Lobbyismus oder Interessenvertretung?

Kanzlerin sagte im Ausschuss zum Wirecard-Skandal aus

»Wenn jemand frisch in den Dax kommt, rufe ich nicht gleich: Wollen Sie mich mal besuchen kommen?« Einmal war Bundeskanzlerin Angela Merkel dann doch genervt von den Fragen, die im Wirecard-Untersuchungsausschuss am Freitag an sie gerichtet wurden. Bei ihrer Vernehmung ging es vor allem darum, wie gut der Draht des Finanzdienstleisters ganz nach oben direkt oder indirekt war.

Ansonsten ging sie recht souverän mit den Fragen in der mehrstündigen Vernehmung um. Kein Wunder, sie selbst traf nie persönlich mit den entweder in Untersuchungshaft sitzenden oder per internationalem Haftbefehl gesuchten Managern zusammen. Der einzige Vorwurf, der sich direkt gegen sie richtete, war schon vor Monaten in den Medien breit getreten worden: dass sie bei einem Staatsbesuch in China 2019 das Unternehmen Wirecard erwähnte, das in den riesigen Markt drängte. Und ebenfalls lange vorher hatte das Kanzleramt dies damit gerechtfertigt, dass Merkel nichts von den Vorgängen bei der Finanzfirma wusste oder auch nur ahnte. »Weil die Fantasie nicht ausgereicht hat, was da los war bei Wirecard«, führte sie jetzt aus. Ob überhaupt Werben für Unternehmen in Ordnung sei, beantworte sie mit einer Gegenfrage: »Wo beginnt Lobbyismus, und ist es nicht edle Interessenvertretung?«

Bei der Vernehmung machte die CDU-Politikerin deutlich, dass sie anlässlich der China-Reise nicht beeinflusst wurde, weder von den Wirecard-Chefs, die sie ja gar nicht kannte, noch von deren PR-Berater Karl-Theodor zu Guttenberg, den die Kanzlerin kurz vorher traf. Letztlich blieb im Raum stehen, dass wohl Lars-Hendrik Röller, Wirtschaftsabteilungsleiter im Kanzleramt und eine der Schlüsselfiguren im Politskandal rund um Wirecard, Merkel zum Werben für die Firma brachte.

Überhaupt ging es bei der Vernehmung Merkels weniger um sie als um andere: Röller, den Ex-Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche und vor allem zu Guttenberg: Das Verhältnis zu ihm sei »mittlerweile erstorben«, sagte Merkel. »Dann geht es Ihnen genau wie mir«, erwiderte sogar der CSU-Abgeordnete und Parteifreund Hans Michelbach.

Da sie selbst kaum unter Druck stand, konnte sich Merkel in ihrem vermutlich letzten Auftritt als Kanzlerin in einem Untersuchungsausschuss nachdenklich und auch staatsmännisch geben. »Ich kann nur immer wieder sagen, dass die Dinge, so wie sie gelaufen sind, nicht gut gelaufen sind«, gab sie zm Besten. Und sagte einen Satz, den die sonst bei solchen Anlässen genervt auftretenden Regierungsvertreter nicht sagen: »Es ist einer der Fälle, wo ich sagen würde, dass ein Untersuchungsausschuss vollumfänglich notwendig war.« Kurt Stenger Kommentar Seite 8

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