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Es reiten zwei Helden durch eine Prärie aus Beton und Drogensumpf
Der Film »Concrete Cowboy« ist eine hinreißende Coming-of-Age-Geschichte und ein neuer Blick auf das verstaubte Western-Genre
Nord-Philadelphia ist das, was gemeinhin als sozial randständige Gegend bezeichnet wird. In den USA spricht man in diesem Zusammenhang auch von »dangerous neighbourhoods«. In »North-Philly«, nördlich des schicken Hochhauszentrums der Ostküstenmetropole, gibt es jede Menge Drogenabhängigkeit und -kriminalität, Straßengangs und viele Obdachlose. Vor ein paar Jahren berichtete sogar der »Spiegel« in einer Reportage über das heruntergekommene Viertel, in dem Mitte der 1970er Jahre auch der Boxerfilm »Rocky« gedreht wurde, als Nord-Philadelphia zum Ostküsten-Epizentrum einer neuen Heroinwelle wurde. Dass in einer Ecke des berüchtigten Viertels auch regelmäßig einige schwarze Cowboys durch die Straßen reiten, ist eher unbekannt. Der seit 2004 existierende »Fletcher Street Urban Riding Club«, eine gemeinnützige Organisation, die seit Jahren Jugendliche von der Straße holt und ihnen den Umgang mit Pferden und das Reiten nahebringt, liefert den Hintergrund für den Film »Concrete Cowboy« (Beton-Cowboy).
Der Kinostart der schon 2019 gedrehten Filmadaption des Jugendbuchromans »Ghetto Cowboy« (2011) wurde wegen Corona immer wieder verschoben und nun läuft der Film auf Netflix. Das Regiedebüt des jungen Filmemachers Ricky Staub aus Philadelphia, der bisher mit ehemaligen Gefängnisinsassen Filmprojekte umsetzte, um ihnen den Neustart nach einer Haftstrafe zu erleichtern, ist mit diversen Stars des schwarzen amerikanischen Kinos besetzt.
»Stranger Things«-Darsteller Caleb McLaughlin ist Cole, ein Jugendlicher, der gerade aus der Schule geflogen ist und den seine Mutter von Detroit nach Philadelphia zum Vater bringt, gespielt von Idris Elba, unter anderem bekannt aus der Serie »The Wire« und dem Film »Mandela: Long Walk to Freedom«, wo er die Titelrolle spielte.
Der Cowboyhut tragende Dad hat ein Pferd, das in der Küche seines kleinen, vermüllten Einfamilienhauses steht und ist sicher kein Traumvater, bemüht sich aber dennoch um den Jungen, den er mit auf den außergewöhnlichen Reiterhof um die Ecke nimmt. Der Rapper Clifford Smith alias Method Man vom Wu Tang Clan spielt einen Polizeibeamten, der im Spannungsfeld zwischen Amtsausübung und der Solidarität mit seinen großstädtischen Cowboy-Freunden steht. Es ist die Coming-of-Age-Geschichte des jungen Cole (von seinem Vater nach der Jazzlegende John Coltrane benannt), der mal mit seinem Drogen dealenden Cousin durch die nächtlichen Straßen Philadelphias fährt, in eine wilde Drogengeschichte gerät und dann wieder auf dem improvisieren Reiterhof mitten im heruntergekommenen Viertel Pferde striegelt. Er mistet Ställe aus und irgendwann lernt er auch das Reiten. Dabei geht es aber auch um den Kampf des Vereins gegen die drohende Enteignung und Inwertsetzung des öffentlichen Geländes, das sie zum Reiten nutzen.
Aktuell plant die kommunale »Philadelphia Housing Authority« das innerstädtische Fletcher Field, auf dem fast der gesamte Film spielt, für den Immobilienmarkt zu verwerten und eine Wohnanlage darauf zu bauen. Schon einmal machten Bagger vor ein paar Jahren die einfachen Ställe des Clubs platt, die später wieder aufgebaut wurden. Es gab außerdem Vorwürfe wegen nicht artgerechter Haltung der Pferde, die sich aber als haltlos herausstellten.
Diese Ereignisse werden auch in dem Film thematisiert, in dem neben den Stars auch zahlreiche Laiendarsteller als handlungstragende Charaktere auftreten, die seit Jahren Mitglieder des »Fletcher Street Urban Riding Club« sind, der (wie in den USA üblich) bisher keinerlei öffentliche finanzielle Unterstützung bekommen hat und auf Spenden angewiesen ist. Diese politische Dimension spielt eine zentrale Rolle in dem stellenweise eher langsam erzählten Film, der über weite Strecken im Stil eines Sozialdramas gehalten ist und dann wieder ganz rasant mit jeder Menge Hip-Hop-Musik und großstädtischer Popkultur aufwartet. »Concrete Cowboy« lebt von dem genial inszenierten Aufeinandertreffen der schwarzen urbanen Kultur und des Cowboy-Mythos.
Die Cowboys reiten dann auch zusammen im Kampf gegen Enteignung und Gentrifizierung. In manchen Momenten wird der Film dann fast schon eine Pop-Parodie auf den Wildwest-Film, wenn die Cowboys neben einem Linienbus auf der Straße dahingaloppieren und die Fahrgäste begeistert nach draußen schauen. Wobei in »Concrete Cowboy« der Geschichte des wohl amerikanischsten Stereotyps auch kritisch nachgegangen und am Lagerfeuer über die vielen schwarzen Cowboys diskutiert wird, die es früher gab und die von Hollywood mit den unzähligen weißen Cowboy-Filmen aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen wurden. »Concrete Cowboy« sorgt dafür, sich diese vergessene Geschichte bewusst zu machen. Dabei eignet sich der Film auch ein Stück weit, das unter vielen Jugendlichen so beliebte Reiterhof-Erzählgenre subversiv zu unterwandern und siedelt es weit jenseits der gutbürgerlichen Kreise an, in denen »Ostwind«, »Bibi und Tina« oder andere Jugendfilme verortet sind. Aber auch hierzulande gibt es im Gegensatz zu dem Bild, das die Kulturindustrie erzeugt, vielerorts einfache Reiterhöfe für Menschen mit wenig Geld. Wobei »Concrete Cowboy« sicher kein reiner Film für Pferde- und Reiterhof-Fans ist, sondern eine starbesetzte und mit viel Hingabe gespielte und inszenierte Independent-Perle, die absolut sehenswert ist.
»Concrete Cowboy« auf Netflix
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