Bienen symbolisieren Twitter-Dissidenten

Der Dokumentarfilm »The Dissident« über die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi ist trotz Schwächen kurzweilig. Ein großer Enthüllungsthriller ist er aber nicht

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit 2018 ist Bryan Fogel Oscar-Gewinner. Sein erster Dokumentarfilm »Ikarus« erhielt den berühmten Preis, und der Film hatte es ja tatsächlich in sich, er dokumentierte doch den Fall des schillernden russischen Whistleblowers Grigori Rodtschenkow, der das jahrzehntelang betriebene russische Staatsdoping auffliegen ließ und damit einen weltweiten Skandal auslöste. Die Geschichte wurde unter anderem von Fogel selbst ins Rollen gebracht, und als journalistischer Begleiter Rodtschenkows war er seinerzeit tatsächlich hautnah dabei - ein purer Glücksfall für einen Dokumentarfilmer. Allerdings lag bereits bei »Ikarus« der Verdacht nahe, dass der Film nicht wegen seiner besonderen filmischen Güte ausgezeichnet wurde, sondern vor allem wegen seiner sportpolitischen Sprengkraft und Relevanz.

Nun erscheint mit »The Dissident« Fogels zweiter Dokumentarfilm. Darin geht es um Jamal Khashoggi, den Journalisten, der im Oktober 2018 im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul brutal ermordet wurde, nachdem er das Gebäude am helllichten Tag betreten hatte, um Dokumente abzuholen, die er für seine Heirat benötigte. Fogel setzt auch diesmal wieder auf eine große Nähe zu seinen Figuren, jedoch war er bei den Vorgängen um Khashoggi, anders als bei Rodtschenkow, selbst nur Zuschauer und muss nun den Fall im Nachhinein rekonstruieren. Dass dabei kaum mehr als einer der üblichen, mehr oder minder biederen True-Crime-Filmchen entsteht, wollte Fogel offenbar unbedingt verhindern, jedenfalls greift er tief in die (Animations-)Trickkiste, um den Film kinotauglich, also abendfüllend und möglichst spektakulär, zu bekommen. Allerdings sind weder die Geschichte von Hatice Cengiz, der Witwe Khashoggis, deren verzweifelter und für sie schmerzhafter Kampf um Aufklärung und Gerechtigkeit zu den stärksten Momenten des Films gehört, noch die des saudi-arabischen Dissidenten und Bloggers Omar Abdulaziz geeignet, das Ganze als atemlosen Doku-Krimi zu inszenieren, auch wenn Abdulaziz mit enervierend bedeutungsschwangerem Pathos fortwährend den gegenteiligen Eindruck zu erwecken versucht.

Er spielte im Zusammenhang mit Khashoggis Mord tatsächlich eine Rolle, offenbar, so wird es im Film dargestellt, hatte er mit dessen (finanzieller) Hilfe und gemeinsam mit anderen Systemkritikern in Saudi-Arabien via Social-Media-Aktivismus erfolgreich versucht, größeren medialen Einfluss zu erlangen, was die saudische Regierung dazu veranlasste, sein Handy überwachen zu lassen und die Gespräche mit Khashoggi abzuhören. Abdulaziz’ Darstellungen nehmen in »The Dissident« viel Raum ein und haben vor allem die Funktion, der Sache Dramatik und Tempo zu verleihen. Fogel verliert sich dabei jedoch in aufwendigen Animationen, unter anderem von Bienen, die als Symboltiere der Twitter-Dissidenten fungiert hatten. Es wird viel geraunt und alles mit dramatischen Klängen unterlegt - die ganze Abdulaziz-Story ist heillos überinszeniert. So sind die starken Passagen des Films gerade die klassischen True-Crime-Elemente, die Fogel offenbar für wenig spektakulär hielt. Originalaufnahmen der Geschehnisse rund um den 2. Oktober, dem Tag von Khashoggis Verschwinden in Istanbul, Einschätzungen von Weggefährten, die Rekonstruktion der Ereignisse anhand von Interviews mit türkischen Ermittlern, die politischen Reaktionen und Verstrickungen insbesondere die der Trump-Administration - die Geschichte bietet ja eigentlich genug Stoff für einen fesselnden Dokumentarfilm.

»The Dissident« ist indes nicht nur überdreht, er interessiert sich auch auffällig wenig für seine eigentliche Hauptfigur. Über Khashoggi erfahren wir kaum mehr als das, was seinem Wikipedia-Eintrag zu entnehmen ist. Weder sein Privatleben noch seine keineswegs sonderlich liberalen, geschweige denn progressiven politischen Positionen werden ausgeleuchtet, stattdessen wird er redundant als strahlender Freiheitskämpfer, netter Lebensgefährte und schlicht guter Mensch präsentiert. Kein Wort davon, dass Khashoggi weder ein glühender Demokrat war noch die saudische Monarchie insgesamt infrage stellte. Dass er lange Zeit seines Lebens im Dunstkreis der saudischen Herrscher-Clique verbracht hatte, spielt kaum eine Rolle, ebenso wenig wie die Khashoggi-Familie insgesamt, die traditionell beste Kontakte zum Herrscherclan unterhielt.

Die These, Khashoggi sei einzig wegen seiner Verbindungen zu Internet-Influencern ermordet worden, wirkt auch vor diesem Hintergrund wenig überzeugend.

Dass es sich bei dem Mord an Khashoggi um einen einzigartigen Skandal handelt, einen staatlichen Auftragsmord einer kriminellen Herrscherelite und dass Fogel das so laut und eindringlich anprangern will, wie mit filmischen Mitteln möglich, ist nachvollziehbar und seine persönliche Betroffenheit und Empörung auch authentisch. »The Dissident« wird auch sicher sein Publikum finden, der Film ist aufwendig produziert und trotz seiner Schwächen kurzweilig. Der große Enthüllungsthriller, als der er sich grell und auf Teufel komm raus präsentieren will, ist er hingegen nicht.

»The Dissident«: USA 2020. Regie: Bryan Fogel, Buch: Mark Monrie, Bryan Fogel. 119 Min. Erhältlich als Video on Demand.

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