Die Empörungsmaschine stottert

Fox News hat seit der Abwahl Trumps seine Führungsrolle eingebüßt - auch wegen rechter Konkurrenz

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 6 Min.

Anfang Februar kam es beim rechten US-Fernsehsender Newsmax zu einer Szene, die in die Geschichte des Kabelfernsehens eingehen wird. Sie steht symbolisch für die Entwicklung des rechten Propaganda-Apparats in der Post-Trump-Ära. Zu Gast im Studio war Mike Lindell. Der als »pillow guy« bekannte Besitzer einer Kissenfirma war zum Helden der Trumpisten-Bewegung geworden. Er stellte sich unerschütterlich an die Seite von Donald Trump und verbreitete stur weiter, was in den USA mittlerweile mit dem Begriff »die große Lüge« beschrieben wird: die Behauptung, es habe weitreichenden Wahlbetrug bei der Präsidentschaftswahl zuungunsten von Trump gegeben. Eine beliebte rechte Verschwörungstheorie, die auch Lindell verbreitete, lautet, dass die Wahlmaschinen der Hersteller Dominion und Smartmatic Stimmen »geändert« hätten.

Von rechten Fernsehsendern wie Fox News, One America News Network (OAN) und Newsmax wurde all das bereitwillig aufgegriffen, bis die angegriffenen Hersteller mit Verleumdungsklagen drohten oder diese auch tatsächlich einreichten. Die Fernsehsender waren in einem Zwiespalt: Die Berichterstattung über die Verschwörungstheorien, inklusive der Wiederholung unhaltbarer Behauptungen, brachte Quote. Sie ist das, was die Trump-Basis will. Gleichzeitig waren die Klagen der Wahlmaschinenhersteller mit einem Streitwert in Multimillionen-Dollar-Höhe existenzbedrohend, besonders für den eher kleinen Sender Newsmax. Trotzdem versuchte es der konservative Sender an diesem Abend erneut. Lindell war eingeladen, angesichts der Sperrung seines Twitter-Accounts über »Cancel Culture« zu reden. Doch er begann stattdessen schon zum Interviewbeginn über vermeintlich manipulierte »Wahlmaschinen« zu referieren.

Moderator Bob Sellers unterbrach ihn sofort: »Wir haben keine Anhaltspunkte für die Vorwürfe gefunden.« Während sich der Kissenfabrikant in Rage redete, las Sellers einen Text vor, der offensichtlich aus der Rechtsabteilung des Senders stammte: »Newsmax erkennt das Wahlergebnis als rechtsgültig und endgültig an und die Gerichte haben das bestätigt.« Sellers versuchte anschließend den wild gestikulierend sprechenden Unternehmer mit dem charakteristischen Schnurrbart zurück auf das Thema Twitter zu lenken. Als dieser sich nicht beirren lassen wollte, reagierte Sellers folgendermaßen: »Liebe Produzenten, können wir das bitte beenden?« Dann stand er bei laufender Kamera von seinem Moderatorenstuhl auf und verließ den Raum. Es handelte sich um den vorläufigen Höhepunkt und die skurrile Konsequenz einer monatelangen Entwicklung: Fox News, der Platzhirsch bei US-Konservativen, hat Zuschauer an die Konkurrenz von noch weiter rechts verloren. Die wiederum kämpft jetzt mit anderen Problemen, wie der Lindell-Auftritt zeigt.

Begonnen hat die Zuschauerwanderung von Fox News zu Newsmax und OAN am Wahlabend 2020. Aus Sicht von Donald Trump war es ein Sündenfall, dass das Wahlteam von Fox News noch in der Wahlnacht Joe Biden zum Sieger in Arizona erklärte. Das Fox-Team legte sich noch in der Wahlnacht mit einer Einschätzung fest, die sich später als richtig herausstellte: Joe Biden habe die Stimmen der Wahlleute im Wüstenstaat im Südwesten der USA gewonnen.

Die Nachrichtenagentur Associated Press oder von liberale Fernsehsender wie CNN waren vorsichtiger und stuften den Bundesstaat noch Tage später als »too close to call« ein - also zu knapp, um ein Ergebnis zu verkünden. Trump war wütend über diese Einschätzung, forderte seine Anhänger per Twitter auf, stattdessen Newsmax und OAN zu schauen. Viele taten es. Daten der Werbeanalysten von Adweek zeigen: Im letzten Quartal 2020 verzehnfachte sich die Zuschauerzahl von Newsmax. In der Woche nach der Wahl sahen täglich rund 800 000 Menschen die beiden Topshows des Senders. Im Januar 2021 waren es immerhin noch 247 000 täglich.

Die Zuschauerzahlen von Fox News - der Sender zeigte sich nach der Präsidentschaftswahl weiterhin loyal zum Ex-Präsidenten, folgte der Trump-Basis aber nicht in den Kaninchenbau absurdester Verschwörungstheorien - brachen dagegen nach der Präsidentschaftswahl ein. Zum ersten Mal seit fast 20 Jahren verlor Fox News die Krone, war nicht mehr meistgesehener Kabelfernsehkanal in den USA. Seit dem 11. September 2001 war Fox News für Jahre der meistgesehene Sender im Land, verbuchte teilweise doppelt so viele oder gar dreimal mehr Zuschauer als die liberalen Rivalen CNN und MSNBC.

Vor allem mit seinen populären Moderatoren wie Bill O’Reilly oder Megyn Kelly kultivierte Fox News zur besten Sendezeit eine treue und große konservative Zuschauerschaft. Die rechten Fernsehstars machten die Einschaltquoten des Senders im Vergleich zur Konkurrenz weniger abhängig von großen Medienereignissen wie Flugzeugabstürzen, dem Super Bowl oder Hurrikans. Die Ära Trump und insbesondere die täglichen Tweets des US-Präsidenten sorgten für einen zuverlässigen Strom von Nachrichtenmaterial. 2020 stellte Fox dabei den bisherigen Zuschauerrekord in den USA auf: 3,6 Millionen Menschen sahen den Sender an einem Abend. Das klingt nach wenig angesichts von 300 Millionen Einwohnern. Doch das »System Fox« funktioniert eben auch über die Nachrichtenseite des Senders, über Videoschnipsel und Posts in den sozialen Medien und erreicht so ein sehr breites Publikum. Rund vier von zehn US-Amerikanern gaben auch 2021 noch in einer Umfrage an, in der vergangenen Woche Fox-Nachrichten empfangen zu haben.

Trotzdem hatte sich mit dem Jahresbeginn 2021 die Welt geändert. Trumps Account ist gesperrt worden, er hatte sein Twitter-Megafon verloren. Am 6. Januar 2021 und an den Folgetagen starrten viele Menschen auf die Fernsehbildschirme, als Trump-Anhänger das US-Kapitol stürmten. Doch besonders viele Menschen taten das bei CNN und MSNBC. Auch am Tag der Biden-Inauguration konnten die beiden liberalen Sender erneut mehr Zuschauer verbuchen als Fox News. Zwischen November 2020 und Januar 2021 fiel die monatliche Zuschauerzahl des rechten Fernsehsenders laut dem Marktforschungsunternehmen Nielsen um 27 Prozent. Der letzte Monat, an dem Fox News im Vergleich sowohl hinter CNN als auch MSNBC landete, war der September 1999 gewesen. Ein historischer Einbruch. Fox habe sein »mojo« verloren, das rechte Kabelfernsehen insgesamt sei in einer »existenziellen Krise«, kommentierte das liberale Magazin »The New Republic«.

Tatsächlich haben sich die rechten Fernsehtalker und die eng mit ihnen verbundenen Republikaner in den letzten Monaten schwergetan, eine Angriffslinie gegen Biden zu finden. Gegen den manchmal leicht tattrigen, aber irgendwie sympathischen alten weißen Mann und US-Präsidenten Joe Biden können die Fox-Moderatoren weniger effektiv die rassistischen Vorurteile im eigenen Land mobilisieren, als es noch bei Obama möglich war. Das hat zu absurden Szenen geführt. Darunter: Fox-Moderatoren, die sich auf der Suche nach Skandalen scheinbar besorgt über den vermeintlich vernachlässigten Hund von Joe Biden echauffieren, oder angestrengte Versuche, aus dem Stolpern des US-Präsidenten, während er die Treppe zum Regierungsflieger hinaufstieg, eine große Story zu machen.

Außerdem hat die Biden-Administration eine clevere Medienstrategie: einfach nicht auf den rechten Kulturkampf reagieren, der nur die konservative Echokammer agitiert. Wichtige Themen auf Fox waren in jüngster Vergangenheit die Entscheidung der Herausgeber der beliebten Comics des Zeichners und Autors Dr. Seuss, einige Titel nicht mehr neu aufzulegen, weil sie rassistische Zeichnungen enthalten, sowie die Entscheidung des Spielzeugherstellers Hasbro, dass bei der Figur »Potato Head« der Vorsatz »Mister« gestrichen wird und sie in Zukunft einen genderneutralen Namen tragen soll. Eine überbordende Kultur der »Political Correctness« und der Druck von Demokraten und linken Aktivisten seien dafür verantwortlich, so geht die »Cancel Culture«-Erzählung auf Fox News.

Dr. Seuss und Potato Head zeigen den neuen Kurs von Fox News. Ohne sich juristisch angreifbar zu machen, ist man als Reaktion auf die erstarkte Rechtsaußen-Konkurrenz von Newsmax und OAN in den letzten Wochen ebenfalls weiter nach rechts gerückt. Das neue Großthema heißt nun »Cancel Culture«. Der neue Kurs ist scheinbar erfolgreich. Die Zuschauerzahlen von Newsmax sind wieder eingebrochen. Fox konnte einen Teil der rechten Trump-Basis, die laut Daten des Meinungsforschungsinstituts Pew beide Sender sieht, wieder zurückgewinnen. Im Februar und März hat sich der rechte Sender bei den Zuschauerzahlen wieder vor CNN und MSNBC geschoben, weil auch deren Zuschauerzahlen sanken - wohl der fehlenden auf Empörung setzenden Berichterstattung über Trump wegen und auch aufgrund einer bisher eher disziplinierten Biden-Administration ohne Medienleaks. Doch die unangefochtene Spitzenposition zu haben - diese Zeiten sind für Fox News vorbei.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.