Maximal dramatisch, voll spannend

Mit »Terrorsprache. Aus dem Wörterbuch des modernen Unmenschen« belebt Stefan Gärtner die Sprachkritik neu

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 6 Min.

Sprache ist nicht unschuldig. In Frank Witzels Monumentalromancollage »Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969« macht der Protagonist eine solche Erfahrung. Er hört von einem »Nazi Word Factor« (NWF) des Massachusetts Institute of Technology (MIT), der die deutsche Sprache auf ihre Nazireste untersucht. Scheinbar harmlose Worte wie Alpenglühen offenbaren plötzlich einen Abgrund, der den Erzähler schwindeln macht. Denn gerade das Harmlose steht in einer unguten, weil verharmlosenden Beziehung zur gesellschaftlichen Gewalt. Das Wort Monumentalromancollage hätte nebenher wahrscheinlich einen NWF von 9,8 - aber den hat es so nie gegeben, das ist bloße Fiktion.

Keineswegs fiktiv ist die 1957 erschienene Sammlung »Aus dem Wörterbuch des Unmenschen« von Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind. Für die Zeitschrift »Die Wandlung« schrieben sie nach dem Sieg über die Nazis darüber, wie diese die deutsche Sprache prägten - mit dabei waren damals Ausdrücke wie: echt, einmalig, Kulturschaffende, Ausrichtung, leistungsmäßig, Kontakte, organisieren, querschießen, Raum, Schulung, tragbar, untragbar, … Ebenfalls nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahre 1947, veröffentlichte Victor Klemperer seine berühmte Sprachkritik »LTI - Notizbuch eines Philologen«. Gegenstand der Kritik war die total verwaltete Sprache, die bei den Nazis mit dem passivistisch-technischen Jargon von Maßnahmen, Durchführung, Sonderbehandlung und allerlei Kürzeln verwendet wurde. Neben der berühmten Formulierung von den Worten als winzigen Arsendosen schrieb Klemperer, denkende Menschen wollten überzeugt, nicht überredet werden. Das war gut begründetes Misstrauen gegen die bloß funktionale, vom Wahrheitsanspruch abgelöste Sprache.

Dass nun Stefan Gärtner, bekannt unter anderem als Autor des Satiremagazins »Titanic« sowie verschiedener linker Zeitschriften und Zeitungen wie auch dem »nd«, mit seinem Buch »Terrorsprache. Aus dem Wörterbuch des modernen Unmenschen« sich in ebendiese Tradition stellt, passt durchaus in die Zeit, in der sich der reaktionäre Staatsumbau und aufgeblähte Worthülsen die Hand reichen. Bei Gärtner sind es Worte wie massiv, dramatisch, nachvollziehen, perfekt, gern, zeitnah, feiern, scharfe Kritik, maximal, absolut, Chaos, kreieren, disruptiv oder zunehmend, die mit feinem Gerät ihrer bösartigen Banalität beraubt werden. So lesen wir beispielsweise über spannend: »unverzichtbarer Bestandteil des Vokabulars der Informierten und Formalgebildeten und gewissermaßen ehrwürdigstes aller Dummwörter, das Aufblaszwang mit falscher Anteilnahme, Psychojargon und dem hemmungslosen Hang zur Oberfläche vereint«. Die von Gärtner angegangenen Hohlphrasen werden mit Vorliebe im politisch-medialen Komplex verwendet. Also von Leuten, die nicht nur studiert haben - was nichts heißt, außer dass sie es besser wissen könnten, aber vielleicht nicht wollen, wobei man damit den jetzigen Bildungsanstalten in diesem Land möglicherweise auch zu viel der Ehre antut -, sondern die zudem nicht privat, sondern öffentlich sprechen.

Routinierte Bewusstlosigkeit im Sprachlichen kommt einer Beschädigung der öffentlichen Vernunft gleich. »Der natürliche Feind der Sprache ist der Journalist«, schrieb Wiglaf Droste einst. Und auch der Politiker, ergänzt man da freimütig. Doch sollen hier nicht irgendwelche Berufsgruppen ungerechtfertigt geschmäht werden. Was Gärtner aber - völlig gerechtfertigt - zu bedenken gibt, ist Folgendes: Menschen, die berufsmäßig mit Sprache umgehen, behandeln diese offensichtlich so lieb- und achtlos, dass sie verkümmert. In der Folge führt das zu einem Verlust des Unterscheidungsvermögens. Das kann man alles für kulturkritisches Gejammer halten, es ist aber eben genau dann eine materialistische Frage, wenn - im übertragenen Sinne - immer nur noch das gröbste Werkzeug bereitsteht und also der Nagel mit der Abrissbirne in der Wand geschlagen werden soll. Denn Sprache in all ihren Feinheiten soll dazu dienen, die menschlichen Verhältnisse, die nicht weniger fein und diffizil sind, selbsttätig zu ordnen.

Die Verständigung mit Worten ist die eigentliche Sphäre des Politischen, weswegen die Parole »Genug geredet«, es müsse Schluss sein mit dem Gelaber, meist jenen dient, die die Mittel haben, ihre Interessen anderweitig durchzusetzen (und es kann durchaus richtig sein, das auch mit nichtsprachlichen Mitteln zu verhindern). Die richtige Kritik des Gelabers hätte dieses jedenfalls zu verbessern, nicht zu beenden. Es ist ja ein Graus, dass die meisten Menschen ihre eigenen Lebensverhältnisse und die daraus entstehenden Interessen nicht präzise benennen können.

Sprachkritik setzt dort an, wo die Verdinglichung einen vernünftigen Gebrauch der Sprache unmöglich macht. »Sprachkritik ist Ideologiekritik«, schreibt Stefan Gärtner. Zugleich lässt er keinen Zweifel, dass es sich nicht um einen Sprachverfall handelt, der nur durch Bevormundung aufzuhalten sei, wie sich die Reaktionäre das vorstellen, sondern um ein unbewusstes, aber deswegen durchaus nicht unerwünschtes Konformieren mit der schlechten Gesellschaft. Denn schlimmer noch als Unbeholfenheit oder Sprachlosigkeit ist die routinierte falsche Anpassung an diese. Und am allerschlimmsten noch im Gewand der frisch-fröhlichen Ungezwungenheit: »Es gibt, man weiß es, kein Richtiges im Falschen, und wie in einer freien Welt das Du jene Nähe ausdrücken mag, die mehr (oder weniger) wäre als verordnete oder aufgedrängte Intimität, ist in der unfreien jedes Du von Fremden so gelogen wie die ungezwungene Garderobe, die alle zwanghaft ständig tragen.« Das folgt Theodor W. Adornos bissiger Bemerkung, alles Mitmachen unter der Maske des Menschlichen diene letztlich dem Unmenschlichen der Verhältnisse.

Einer, der die Sprache wie Adorno in ihrem gesellschaftlichen Funktionszusammenhang begriff, war Wolfgang Pohrt. In seiner »Theorie des Gebrauchswerts« hatte der Gesellschaftskritiker bereits vor fast einem halben Jahrhundert darauf aufmerksam gemacht, dass im Spätkapitalismus das Sprechen allein deshalb regrediert, weil die Sphäre des freien Austauschs dort fehlt, wo es allein um Verwertung geht. Der stumme Zwang der Verhältnisse braucht eben maximal noch Befehle, wenn er nicht ebenso stumm ertragen wird. Pohrts Werke sind in der Edition Tiamat erschienen, deren Verdienste um eine Sprachkritik hier einmal gesondert erwähnt werden müssen. So hat Verleger Klaus Bittermann nicht nur auch Wiglaf Droste im Programm - unter anderem mit einer neu erschienenen »autobiografischen Schnitzeljagd«, die zeigt, dass es früher nicht weniger irre war als heute -, sondern hat in den 90er Jahren »Das Wörterbuch des Gutmenschen« veröffentlicht: »Zur Kritik der moralisch korrekten Schaumsprache« lautete der Titel des ersten, »Zur Kritik von Plapperjargon und Gesinnungssprache« der des zweiten Bandes. Auch Michael Rudolfs »Atmo. Bingo. Credo. Das ABC der Kultdeutschen« erschien 2007 bei dem kleinen Kreuzberger Verlag und wird von Gärtner gelegentlich zitiert.

Als Ahnherr solcher Sprachkritik gilt, auch für Gärtner, der Wiener Karl Kraus. Der mag ein fürchterlicher Rechthaber gewesen sein, doch nicht nur um seiner selbst willen. Seine Invektiven zielten darauf, den Herrschenden die Instrumente aus den Händen zu schlagen, mit denen der sozialen und der Eigentumsordnung noch immer eine Naturwüchsigkeit angedichtet wird, die sie nicht haben.

Darin liegt auch die Ethik einer Sprachkritik, die eben nicht synonym zur Sprachpolitik ist: Nicht bloß »richtig« die nach der sozialen Norm erforderliche Phrase an die Stelle nicht vorhandener Gedanken zu platzieren, sondern im Gegenteil aufrichtig das eigene Sprechen am Gegenstand zu messen. Die Moral der Sprache ist, ihrem Ausverkauf, ja ihrem Verramschen in der entsprechenden Ecke im Namen eines an Plattheit kaum zu überbietenden Wohlfühlmoralismus zu widerstehen und die Konflikte aufzuzeigen, die sonst mit »romantischem Scheißdreck« (Sibylle Berg) zugedeckt werden. Solche Sprachkritik macht vielleicht keine guten Gefühle, aber sie ist wahrhaftig. Und auch ziemlich lustig. Denn Stefan Gärtner ist einer, der schon weiß, was man mit Sprache so alles machen kann.

Stefan Gärtner: Terrorsprache. Aus dem Wörterbuch des modernen Unmenschen. Edition Tiamat, 144 S., br., 14 €.

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