des Rates der Kommune Henri Rochefort, von der neukaledonischen Post verewigt; dem Schriftsteller gelang 1874 die Flucht nach Australien. Paris war ein Schmelztiegel der europäischen Emigration. Viele aus ihrer Heimat von der Reaktion exilierte Polen gehörten der Kommune an und verteidigten sie couragiert. Polen ehrte mit Briefmarken Walery Wróblewski und Jaroslaw Dąbrowski, Ungarn Léo Frankel, korrespondierender Sekretär für Österreich-Ungarn in der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA), deren geistiger Kopf Karl Marx war. Europaweit solidarisierte sich die organisierte Arbeiterbewegung mit den Verfolgten. Mit Hilfe vieler Internationalisten und Sympathisanten gelang es Marx und seinen Töchtern Jenny und Laura sowie Friedrich Engels, Pässe, Quartiere und Arbeit für geflüchtete Kommunarden in London zu besorgen. Der Journalist und Neojakobiner Oliver-Prosper Lissagaray, der zu diesem Zwecke im Hause Marx häufig verkehrte, verliebte sich dabei in dessen dritte Tochter Eleanor, 17 Jahre jünger als er. Noch 1871 verfasste er eine »Histoire de la Commune«, die Eleanor ins Englische übersetzte und die 1877 auch auf Deutsch erschien.

Im Juni 1871, nur wenige Tage nach der Niederschlagung der Kommune, schrieb Eugène Pottier, selbst Mitglied der Kommune, jene Verse, die nach ihrer Vertonung 1888 durch Pierre Degeyter zur Hymne der internationalen Arbeiterbewegung wurde, was Briefmarken der DDR und UdSSR thematisierten. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten bekundeten Protagonisten sozialistischer Parteien und Organisationen immer wieder ihre Bewunderung für die Kommunarden. August Bebel, Reichstagsabgeordneter und Vorsitzender der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), erklärte in seiner Rede am 25. Mai 1871 im gesamtdeutschen Parlament: »Meine Herren, und wenn auch im Augenblick Paris unterdrückt ist, dann erinnere ich Sie daran, dass der Kampf in Paris nur ein kleines Vorpostengefecht ist, dass die Hauptsache in Europa uns noch bevorsteht, und dass, ehe wenige Jahrzehnte vergehen, der Schlachtenruf des Pariser Proletariats: ›Krieg den Palästen, Friede den Hütten, Tod der Not und dem Müßiggange!‹ der Schlachtruf des gesamten europäischen Proletariats werden wird.« Franz Mehring, Historiker und Bebels sozialdemokratischer Mitstreiter, würdigte im März 1896 zum 25. Jahrestag die Pariser Kommune mit den Worten: »Sie war ein Kind ihrer Zeit und konnte sich nur auf dem Boden der historischen Zustände bewegen, aus denen sie entstand. Erstrebte sie, was damals noch unmöglich war, so erstrebte sie es mit einer Kraft, einem Mut, einer Opferfähigkeit, vor denen jede Kritik verstummt.«

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