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Ein ausgezeichneter Waffendealer
Die EU liefert ab sofort ganz legal Mordwerkzeug in afrikanische Krisengebiete
Am 10. Dezember 2012, man beging weltweit den Tag der Menschenrechte, erhielt die Europäische Union den Friedensnobelpreis. Die Ehrung sei als Anerkennung gedacht für ihren »erfolgreichen Kampf für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte«, erklärte das Preiskomitee. Die EU stockte das Preisgeld in Höhe von 930 000 Euro auf zwei Millionen Euro auf und beförderte damit vier Bildungsprojekte in Gebieten, in denen Kinder nicht friedlich aufwachsen können.
Eben echt nobel! Doch der politische Alltag in der EU ist ein anderer. Er ist gekennzeichnet von Abschottung, Abschiebung und dem Abbau der Menschenrechte. Und nun auch das noch: Die EU, nicht nur wie bisher einzelne Mitglieder, mutieren zum Waffenlieferanten in Krisengebiete. Seit Wochenbeginn ist die sogenannte European Peace Facility beschlossene Sache.
Vor einigen Tagen zitierte das WDR-Politmagazin »Monitor« aus einem EPF-Dokument. Darin ist von »Maßnahmen« die Rede, die »die Lieferung von militärischer Ausrüstung oder auch Plattformen für tödliche Waffen« erlauben. Man wolle »Partnerländer« so in die Lage versetzen, »ihre Bevölkerung besser schützen« zu können, heißt es in einem EU-Dokument. Vielleicht hätte man ehrlicher formulieren sollen, dass es darum geht, willfährige afrikanische Regierungen, die im westlichen Auftrag Migrationsströme nach Europa unterbrechen und als Rohstofflieferanten wichtig sind, vor ihrer eigenen Bevölkerung zu schützen.
Seit Jahrzehnten hat vor allem die einstige Kolonialmacht Frankreich afrikanische Staaten mit Personal und Ausrüstung beliefert. Doch das reichte bei weitem nicht, um die ausgewählten Staaten in der gewünschten Abhängigkeit zu halten. Nicht nur, weil China, Russland und die USA als Rivalen bei der Ausbildung und Ausrüstung afrikanischer Armeen auftauchten. Was übrigens ebenso wenig brachte, denn die Kraft aufständischer Gruppen wuchs, die inzwischen oft Ableger von Al-Qaida und dem Islamischen Staat sind.
Auch Deutschland mischt mit bei militärischen Ausbildungsmissionen. Die reduzieren sich keineswegs auf die reine Schulung. Es gibt ein sogenanntes Ausstattungshilfeprogramm, das Teil der Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung ist. Somit will man, schreibt das Verteidigungsministerium, »ausgesuchte Partnerstaaten« befähigen, »selbstständig Beiträge zu Frieden und Sicherheit in Afrika zu leisten«.
Zu den ausgesuchten Staaten gehören die sogenannten G5-Staaten der Sahelzone: Mali, Mauretanien, Niger, Burkina Faso und Tschad. Die hatte der Bundesnachrichtendienst vor gut eineinhalb Jahrzehnten als Schlüsselstaaten ausgemacht. Sogar mit Hilfe der CDU-Parteistiftung wurden Kontakte zu maßgeblichen Leuten geknüpft, um letztlich - gemeinsam mit Frankreich - eine gemeinsame Eingreifgruppe zu bilden. Offiziell soll sie Terrorismus und Organisierte Kriminalität bekämpfen.
Dabei ist vor allem Mali im Blickpunkt. Während rund 900 deutsche Soldatinnen und Soldaten dort als Teil der UN-Blauhelmmission Minusma versuchen, islamistische Gruppen in Schach zu halten, läuft die EUTM-Mission. Dabei bilden rund 100 deutsche Militärs malische Kollegen aus, die wahrlich nicht als Hüter der Menschenrechte gelten können. Was genau ihnen beigebracht wird, entzieht sich der öffentlichen Betrachtung weitgehend. So überrascht die Ankündigung, dass diese EU-Mission nun durch Kampfschwimmer der Deutschen Marine und andere Spezialkräfte der Bundeswehr aufgestockt wird. Die waren bislang in einer nicht vom Bundestag mandatierten Mission namens »Gazelle« in Niger tätig.
Nun stehen im Rahmen der European Peace Facility bis 2027 rund 5,7 Milliarden Euro für solche Militärmissionen sowie für andere militärische Hilfen - beispielsweise Waffenlieferungen - zur Verfügung. Die Kosten, die bislang wenige EU-Staaten für solche »Entwicklungshilfen« aufbrachten, werden fortan auf der Grundlage eines Schlüssels, der auf dem Nationaleinkommen der EU-Mitgliedsstaaten basiert, auf mehrere Schultern verteilt. Die so zu finanzierenden Maßnahmen werden vom Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee der EU ausgewählt und vom Europäischen Rat beschlossen. Eine Mitwirkung des Europaparlaments ist nicht vorgesehen. Auch die nationalen Parlamente werden nicht gefragt.
Das führt mit Sicherheit zu einer Erweiterung der Lieferungen. Die Profite der Rüstungskonzerne wachsen. Auch weil so die ohnehin weichen deutschen Rüstungsexportgrundsätze weiter aufgeweicht werden. Dass Verträge wegen erwiesener Menschenrechtsverletzungen oder wegen einer verbotenen Weitergabe von Waffen durch die EU gekündigt werden, ist lediglich eine Kann-Bestimmung.
Bei »Monitor« sprach der einstige Präsident des Bundesamtes für Wirtschaft- und Ausfuhrkontrolle, Arnold Wallraff, von einem »Dammbruch« und einem »echten Paradigmenwechsel«. Doch ist das so? Und falls ja, war diese Entwicklung nicht zu erwarten?
Bereits 2018 hat die damalige Hohe Vertreterin der EU, Federica Mogherini, die Konturen eines sehr speziellen Fonds skizziert. Sie sprach von »umfassenderen Maßnahmen zur Unterstützung der Streitkräfte der Partnerländer mit Infrastruktur, Ausrüstung oder militärischer Hilfe« sowie von »anderen operativen Maßnahmen«.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel argumentierte schon im Mai 2019, man müsse »als Europäer« dafür Sorge tragen, dass die Armeen der afrikanischen Partner auch ausgerüstet werden können. Die bis dahin bestehende sogenannte Afrikanische Friedensfazilität erlaubte nur die Finanzierung von Einsätzen unter afrikanischer Führung. Anfang 2020 dann las man in EU-Dokumenten, dass die EU »als globaler Sicherheitsanbieter« mit Hilfe des neuen »außerbudgetierbaren« Fonds mehr Verantwortung übernehmen könne.
Mit den Geldern, die bewusst außerhalb des normalen Finanzplanes der Gemeinschaft angehäuft werden, könne man eine größere Flexibilität erreichen, um den Partnern zu helfen, Krisen und Sicherheitsherausforderungen selbst anzugehen.
Ebenfalls schon vor einem Jahr war in Brüssel zu hören, dass die geplanten Maßnahmen - man sprach bereits von der »European Peace Facility« - es der EU ermöglichen werden, »umfassende Unterstützung durch integrierte Pakete zu leisten, die Ausbildung, Ausrüstung und andere Unterstützungsmöglichkeiten umfassen können«.
Josep Borrell, seit dem Dezember 2019 Außenbeauftragter der Europäischen Union, bestätigte im November vergangenen Jahres, dass sich die Verteidigungsministerinnen und -minister der EU-Staaten lobend über die neue Strategie geäußert haben. Sie biete Möglichkeiten, nicht nur auszubilden, sondern auch die Armeen der Partner mit allem auszustatten, was notwendig erscheint.
Das geschieht jetzt unter anderem in der Sahelzone. Weder plötzlich noch unerwartet und nicht einmal zehn Jahre, nachdem die EU mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde.
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