In Ewigkeit. Amen

Leo Fischer befürchtet, dass CDU, CSU und katholische Kirche jeden Skandal überstehen

Für viele Deutsche brechen derzeit gleich zwei Welten zusammen. Die Union und die katholische Kirche, zwei tragende Säulen unseres Gemeinwesens, ächzen unter schweren Vorwürfen. In den Unionsparteien haben sich anscheinend Abgeordnete an Geschäften mit FFP2-Masken oder aber durch Gefälligkeiten mal für die aserbaidschanische, mal für die mazedonische Regierung dumm und dusslig verdient.

In der katholischen Kirche bringt das zurückgehaltene Woelki-Gutachten nun reihenweise Kleriker zu Fall. Die Enthüllungen der nächsten Wochen dürften maßgeblich dafür sein, ob diese Säulen stürzen oder nur ein bisschen wackeln, ob man den Staat eventuell komplett zurücksetzen sollte wie einen WLAN-Router oder es reicht, wenn wir das Betriebssystem kurz aus- und einschalten.

Die Vorwürfe sind ungeheuerlich, und doch müssen wir uns diesem Gedanken stellen: Was, wenn die CDU/CSU-Fraktion nichts weiter ist als ein Sprungbrett für Karrieristen, Möchtegern-Mafiosi und skrupellose Geschäftemacher, die in globalen Notlagen nicht mehr sehen als Gelegenheiten zur persönlichen Bereicherung? Was, wenn die katholische Kirche nicht der harmlose Mittelalter-Rollenspielclub von kostümierten alten Männern ist, als die wir sie immer verstanden haben, sondern ein multinationales Syndikat, gerade in Deutschland über zahlreiche Gremien und Organisationen aufs Innigste mit der Politik verwoben; ein riesiger Arbeitgeber und zuverlässiger Bekämpfer jeder fortschrittlichen Regung, der seine Mitglieder konsequent und vor strafrechtlichen Ermittlungen schützt?

Dann, ja dann müssten wir uns einige Fragen stellen, die uns sicher zwei, drei Wochen beschäftigen würden – bevor wir diese Fragen auf magische Weise wieder vergessen, wie es in den vergangenen 10, 20, 50 Jahren ständig geschehen ist.
Gerade jetzt ist aus dem Bistum Köln zu erfahren, dass in der Sache Woelki so viele Katholik*innen aus der Kirche ausgetreten sind wie noch nie zuvor, und da muss man sich schon mal fragen: In welcher Kirche glaubten die Leute denn bisher gewesen zu sein? Haben sie den Wikipedia-Eintrag nicht gelesen, haben sie das Memo nicht gekriegt? Haben sie die letzten 20 Jahre in einer Tropfsteinhöhle geschlafen?

Inwiefern unterscheidet sich der Fall Woelki von anderen, viel besser dokumentierten? Wieso wird er jetzt zum Anlass, den Mitgliedsausweis zurückzuschicken? Wegen Woelki aus der Kirche auszutreten, das ist ein bisschen so, als würde man die Zusammenarbeit mit der Mafia beenden, weil einem die Anzüge nicht mehr gefallen.

Umgekehrt muss sich die Geschichtsschreibung der Zukunft der Frage widmen, welche psychologischen Quellen das bemerkenswerte Phänomen »Vertrauen in die Union« hatte. Wie es zum Beispiel möglich war, dass Wolfgang Schäuble, der von einem Waffenlobbyisten Geld im Briefumschlag zugesteckt bekam, nicht nur widerstandslos Finanzminister, sondern auch Bundestagspräsident werden konnte, das zweithöchste Amt im Staate (nach dem Papst).

Da dies wie sowieso alles binnen kürzester Zeit von der Öffentlichkeit vergessen wird, fragt man sich, warum in der Maskenaffäre überhaupt jemand zurückgetreten ist. Von der Union eine Ehrenerklärung zu fordern und sich dann noch auf diese zu verlassen, ist ungefähr so, als vertraute man dem Dorfpyromanen die Leitung der freiwilligen Feuerwehr an, weil er eben richtig viel Erfahrung mit Bränden hat.

Offenbar gibt es eine Art Glaubwürdigkeit qua Existenz: die CDU, die Kirche existieren und haben allein schon deshalb unser Vertrauen verdient – denn wenn sie es nicht hätten, würden sie ja nicht existieren. Mit diesem ontologischen Trick werden sie sich durch die Jahrzehnte retten, von Skandal zu Skandal, die immer wieder neu vergessen werden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.