Leerstelle DDR

HASSLIEBE: über die Tücken deutscher Selbstfindung

  • Tanja Röckemann
  • Lesedauer: 3 Min.

Spätestens seit dem »Supergedenkjahr« 2019 geistert ein Schlagwort durch die deutsche Öffentlichkeit, das die derzeit angesagteste politische Kategorie anwendet auf die »Wende«-Erzählung: »Ostidentität«. Gemeint ist die Geisteshaltung desjenigen deutschen Bevölkerungsteils, der die deutsch-deutsche Vereinigung noch selbst miterlebt hat - plus diejenigen offenbar, die heute auf dem ehemaligen DDR-Territorium leben. Was jedenfalls diese sogenannte Ostidentität ausmachen soll, sagte der Soziologe Steffen Mau gegenüber dem MDR: »Der Osten kann die Erfahrung der Friedlichen Revolution durchaus als Schatz der gelebten demokratischen Ermächtigung mit einbringen.« (Mau veröffentlichte 2020 das Buch »Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft«. Er kann also durchaus als Experte in Sachen Osten gelten, hat auch selbst in der DDR gelebt.) Ausgerechnet die Erfahrung des Lebens im Sozialismus spielt für die Herausbildung der so definierten »Ostidentität« keine Rolle. Im Gegenteil scheint es so, als entstehe diese erst mit dem Eintritt in die Bundesrepublik. Die DDR existiert hier lediglich als Leerstelle.

So weit, so erwartbar. Sozialismus als positive Sinnstiftung ist auch in der Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts nicht denkbar. Der Umgang mit dem sozialistischen deutschen Staat in der Berliner Republik schwankt seit jeher zwischen Dämonisierung, Lächerlichmachung, Auslöschung und Restauration. Deshalb steht die Debatte um Ostidentität mit ihrer Elimination der DDR ganz in der Tradition der bundesrepublikanischen Gedenkpolitik. Gleichwohl haben wir es hier mit einem neuen Kapitel des Nationalmythos »Wiedervereinigung« zu tun: Die bloße Diskreditierung als »Ossi« in den 1990er Jahren wurde abgelöst von einer Verwertungslogik, die die angebliche Identität der Bewohner*innen der neuen Bundesländer zur »Ressource« erklärt, wie Mau im MDR ausführt. Dabei wird an der Vorstellung einer kategorialen Verschiedenheit der beiden deutschen Bevölkerungsteile dennoch festgehalten; ein Leichtes angesichts der Tatsache, dass das Konzept Identität ohnehin auf Differenz anstelle von Gleichheit fokussiert. Nicht nach gemeinsamer Betroffenheit der Gesamtbevölkerung, etwa von Armut und kapitalistischer Ausbeutung, wird hier geschaut, sondern nach einer einzelnen, sinnstiftenden Erfahrung - die darüber hinaus rückwirkend definiert ist.

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Wichtiger Bestandteil der Erzählung(en) von Ostidentität ist weiterhin die krasse Zunahme rechter Gewalttaten und faschistischer Organisierung in den 1990er Jahren. So unerlässlich die Auseinandersetzung mit diesem Thema ist - die Reduktion des gesamtdeutschen Phänomens auf »den Osten« erklärt das Erstarken von Nazi-Strukturen zum Erbe der DDR, während die Restauration des Kapitalismus zum demokratischen Erweckungserlebnis stilisiert wird. Die DDR-Bevölkerung, faktisch Manövriermasse der Kohl-Bundesregierung, erscheint hier fälschlich als revolutionäre Trägerin der - ohnehin den Naturzustand wieder herstellenden - »deutschen Einheit«. Als Motto gilt hier (nicht erst seit 1989): Vereint im Nationalismus, getrennt in den kapitalistischen Härten. Dass so der Faschismus (weiter) blüht, sollte niemanden überraschen.

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