Türkische Generalstaatsanwalt will linke HDP verbieten

Oppositionspartei wird angeblich »terroristische« Aktivitäten vorgeworfen / USA kritisieren Pläne scharf

  • Lesedauer: 3 Min.

Istanbul. Nach jahrelangem Druck auf die Opposition in der Türkei will der Generalstaatsanwalt des Obersten Gerichtshofs die linke Oppositionspartei HDP verbieten lassen. Staatsanwalt Bekir Sahin beantragte beim Verfassungsgericht des Landes das Verbot der zweitgrößten Oppositionspartei des Landes, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Mittwoch meldete.

Demnach wirft die Staatsanwaltschaft der HDP »terroristische« Aktivitäten vor. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigt die HDP regelmäßig, der politische Arm der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sein, die im Südosten des Landes und im Nordirak gegen die türkische Armee kämpft.

Die HDP weist die Vorwürfe zurück. Sie bezeichnete die Pläne einer türkischen Staatsanwaltschaft zum Verbot der Partei als »politischen Putsch« und kündigte »Widerstand« an. »Wir rufen alle demokratischen Kräfte, alle gesellschaftlichen und politischen Oppositionskräfte und unser Volk auf, gemeinsam gegen diesen politischen Putsch zu kämpfen«, erklärten die HDP-Vorsitzenden Pervin Buldan und Mithat Sancar am Mittwoch.

Die Regierung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan versuche, die zweitgrößte Oppositionspartei des Landes zu »disqualifizieren«, nachdem es ihr nicht gelungen sei, sie »mit Ideen und an der Wahlurne zu besiegen«, teilte die HDP weiter mit.

»Das Verbotsverfahren gegen die HDP ist ein Anschlag auf alle Demokratinnen und Demokraten in der Türkei«, teilte die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen mit. Sie rief die Bundesregierung dazu auf, die »neue Eskalation der Kriminalisierung« zu verurteilen und »die absurden Terrorvorwürfe gegen die demokratische Opposition« zurückzuweisen.

Auch die US-Regierung kritisierte die Pläne für ein Verbot der HDP scharf. Washington beobachte die Pläne zur Auflösung der HDP genau, erklärte das US-Außenministerium am Mittwoch. Eine solche Entscheidung »würde unzulässig gegen den Willen der türkischen Wähler verstoßen, die Demokratie in der Türkei weiter untergraben und Millionen von türkischen Bürgern ihre gewählten Vertreter verwehren«, erklärte Außenamtssprecher Ned Price.

Zahlreiche Funktionäre der drittgrößten Partei im türkischen Parlament sitzen schon lange im Gefängnis, dutzende gewählte HDP-Bürgermeister vor allem im kurdischen Südosten des Landes wurden abgesetzt. Derzeit läuft auch ein Verfahren, um etwa 20 HDP-Abgeordneten im türkischen Parlament ihre Immunität abzuerkennen.

Prominenteste Figur der HDP ist ihr früherer Ko-Chef Selahattin Demirtas, der seit Jahren inhaftiert ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und das EU-Parlament hatten erst vor wenigen Monaten erneut seine sofortige Freilassung verlangt.

Demirtas, einst Präsidentschaftskandidat seiner Partei, war lange ein starker Rivale für Erdogan. Dann wurde Demirtas von der islamisch-nationalistischen Regierung in Ankara »Terrorismus« vorgeworfen, im November 2016 wurde er inhaftiert. Im noch laufenden Hauptverfahren wegen der Terrorismusvorwürfe drohen ihm bis zu 142 Jahre Gefängnis.

Erdogan steht derzeit wegen der Corona- und Wirtschaftskrise in der Türkei unter Druck. Die steigende Inflation und der Verfall der türkischen Lira schüren Unmut in der Bevölkerung.

Erst vor wenigen Tagen hatte Erdogan deshalb einen Steuererlass für fast eine Million Kleinunternehmen angekündigt. Regulär finden die nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in zwei Jahren in der Türkei statt. Agenturen/nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.