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»Hass hat mich nach Deutschland gebracht«

Der indische Künstler Sujatro Ghosh beschäftigt sich in seinem Projekt »Geography of Hate« damit, wie Hass eine Erinnerung im Körper zurücklässt

  • Nina Schaefer
  • Lesedauer: 6 Min.

Worum geht es bei dem »Embodied Arts Festival« im Kulturzentrum Oyoun?

Innerhalb des Festivals bereden, diskutieren und erforschen wir die Beziehung von Körper und Geist. Wir fragen uns: Welche Erinnerungen können Körper erzählen? Der Körper an sich als Entität wird von jeder*m auf eine eigene Weise interpretiert. Die Künstler*innen kommen aus unterschiedlichsten Teilen der Welt, das Angebot ist also extrem weit gefächert und schwer auf einen Punkt zu bringen. Es ist ein umfassender Blick auf den Körper, gebündelt in einem Festival.

Sujatro Ghosh

Sujatro Ghosh ist politischer Aktivist und Künstler. Im indischen Kalkutta geboren, lebt und arbeitet der 27-Jährige seit Ende 2019 in Berlin, wo er Stipendiat der Martin-Roth-Initiative ist. Zusammen mit über 40 Menschen hat er das Projekt »Geography of Hate« erarbeitet, das beim »Embodied Arts Festival« im Berliner Kulturzentrum Oyoun ausgestellt wird. Seine Kunst übt Kritik an den hegemonialen Machtstrukturen und institutionalisierten Mechanismen der Ungerechtigkeit. Während das Festival am 18. April 2021 endet, ist seine Ausstellung noch über zwei Monate öffentlich zugänglich. Mit Ghosh sprach Nina Schaefer.

Dann reden wir über Ihr Projekt »Geography of Hate« im Rahmen dieses Festivals. Auf welche Weise haben Sie sich mit dem Thema des Körpers auseinandergesetzt?

Ich rede über Hass. Hass in seiner Beziehung zum Körper. Auf welche Weise er mit dem Körper verbunden ist und wie er von einem Körper zu einem anderen Körper transportiert werden kann. Ich behandle, wie Hass eine Erinnerung im Körper zurücklässt, ähnlich wie Narben. Die Narben erinnern an den Hass, und so trägt der Körper ihn weiter in sich, auch Jahre nachdem er hervorgerufen wurde. Der Hass bleibt da - in deiner Erinnerung, in deiner psychischen Gesundheit, in deinem Wohlbefinden. Mein Projekt soll zeigen, wie Hass mit menschlichen Gefühlen und Erkenntnissen spielt. Verbildlicht wird das anhand verschiedener Formate wie Videos, Performances, Musik oder Illustrationen.

Wie kamen Sie zu dem Thema?

»Geography of Hate« hat ursprünglich als Forschungsprojekt angefangen. Der Anreiz für die Forschung waren Vorkommnisse Anfang des Jahres 2020 unter der faschistischen Regierung in Delhi in Indien. Damals wurden zwei Gesetze eingeführt, das Staatsbürgerschaftsgesetz (Citizenship Amendment Act, CAA) und das Nationale Bürgerregister (National Register of Citizens, NRC). Um hier nicht den Rahmen zu sprengen: Mit diesen zwei Gesetzen sieht die Regierung der hindu-nationalistischen Partei Bharatiya Janata Party (BJP) über Minderheiten hinweg, wie Millionen indischer Muslime. In jeder Ecke des Landes gab es Aufstände dagegen und im Februar 2020 sogar tödliche Proteste.

Wie haben Sie das dann in Ihre Arbeit eingebracht?

Bei den Unruhen wurden viele Videos gemacht. Ich habe sie gesammelt und aus diesen wiederum einen Film erstellt. Dann habe ich Menschen mit verschiedenen Nationalitäten und Hintergründen, die in Berlin leben, eingeladen, den Film anzusehen. Egal, ob sie für oder gegen die Regierung und deren Gesetze sind. Ich habe die Freiwilligen, während sie den Film ansahen, an einen Sensor (EDA/Elektrodermale Aktivität) angeschlossen, der über Veränderungen der Schweißdrüsenaktivität die Intensität ihrer emotionalen Erregung misst.

Also haben Sie ermittelt, wie deren körperliche und emotionale Reaktion auf das Gesehene im Film ist?

Genau: Herzschlag, Schweiß und die Intervalle zwischen den einzelnen Atemzügen. So habe ich ihre Emotionen in einen Graphen umwandeln können. Plötzlich sind ihre Emotionen für mich sichtbar geworden. Im nächsten Schritt des Projektes wollte ich wissen, wie andere Künstler*innen aus Ländern weltweit auf so einen Graphen reagieren. Ich wollte sehen, wie Personen aus China, Norwegen, Deutschland, Russland oder Amerika den Graphen in ihrer künstlerischen Disziplin umsetzen. Da sind Illustrator*innen und Tänzer*innen dabei, Hula-Hoop-Artisten, eine Töpferin, Poet*innen und viele mehr. Ich habe dann zum Beispiel den Graphen eines Amerikaners an eine Tänzerin aus dem Iran gegeben.

Und diese Ergebnisse zeigen Sie dann auch alle in der Ausstellung?

Nicht alle, aber einige. Die Ausstellung erstreckt sich über vier Ebenen, und von einem Stockwerk ins nächste geht man dann auch im Prozess mit und sieht die Zwischenergebnisse, über die wir hier reden. Insgesamt habe ich mit über 40 Menschen zusammengearbeitet, zum Ende hin viel mit der Hilfe von meinem Co-Kurator Arijit Bhattacharyya.

Warum haben Sie Hass als Thema gewählt?

In der Welt gibt es eine versteckte, unbewusste Missachtung gegenüber Menschen, die eine andere Ideologie haben, die sich anders verhalten, die anders sprechen. Nehmen wir als Beispiel den jüngsten Vorfall des anti-asiatischen Hassprotests. Da entstand wegen des Ursprungs der Corona-Pandemie Hass gegen Menschen asiatischer Herkunft. In der heutigen Zeit gibt es immer wieder Verbrechen gegen Menschen, die anders sind. Ich glaube, das ist der Ursprung des Hasses. Und ich habe persönlich gesehen und erlebt, wie Hass funktioniert. Ich würde sogar sagen, dass ich deswegen hier bin. Hass hat mich nach Deutschland gebracht.

Wegen der persönlichen Erfahrungen mit Hass in Indien?

Ja, denn als ich in Indien lebte, redete ich immer offen über soziale Probleme. Ich denke, als Künstler ist es meine Verantwortung, über die Dinge zu reden, gegen die ich bin. Das Land, in dem ich geboren wurde, ist aufgebaut auf dem Gedanken der sozialen Gerechtigkeit und gleichen Rechte für alle. Gleichzeitig ist Indien ein Land, wo genau das vielen Menschen verweigert wird. Und der Grund hinter dieser Diskriminierung ist Hass. Der Hass kommt aus der Regierung. Er durchzieht die politischen Agenden und politischen Reden, die bei Menschen wiederum Hass auslösen und sie zu bestimmten Handlungen veranlassen. Ich habe es am eigenen Leib erfahren, als ich das in einem meiner Projekte verarbeitete.

Was war das für ein Projekt?

Eine meiner Arbeiten von 2017 heißt »The Cow Mask Project«. Dafür habe ich indische Frauen fotografiert, die Kuhmasken tragen. Die Kuh steht für das von der rechtsgerichteten Regierung festgelegte heilige Tier Indiens, das nun so geschützt wird, dass Menschen andere Menschen umbringen, etwa weil sie aus Armut das Fleisch der Kuh essen. Und daneben gibt es eine extrem hohe Zahl an Sexualverbrechen gegen Frauen in Indien. Ein Kuhkopf auf dem Körper einer Frau ist eine doppelte Kritik an der Regierung: Ist es in Indien sicherer, eine Kuh zu sein als eine Frau? Das hat in den Menschen extrem viel Wut ausgelöst. Es ging sogar so weit, dass Leute mir Todesdrohungen geschickt haben: Ich solle geköpft oder abgeschlachtet werden.

Was haben die abwertenden Reaktionen mit Ihnen gemacht?

Mein Projekt wurde in den Medien gesendet, und ich wurde stark kritisiert. Viele Augen waren jetzt auf mich gerichtet, und ich musste mit viel Hass umgehen. Ich habe mich zurückgezogen, wurde krank, hatte psychische Gesundheitsprobleme.

Natürlich hatte ich auch viele Unterstützer*innen. Aber mein Gegner war die Regierung - sie richtete sich öffentlich gegen mich, und ich hatte keine Möglichkeit, gegen sie anzukämpfen. Ich kürze jetzt ab: Einige Zeit später schaute ich mich nach Alternativen um, erhielt ein Stipendium in Deutschland und zog um.

Was bedeutet es für Sie, heute Kunst in Berlin zu machen?

Nachdem ich nach Deutschland gekommen bin, hat sich meine Arbeitsweise als Künstler verändert. Jetzt bin ich weit weg von Indien. Aber Kunst ist für mich eine Form des Widerstands. Ich werde über das sprechen, was in meinem Land passiert, egal wo ich bin. Darauf liegt mein Fokus. Durch die Arbeit in Berlin habe ich sehr viele Menschen kennengelernt. Und ich glaube, dass das Beste herauskommt, wenn verschiedene Stimmen aus allen Teilen der Welt zu einer kollektiven Stimme werden. Und das Projekt »Geography of Hate«, das mich jetzt ein Jahr lang in Berlin begleitet hat, spricht genau das an.

»Embodied Arts Festival«, bis 18. April, online, im Berliner Kulturzentrum Oyoun.

Am 17. April um 13 Uhr gibt es eine Podiumsdiskussion mit dem Künstler unter dem Titel: »Hate, the Ultimate Form of Violence Against the Other?« Mehr Infos unter: https://oyoun.de

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