- Politik
- Homo sapiens
Sie kamen, verschwanden und kamen wieder
Der moderne Mensch wanderte mehrmals in Europa ein. Und hatte nicht selten Sex mit Neandertalern.
Zwei parallel veröffentlichte Studien von Wissenschaftlern zweier Max-Planck-Institute sowie der Uni Tübingen werfen Licht auf die ersten modernen Menschen in Europa. Da bisher nur wenige Funde aus der frühesten Phase bekannt sind, liegen viele Entwicklungen zwischen dem Aufbruch des Homo sapiens aus Afrika vor 50 000 bis 60 000 Jahren und seiner vermuteten Ankunft in Europa vor 45 000 Jahren noch im Dunkeln.
DNA-Analysen neuerer Funde von Knochenresten und Zähnen aus der Batscho-Kiro-Höhle in Bulgarien und von Schädelresten einer Frau, die schon 1950 in der tschechischen Zlatý-kůň-Höhle entdeckt wurden, geben nun neue Aufschlüsse. Das entnommene DNA-Material bot gleich mehrere Überraschungen. Die Datierung des Schädels der Zlatý-kůň-Höhle war schon seit seiner Entdeckung umstritten. Ursprünglich auf ein Alter von 11 000 Jahren geschätzt, deuteten alle Fundumstände darauf hin, dass er älter sein müsste. Radiokarbon-Datierungen ergaben widersprüchliche Ergebnisse und erst eine gründliche Reinigung und die DNA-Untersuchung lösten das Rätsel.
Dieser Text stammt aus unser Wochenendausgabe. nd.Die Woche nimmt Geschehnisse in Politik und Gesellschaft hintergründig unter die Lupe. Politische und wirtschaftliche Analysen, Interviews, Reportagen und Features, immer ab Samstag am Kiosk oder gleich mit einem Wochenendabo linken Journalismus unterstützen.
Unmittelbar nach der Entdeckung der Schädelteile hatten die Wissenschaftler damals einen Leim aus Rinderknochen verwendet, um den Schädel wieder zusammenzusetzen. Die Radiokarbonmethode wurde damals in der Archäologie noch nicht angewandt und so vermutete niemand, dass der Leim später zur Fehlerquelle werden könnte. Die genetische Analyse des Schädels ergab, dass dessen Erbgut dem eines Mannes ähnelte, dessen 45 000 Jahre alte Reste im sibirischen Ust Ishim gefunden worden waren. Das macht die urzeitliche Frau aus der tschechischen Höhle zur bisher ältesten bekannten modernen Europäerin. Der DNA-Anteil am Erbgut des sibirischen Mannes wies darauf hin, dass seine Vorfahren 85 bis 100 Generationen vor ihm intimen Verkehr mit Neandertalern pflegten, die im Nahen Osten lebten. Der größte Unterschied zur Frau von Zlatý kůň war, dass das Neandertaler-Schäferstündchen ihrer Vorfahren nur 60 bis 80 Generationen zurück lag.
Die Linie des Homo sapiens, der die Frau aus der Zlatý-kůň-Höhle und der Mann aus Ust Ishim angehörte, scheint in Europa jedoch ausgestorben zu sein. Kay Pfeifer, der Leiter dieser Studie, setzt das Verschwinden dieser Gruppe moderner Menschen in Europa in Verbindung mit dem Ausbruch eines Supervulkans in der Bucht von Neapel. Dessen erster Ausbruch war vor ungefähr 39 000 Jahren und kühlte Europa um mehrere Grad ab. Dies könnte einen Rückzug des modernen Menschen oder gar das Aussterben dieser Gruppen zusammen mit den Neandertalern bewirkt haben. Die Phlegräischen Felder - Hinterlassenschaft dieses Supervulkans - sind auch heute noch aktiv.
In der Batscho-Kiro-Höhle in Bulgarien wurden Überreste von drei Männern, die etwa vor 43 000 bis 46 000 Jahren lebten, gefunden. In ihrem Erbgut fanden sich 3,8 Prozent Neandertaler-DNA, weitaus mehr als heute durchschnittlich in Europa zu finden ist. Der Genaustausch zwischen den verschiedenen Menschengruppen lag in diesem Fall offenbar nur sechs bis acht Generationen zurück. Die eingelagerten Neandertaler-Gensequenzen werden über die Generationen immer kürzer. Sie waren in diesem Fall noch überraschend lang. Die Homo sapiens-Linie, die die Männer repräsentieren, ist in Europa ebenfalls ausgestorben, überlebte aber in Gruppen, die sich in Ostasien und später Amerika niederließen. Archäologen haben schon lange eine jungpaläolithische Kultur nachweisen können, die sich von Europa bis in die Mongolei erstreckte. Genetik und Archäologie ergänzen und bestätigen sich in diesem Falle gegenseitig.
Ein hoher Anteil Neandertalererbgut konnte vor einigen Jahren bereits bei der Analyse der Knochenreste aus der Peştera-cu-Oase-Karsthöhle in Rumänien festgestellt werden. Diese Menschen, deren Linie ebenfalls ausgestorben ist, lebten vor etwa 37 000 bis 42 000 Jahren. Bei ihnen waren nur vier Generationen zuvor Neandertaler Teil der Familie. Die Höhle von Batscho-Kiro muss im Übrigen ein beliebter Wohnort gewesen sein, denn hier wurde auch eine Frau bestattet, die vor etwa 36 000 Jahren in der Gegend lebte, und genetisch erneut eine andere Linie des Homo sapiens repräsentiert, die auch heute noch in Westeuropa nachgewiesen werden kann.
Der Vergleich zwischen den Funden in den bulgarischen, rumänischen und tschechischen Funden ließ die Leipziger Forschergruppe schlussfolgern, dass der moderne Mensch mehrfach versuchte, in Europa Fuß zu fassen. Die frühesten Gruppen konnten den Kontinent nicht dauerhaft besiedeln und sind nicht mit den heutigen Europäern verwandt. Sicher ist nun aber auch, dass trauliches Zusammensein mit Neandertalern über Tausende von Jahren eher Regel als Ausnahme war.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.